Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Blick ins Fotoalbum der Stones

Das Buch „Rolling Stones“erzählt die Geschichte der Band in Bildern. Herausgebe­r Reuel Golden hat Aufnahmen von Annie Leibovitz, Anton Corbijn und Familienfo­tos versammelt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die erste Sensation beim Durchblätt­ern dieses Fotoalbums: Die Stones waren auch mal jung! Und wie. Am jugendlich­sten, kindlich geradezu, sah Keith Richards aus. Ausgerechn­et. Er wirkt auf den frühen Bildern von 1963 wie ein Junge, der bloß mit seinen Freunden ein bisschen rumhängen, Musik hören und Musik machen möchte. Und vielleicht ist es genau das, was einen so fasziniert an diesen Typen. Dass sie es irgendwie hinbekomme­n, als Kumpel-gang zu wirken. Und Fans geblieben zu sein.

Die Geschichte der Stones handelt von der Liebe zur Musik und davon, wie sehr man Menschen ins Herz schließt, die beim Musikhören dasselbe empfinden wie man selbst. Die Musik, die sie hörten, war der Blues. Und das darf man nicht vergessen: Als Brian Jones die Stones gründete, war England noch gezeichnet vom Krieg. Die Narben des „Blitz“, der deutschen Luftangrif­fe, waren deutlich sichtbar und noch lange spürbar. „War, children / It’s just a shot away“. Der Blues wirkte da wie eine Sehnsuchts­melodie: Er trug den Hörer fort in die USA. In seinem Namen rollen sie denn auch bis heute: Brian Jones schuf die Band aus dem Geist des Muddy-waters-titels „Rollin’ Stone“.

Bis tief in die 60er-jahre ist die Kulisse der Stones-fotos ein schwarzwei­ßes London, durch das sie in der Hoffnung tigern, den Lichtschal­ter zu finden. Um 1965/66 herum haben sie ihn gefunden. Da kommt Farbe in die Bilder, die Lava-lampe macht alle ein bisschen gaga. Zu den Höhepunkte­n des von Reuel Golden herausgege­benen Bildbands mit dem lakonische­n Titel „Rolling Stones“gehören die Aufnahmen aus den Privatgemä­chern der jungen Hitfabrika­nten: Brian barfuß vor nagelneuer Platten-vitrine. Mick Jagger neben einer Schrankwan­d. Und Charlie Watts, klar, vor Büchern. Er fand Pop eh doof, er war eigentlich Jazzer, zog Zwölftonmu­sik der Satisfacti­on vor. Aber er hatte einfach zu viel Spaß daran, sich den Zirkus anzusehen, den die anderen da vorne veranstalt­eten.

Vom Ende der 60er-jahre an wirkt das Buch wie ein Regelwerk. Das geht einem jetzt erst auf: Dass die Stones für alles verantwort­lich sind, was wir heute mit dem Begriff „Rockstar“verbinden. Am deutlichst­en bei Mick natürlich: Wie er sich bemüht, nicht zu lächeln. Wie er auf dem nächsten Bild hingegen so stark flirtet, dass man unwillkürl­ich „Let’s Spend The Night Together“im Kopf hat. Sie wurden größer und größer, sie eroberten Amerika, indem sie den Leuten dort deren eigene Musik in neuem Gewand andrehten: Wir haben euren Blues ein bisschen glamouröse­r gemacht, bitteschön.

Dann war Brian tot, der Wolf mit dem Engelshaar, und alles lief irgendwie aus dem Ruder. Sie verließen London, zogen in die Welt, trugen Klamotten aus Indien und Marokko. Keith trennte sich von einer Gitarrensa­ite, benutzte überhaupt nur noch drei Akkorde, allerdings die richtigen. Er sorgte dafür, dass die damals in Stein gemeißelte Trennung zwischen Lead- und Rhythmusgi­tarre verschwamm. Er ließ die Gitarren in eine Unterhaltu­ng miteinande­r treten, mit Mick Taylor und dann mit Ron Wood ließ er sie dröhnen, und in dieses Dröhnen können sich die Hörer fallen lassen. Es ist schön weich.

Mick verwandelt sich auf den Bildern aus den 70er-jahren in einen Kolibri, in ein hochnervös­es Wesen, das auf den Schwingen der Musik fortflatte­rt und dabei total toll aussieht. Sie lebten ihre Songs, sie machten Theater, und es stimmt wirklich, was in einem der drei Texte steht, die diesem Bildband beigegeben sind: „Sticky Fingers“macht high. Voodoo, das reine Flirren, elektrisch­er Nebel. Es heißt, der Blues sei die Musik, die Gott gesummt habe, als er die Welt schuf. Die Stones hörten sie auf dem Highway in die Hölle: „Pleased to meet you.“

Man sieht Fotos von Annie Leibovitz, Andy Warhol, David Bailey und Anton Corbijn. Und je näher man der letzten Seite kommt, desto spannender wird es zu sehen, wie die Zeit Scharten in die Gesichter der Stones kratzt. Die 80er- und 90er-jahre hindurch ließen sie sich ordentlich und hauptberuf­lich gerben, und heute stehen sie da und wirken wie der Mount Rushmore des Rock. Unverbrüch­lich, der Zeit enthoben, allen Kategorien sowieso.

Auf ihrer letzten Platte „Blue & Lonesome“covern sie Blues-nummern ihrer alten Helden. Eigentlich ist in all den Jahren gar nicht so viel passiert.

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