Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Berufsrückkehrer händeringend gesucht
BERUFSWELT IM WANDEL Die Caritas sucht dringend nach Pflegekräften. Sie spricht in einem Aufruf auch explizit Menschen an, die schon länger nicht mehr in dem Berufsfeld arbeiten. Wieder- und Quereinsteiger sind aber auch in anderen Branchen gefragt.
DINSLAKEN/VOERDE Mitte Januar schlug die Caritas Alarm: Fünf Mitarbeiter im Sankt-benedikt-haus in Dinslaken fielen aus, weil dort das Coronavirus ausgebrochen war. Caritasdirektor Michael van Meerbeck startete einen Aufruf an alle ausgebildeten Pflegekräfte – auch an diejenigen, die nicht mehr in ihrem ursprünglichen Beruf arbeiten. „Wir brauchen dringend Unterstützung, damit wir die Arbeit im St.-benedikt-haus bewältigen können“, sagte er. Wer schon viele Jahre nicht mehr in der Pflege aktiv sei, solle sich nicht scheuen: „Wir möchten mit allen ins Gespräch kommen, die helfen wollen.“
Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche ist akut. Die Bundesagentur für Arbeit meldete im Dezember 2020 bundesweit 20.000 offene Stellen in der Altenpflege und 15.000 in der Gesundheits- und Krankenpflege. Im Kreis Wesel sind laut der Agentur für Arbeit derzeit 33 Stellen für Fachkräfte ausgeschrieben, 22 für Altenpfleger und elf für Gesundheits- und Krankenpfleger. Zusätzlich gibt es sieben Arbeitsplätze für Hilfskräfte im Bereich Pflege, die noch nicht besetzt sind.
Letzteres ist auch ein Angebot für Quereinsteiger – zum Beispiel Menschen, die in der Pandemie ihren Job verloren haben. Die Pflegebranche ist immer auf ungelernte Kräfte angewiesen, die mithelfen. „In den stationären Altenpflegeeinrichtungen gibt es zum Beispiel eine Fachkräftequote von 50 Prozent, die andere Hälfte der Mitarbeiter sind Hilfskräfte“, sagt Sebastian Riebrandt, Fachreferent für Stationäre Pflege und Pflegeschulen beim Paritätischen NRW. Letztere können zum Beispiel mehrwöchige Pflegebasiskurse besuchen, um auch ohne dreijährige generalisierte Pflegeausbildung oder einjährige Assistenzausbildung einen Teil der Arbeit in den Seniorenheimen aufzufangen.
Riebrandt empfiehlt denjenigen, die noch nie in dem Bereich gearbeitet haben, ein Praktikum. „Erst einmal sollte man sich ein Bild von der Pflege machen“, sagt der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger. Es sei – anders als von Politikern oft propagiert würde – ein professionelles Arbeitsfeld, bei dem „Herz und Hand“nicht ausreichten. Die examinierten Pflegekräfte arbeiteten auf der Basis von Fachwissen und immer neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ein Beispiel: Lange hieß es, einen bettlägerigen Menschen alle zwei Stunden in eine andere Liegeposition zu bringen, sei ideal. Heute wisse man, dass es besser für den Klienten ist, das in kürzeren Abständen zu tun.
Aber auch examinierte Pflegekräfte, die lange nicht mehr in dem Beruf gearbeitet haben, haben solche Entwicklungen meistens verpasst. Wer sich dafür entscheide, wieder in den Bereich einzusteigen, solle mit seinen Vorgesetzten über eine längere Einarbeitungszeit reden, sagt Riebrandt. Schließlich müsse man unterscheiden zwischen Fachkräften, die die Einrichtung wechseln und bloß die neuen Abläufe verinnerlichen müssen, und denjenigen, die vor Jahren aus dem Beruf ausgestiegen und deshalb nicht mehr auf dem aktuellen Wissensstand sind. Riebrandt selbst arbeitet seit neun Jahren nicht mehr als Gesundheitsund Krankenpfleger: „Ich hätte den allergrößten Respekt, jetzt wieder einzusteigen.“
Matthias Ruß, Sprecher des Vinzenzhospitals in Dinslaken, bewundert die Menschen, die sich trotzdem trauen – und auch die, die als Quereinsteiger in die Pflege kommen. „Wer kommunikativ ist und eine soziale Ader hat, teamfähig und
flexibel, der ist in dem Bereich richtig“, sagt er. Ruß hat in den Neunziger Jahren ehemalige Bergleute unterrichtet, die in den Pflegebereich wechseln wollten. „Die waren toll, konnten super anpacken, waren empathisch“, sagt Ruß. Zu einigen habe er heute noch Kontakt. Sie seien immer noch glücklich in der Pflegebranche.
Doch nicht nur die Pflege kann ein passendes Berufsfeld für Quereinsteiger sein. Laut Bundesagentur für Arbeit ist der Anteil der Erwerbstätigen ohne eine Ausbildung im konkreten Berufsfeld besonders hoch im Wach- und Sicherheitsbereich, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in Handel- und Verkaufsberufen, in Lager und Logistik, in der Bau- und Gartenbaubranche und bei Anlerntätigkeiten in der Industrie. Aber nur ein Fünftel der Stellenanzeigen richten sich an Quereinsteiger, vier Fünftel setzen eine Ausbildung in dem entsprechenden Bereich voraus. Deshalb müssten die Bewerber besonders überzeugend darstellen, dass sie für die entsprechende Branche geeignet seien, heißt es von der Bundesagentur für Arbeit. Und: Im Hinblick auf die Entwicklung der Beschäftigtenzahl im Jahr 2020 sind für Quereinsteiger nur die Pflege- und Bauberufe besonders krisensicher. Alle anderen Berufsfelder, die geeignet für ungelernte Kräfte sind, leiden unter den Folgen der Pandemie.
Die Mitarbeiter der Caritas ächzen derweil weiter unter den Folgen des Coronaausbruchs im Sankt Benedikt Haus. Ob Quereinsteiger oder nicht – jede Hilfe kann sie entlasten.