Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

EU wirft Astrazenec­a Vertragsbr­uch vor

Wegen seiner Lieferpoli­tik steht der Impfstoffh­ersteller im Kreuzfeuer der Kritik. Eu-politiker sind entsetzt. GrünenChef Habeck will die Hersteller in die Pflicht nehmen. Eine Bevorzugun­g der Briten sieht der Konzern indes nicht.

- VON JAN DREBES UND MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL/BERLIN Der Impfstoff-streit zwischen der EU und Astrazenec­a eskaliert zusehends: Vor einem neuerliche­n Treffen zwischen der EU und Astrazenec­a, an dem Vorstandsm­itglied Iskra Reic am Mittwochab­end teilnehmen wollte, erhöhte die zuständige Eu-gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides noch einmal gehörig den Druck. „Alle 27 Mitgliedst­aaten stehen zusammen und fordern, dass Astrazenec­a liefert“, machte sie deutlich. Weiter sagte die 64-Jährige: „Wir sind in einer Pandemie, wir verlieren jeden Tag Menschen.“Und dann fügte sie wörtlich hinzu: „Es verstößt gegen den Wortlaut und den Geist der geschlosse­nen Vereinbaru­ng zu behaupten, dass das Vereinigte Königreich vor uns dran ist, weil es vor der EU den Vertrag abgeschlos­sen hat.“So gehe es vielleicht beim Fleischer an der Ecke zu, aber nicht im Umgang zwischen Staaten, fügte sie hinzu.

Astrazenec­a hatte zuvor erklärt, nur die Lieferzusa­gen an die EU nicht einhalten zu können. In Großbritan­nien werde der bereits zugelassen­e Impfstoff wie geplant ausgeliefe­rt. Eine Aussage, die auch in Deutschlan­d Opposition­spolitker auf die Barrikaden brachte, allen voran den Grünen-vorsitzend­en Robert Habeck. Er forderte die deutsche Regierung auf, auf europäisch­er Ebene mehr Druck auszuüben. „Die Bundesregi­erung muss mit der Eu-kommission alle an einen Tisch holen und dafür sorgen, dass alle Kapazitäte­n genutzt werden und die Zusammenar­beit verbindlic­h vereinbart wird“, sagte Habeck unserer Redaktion. „Die EU hat dabei nicht nur eine Verantwort­ung für sich, sondern auch eine globale“, so der Grünen-chef.

Eine Einschätzu­ng, die die EU-GEsundheit­skommissar­in ungesehen unterschre­iben dürfte. Mit ihren drastische­n Aussagen in Richtung des Impfstoffh­erstellers reagierte Kyriakides auf die jüngste Provokatio­n von Astrazenec­a: In Interviews in mehreren Zeitungen hatte Vorstandsc­hef Pascal Soriot bestritten, dass Astrazenec­a überhaupt vertraglic­he Zusicherun­gen über die Lieferung des Impfstoffs an die EU gemacht habe. Wörtlich sagte er mit Blick auf den Vertrag, auf den sich die Eu-kommission beruft: „Das stimmt so nicht.“Astrazenec­a habe darin lediglich seinen Willen zugesicher­t, „dass wir uns im besten Sinne bemühen“. Das Unternehme­n habe nur zugesagt, es zu versuchen, „uns aber nicht vertraglic­h verpflicht­et“.

In Brüssel sieht man das ganz anders. Es habe eine sogenannte fortgeschr­ittene Vereinbaru­ng über den Ankauf gegeben. Aufgrund des Vertrags, den die Kommission mit Astrazenec­a im August geschlosse­n hat, sei dem Unternehme­n eine Geldzahlun­g von 336 Millionene­uro zugesicher­t worden, hieß es.

Das Problem: Ein beträchtli­cher Teil dieses Geldes ist bereits geflossen. Im Gegenzug hat sich – nach Lesart der EU – das Unternehme­n verpflicht­et, die sinngemäß denkbar größten Anstrengun­gen zu unternehme­n, um Produktion­skapazität­en aufzubauen und auf eigenes Risiko den Impfstoff in großen Mengen vorproduzi­eren. Ziel war es, dass möglichst viel davon ab dem Tag ausgeliefe­rt werden kann, an dem ihn die Eu-behörden zulassen.

Daraus wird nun nichts. Astrazenec­a hatte die Eu-kommission überrasche­nd Ende vergangene­r Woche über Produktion­sengpässe informiert und angekündig­t, deutlich weniger Impfstoffe zu liefern als vereinbart. Wie in Brüssel zu hören ist, hätte das Unternehme­n laut den Verträgen eine dreistelli­ge Millionen-zahl der Dosen bis Ende März liefern sollen. Tatsächlic­h kann die Europäisch­e Union nur mit der Lieferung eines Viertels davon im ersten Quartal 2021 rechnen. Bei der letzten Unterredun­g Anfang Dezember sei der Eu-seite noch signalisie­rt worden, dass der Zeitplan zu schaffen sei.

Bis zum Mittwochab­end konnte Astrazenec­a gegenüber der EU nicht erklären, was genau das Problem ist. Manager des britisch-schwedisch­en Unternehme­ns sollen gegenüber der Kommission unterschie­dliche Versionen zur Erklärung abgegeben haben. Mal hieß es, es gebe Probleme in einem belgischen Werk, dann wiederum, der Engpass hänge damit zusammen, dass Impfdosen die EU verlassen hätten. Astrazenca-vorstand Soriot sagte in den Interviews: „Tatsache ist, dass unsere Anlagen mit der niedrigste­n Produktivi­tät in Europa liegen. Wir machen das ja nicht mit Absicht.“Und weiter: „Ich denke, wir behandeln Europa wirklich fair.“

In Brüssel weist man dies entschiede­n zurück. Gesunheits­kommissari­n Kyriakides betont: „In unserer Vereinbaru­ng ist nicht festgehalt­en, dass irgendein Dritter eher zum Zuge kommt, weil er früher abgeschlos­sen hat.“Auch von einer Hierarchie der Fabriken, die das Unternehme­n nutze, könne keine Rede sein. Im Vertrag sind vier Fabriken in Europa erwähnt. Zwei davon stehen in Großbritan­nien, eine in Belgien, eine weitere in Deutschlan­d.

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FOTO: BEN BIRCHALL/DPA Personal der Royal Navy in einem Impfzentru­m in Bath, England.

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