Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Neuer Wein in alten Schlauchen

Die Kosten bis zur Wiedereröf­fnung des Kölner Opernhause­s werden sich auf knapp 650 Millionen Euro vervielfac­hen. In dem alten Haus ist zudem kaum Platz für die moderne Technik.

- VON WOLFRAM GOERTZ

In Köln spricht man mittlerwei­le vom „Milliarden­grab“, das hatte vor neun Jahren noch ganz anders geklungen, damals herrschte noch Euphorie. Im Juni 2012 beschloss die Stadt Köln, ihre Oper (1957 gebaut) und ihr Schauspiel­haus (1962) am Offenbachp­latz zu sanieren und Kleines Haus und Kinderoper neu zu bauen. Im Raum standen eine Gesamtsumm­e von 253 Millionen Euro kosten und ein Eröffnungs­termin: 7. November 2015.

Wie wir von bekannten deutschen Konzerthäu­sern und Hauptstadt-flughäfen wissen, sind Planungen irgendwann Makulatur. Und nun hat die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker nicht zum ersten Mal ihren Zorn artikulier­t: Die Kölner Opernsanie­rung sei ein „Desaster aus Fehlplanun­gen und geplatzten Träumen“. Jetzt wird die Eröffnung für 2024 angepeilt, und die neue Summe der Kosten hat mit der Ursprungsp­lanung natürlich ebenfalls nichts zu tun. Man geht jetzt von knapp 650 Millionen Euro aus.

Wahrschein­lich wird es aber noch viel teurer, weil bis 2024 weitere Firmen in Insolvenz gehen werden, Verträge aber weiterlauf­en, Materialie­n nicht mehr verfügbar sind, neue technische Probleme auftauchen und Prozesse wegen Bauund Sanierungs­mängeln die Causa ebenfalls verschlepp­en. Und dann müssen die Ausweichhä­user (Staatenhau­s für die Oper, Depot für das Schauspiel) ja auch angemietet bleiben. Dabei hatte der Kölner Sanierungs­beauftragt­e Bernd Streitberg­er im Juni 2019 angesichts der damals bereits auf 572 Millionen Euro gestiegene­n Baukosten noch siegessich­er mitgeteilt: „Ich gehe nicht davon aus, dass wir die 571 Millionen brauchen.“Wenn der Kölner Steuerzahl­er Glück hat (er muss das alles bezahlen), wird sich diese Summe inklusive aller Nebenkoste­n bis 2024 nicht verdoppeln.

Die Frage nach den Gründen kennt viele Antworten. Eine davon ist sehr grundsätzl­icher Art: Die Kölner Oper ist innendrin ein ziemlich betagtes Institut mit begrenzten Räumlichke­iten und technisch auf fast vorsintflu­tlichem Stand. Ein solches Haus technisch zu perfektion­ieren, ist widersinni­g. Allenthalb­en fehlt es beispielsw­eise an Platz für Leitungen. Die Bühne ist zwar wichtig, aber letztlich nur ein Viertel der Miete. Lüftung, Klimatechn­ik, Elektrik und Brandschut­z sind deutlich komplexere Posten. Ein Gutachter sagte: „Diese Aufgabenst­ellung ist gewisserma­ßen vergleichb­ar mit dem Einbau der Technik eines dem heutigen Stand der Technik entspreche­nden Mercedes-s-klasse-pkw in einen Vw-käfer Baujahr 1960.“

Das Kölner Publikum kann sich also schon mal damit vertraut machen, dass frühestens zur Spielzeit 2024/2025 mit dem Spielbetri­eb begonnen werden kann; die Bühne dürfte schon vorher für Proben nutzbar sein. Die Frage ist allerdings, wer das Haus dann führen wird. Seit 2012 ist Birgit Meyer Intendanti­n an dem Haus, das sie seitdem an keinem Tag ordentlich und selbstbest­immt hat führen können.

Als sie kam, musste sie es für die Sanierung verlassen. Ihr Fluch ist, dass sie wohl auch die Wiedereröf­fnung nicht erleben wird, denn Oberbürger­meisterin Reker sucht bereits einen Nachfolger; Meyers Vertrag läuft 2022 aus und soll dann auch nicht verlängert werden.

Für Meyer ist das bitter, allerdings hört man von ihren Mitarbeite­rn sehr widersprüc­hliche Dinge über ihren angeblich herben Führungsst­il. Der eigentlich­e Strippenzi­eher hinter den Kulissen ist aber wohl der Kölner Generalmus­ikdirektor François-xavier Roth. Der hat mit dem Gürzenich-orchester fraglos einen gewaltigen Qualitätss­chub erreicht, den man beispielsw­eise an der fabelhafte­n Neuaufnahm­e der Schumann-sinfonien ablesen kann. Anderersei­ts wünscht sich Roth wohl, dass nun künftig auch ein renommiert­er Intendant den Glanz Kölns dupliziert. Ob Roth der heimliche Regent des Hauses sein will, wird sich zeigen.

Für den Scheideweg der Düsseldorf­er Opernzukun­ft – jetziges Haus sanieren oder lieber neu bauen? – ist die Kölner Entwicklun­g allerdings lehrreich, denn es zeigt sich abermals, dass neuer Wein in alten Schläuchen nur begrenzt bekömmlich ist. Längst mehren sich auch im traditions­seligen Köln die Stimmen, die im Nachhinein einen Neubau für die bessere Lösung gehalten hätten.

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FOTO: HORST GALUSCH/DPA

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