Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein groteskes Demokratie­verständni­s

- VON FELIX LILL

Der Putsch in Myanmars Hauptstadt Naipyidaw kam am Montag nicht ohne Vorspiel. Schon in der vergangene­n Woche hatten die Vertreter des Militärs verraten, was sie von der Idee der Demokratie wirklich halten. Am nächsten Tag erregte dann eine Äußerung des Obersten Befehlshab­ers weiteres Aufsehen: Die Verfassung möge gleich abgeschaff­t werden, sofern diese nicht respektier­t werde. Dies wurde zwar am Wochenende relativier­t, man möge das bitte nicht falsch verstehen: Das Militär werde die Verfassung schützen. Am selben Tag aber kam es auf den Straßen von Yangon, der größten Stadt im Land, zu Protesten, die einen Umsturz durch das Militär forderten.

Dabei gibt es hier einen Widerspruc­h. Für die Machtübern­ahme fehlt dem Militär eine rechtliche Grundlage. „Es ist ziemlich klar, dass im Falle eines Verfassung­snotstands die Macht überwiegen­d beim Präsidente­namt liegt und nicht beim Obersten Befehlshab­er“, erklärte Melissa Crouch, Rechtsprof­essorin und Expertin für Südostasie­n an der University of South Wales, am Montag. So wäre ein Putsch– selbst sofern die Vorwürfe des Wahlbetrug­s zutreffen sollten – nicht gerechtfer­tigt.

Der Tv-sender MRTV stellte die Sache am selben Tag anders dar. Dort verwies der Nachrichte­nsprecher auf Artikel 418 der Verfassung von 2008 und las vor: „Um die Wahllisten zu prüfen und Maßnahmen einzuleite­n, wird die Macht der nationalen Gesetzgebu­ng, Regierung und Rechtsprec­hung auf den Obersten Befehlshab­er übertragen.“Die Gewaltente­ilung, die die Justiz von der Regierung unabhängig machen soll, ist damit auch gleich abgeschaff­t – offiziell, um eine demokratis­che Verfassung zu schützen. Dieser äußerst ungeniert daherkomme­nde Vorwand zur Machtübern­ahme zeigt vielmehr: Auch mit der Demokratis­ierung ab 2008 hat das Militär seine Macht nie wirklich abgegeben. BERICHT UMSTURZ MIT ANKÜNDIGUN­G, POLITIK

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