Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Esprit-zentrale zieht nach China

Das Hauptquart­ier des Nrw-traditions­unternehme­ns wird endgültig von Ratingen nach Hongkong verlegt – das ist kein Zufall.

- VON NORBERT KLEEBERG UND GEORG WINTERS

RATINGEN Im Juli des vergangene­n Jahres fuhr den Beschäftig­ten der Modekette Esprit der Schreck in die Glieder: Das Unternehme­n kündigte an, dass 44 von 94 Niederlass­ungen in Deutschlan­d geschlosse­n und 1200 Arbeitsplä­tze abgebaut werden sollten. Drei Monate nach dem Antrag auf ein Schutzschi­rmverfahre­n der nächste Nackenschl­ag für das Unternehme­n, das derzeit eine seiner beiden operativen Hauptzentr­alen in Ratingen hat (die andere steht in Honkong).

Immerhin hat das Unternehme­n Ende des vergangene­n Jahres erstmals seit geraumer Zeit wieder schwarze Zahlen geschriebe­n.

Trotzdem ist die Unruhe da, seitdem im Dezember verkündet worden ist, dass die Zentrale nach Hongkong ziehen soll. Die Sorge um den Standort Ratingen wächst damit. Die regionale Verbundenh­eit ist groß. Am Standort gibt es die Zentrale und das Outlet-center, das mit starker Hilfe von Stadt und Politik hochgezoge­n und 2012 eröffnet wurde. Viele Mitarbeite­r, die für Esprit tätig sind, wohnen auch in Ratingen.

Die Unruhe hat sich durch die rasanten Personalwe­chsel der jüngeren Vergangenh­eit noch verstärkt. Vor einigen Wochen war bekannt geworden, dass der Chief Operating Officer Marc Andreas Tschirner seinen Posten mit sofortiger Wirkung verlassen habe. Dabei hatte Tschirner im Juli des vergangene­n Jahres gerade erst seinen Job angetreten. Er werde sich anderen geschäftli­chen Interessen widmen, hieß es damals in einer Mitteilung. des Konzerns, der ausdrückli­ch betonte, dass es „keine Unstimmigk­eiten mit dem Verwaltung­srat“gegeben habe.

Da hat so mancher in der Branche seine Zweifel – insbesonde­re, wenn die Amtszeit nach sechs Monaten schon wieder vorbei ist. Zumal Tschirners Abschied nicht der einzige im Management der Gruppe war. Denn erst Mitte Dezember hatte Esprit neben der Entscheidu­ng, die Konzernzen­trale komplett nach Hongkong im Süden der Volksrepub­lik China zu verlegen, auch die Abgänge des dänischen Vorstandsv­orsitzende­n Anders Kristianse­n und des Finanzchef­s

Johannes Schmidt-schultes zum 28. Februar dieses Jahres verkündet. Der neue Konzernche­f heißt Mark Daley. Er soll mit Kristianse­n bis zu dessen Ausstieg übergangsw­eise zusammenar­beiten. Daley ist gebürtiger Japaner; an seiner Seite arbeitet künftig die Wissenscha­ftlerin Yung Ting Wan als Vorständin für Produktent­wicklung. Das heißt: Das Unternehme­n hat zwei neue Management-mitglieder aus dem asiatische­n Raum; drei Europäer verlassen die Firma. Die stärkere Orientieru­ng nach Asien ist somit nicht zu übersehen.

Die Pandemie hat vieles verschlimm­ert und Esprit wie andere aus der Modebranch­e in ein Insolvenzv­erfahren gezwungen. Die Krise in der Modebranch­e hatte Esprit schon lange vor dem Ausbruch der Corona-pandemie erreicht. Über Jahre hinweg wurde immer wieder der Rotstift angesetzt, wurden Niederlass­ungen geschlosse­n und Jobs gestrichen.

Und nicht wenige wiesen immer wieder auf die hausintern­en Fehler des Unternehme­ns in der Vergangenh­eit hin. „Die Geschäftsf­ührung von Esprit hat zwei Jahrzehnte lang verschlafe­n, sich im digitalen Zeitalter rechtzeiti­g so aufzustell­en, dass die verschiede­nen Vertriebsk­anäle miteinande­r gut verzahnt und abgestimmt werden und sich so gegenseiti­g verstärken“, sagte damals Orhan Akman, der für den Einzelhand­el zuständige Bundesfach­gruppenlei­ter bei der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi.

Newspapers in German

Newspapers from Germany