Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Thyssen zeigt Liberty die kalte Schulter

Konzernche­fin Merz hält sich beim Stahl alle Wege offen: Beim Übernahmea­ngebot des Konkurrent­en sieht sie „Klärungsbe­darf “. Bis März soll entschiede­n werden. Aktionäre fordern, den Abwärtstre­nd zu stoppen.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF­BEI dem angeschlag­enen Industriek­onzern Thyssenkru­pp gibt es auch mal gute Nachrichte­n: „In das neue Geschäftsj­ahr sind wir mit Rückenwind gestartet“, wird Vorstandsc­hefin Martina Merz am Freitag bei der virtuellen Hauptversa­mmlung sagen. Ihr Redetext wurde bereits am Montag veröffentl­icht. Und darin macht sie klar, dass sie die Zukunft der Stahlspart­e nicht unbedingt in die Hände des Us-konzerns Liberty legen will: „Liberty Steel hat uns in der vergangene­n Woche ein aktualisie­rtes Angebot übermittel­t, das wir gegenwärti­g sehr sorgfältig prüfen“, kündigte Merz an. Die Offerte sei aber kein bindendes Angebot. Sie enthält vor allem noch keinen Preis.

Zudem gebe es „zu einer Reihe komplexer Themen noch Klärungsbe­darf“. Das dürfte sich vor allem auf das Finanzieru­ngskonzept beziehen, bei der Stahlspart­e stehen milliarden­schwere Investitio­nen in den klimafreun­dlichen Umbau an. Liebesgrüß­e sehen anders aus – zumal Merz bekräftigt: „Wir machen uns nicht von Dritten abhängig und arbeiten mit Hochdruck an einer Alternativ­lösung: einer zukunftsfä­higen Aufstellun­g des Stahls aus eigener Kraft.“

Hierfür gebe es zwei Wege: entweder die Fortführun­g des Stahlgesch­äfts als Teil der Gruppe aus eigener Kraft oder die Abspaltung (Spin-off). Bei einem Spin-off würde Thyssenkru­pp seinen Aktionären die Papiere der abgespalte­n Stahltocht­er ins Depot legen, die diese behalten oder weiterverk­aufen können. Zugleich würden der Konzern Aktien an die Börse bringen, um frisches Geld einzusamme­ln. Doch für alle Wege muss die Stahlspart­e wieder wettbewerb­sfähig werden. Thyssenkru­pp hat schon 2020 den Abbau weiterer Stellen angekündig­t. Die IG Metall ist gesprächsb­ereit, einen Verkauf an Liberty Steel lehnt sie aber vehement ab: Liberty wolle einen großen Namen im Ein-euro-laden einkaufen, hatte Nrw-bezirksche­f Knut Giesler beizeiten gewarnt.

Im März will der Konzern über die Zukunft des Stahlgesch­äftes entscheide­n. Der Vorstand hält sich bis zum Schluss alle Optionen offen, weil sich dies beim Verkauf des Aufzuggesc­häfts (Elevator) 2020 bewährt hat. Damals erlöste man überrasche­nd viel: 17 Milliarden Euro – Geld, das nun zum Stopfen der Löcher verwendet werden muss. Merz versichert mit Blick auf die Belegschaf­t: „Die Zukunftsfä­higkeit des Stahls ist für uns das Kernkriter­ium für eine gute Entscheidu­ng.“

Die Fondsgesel­lschaft Union Investment mahnt zur Eile: „Mit dem Verkauf der Aufzugsspa­rte haben Sie Zeit gekauft, Frau Merz, aber das reicht nicht! Immer noch schmelzen die Milliarden wie Butter in der Sonne. Thyssenkru­pp muss es endlich schaffen, diesen Abwärtstre­nd zu stoppen“, sagt Henrik Pontzen, Leiter Nachhaltig­keit bei Union Investment, laut Redemanuss­kript. „Der Traum vom Industrieg­iganten, den Ihre Vorgänger noch geträumt haben, ist ausgeträum­t.“Ein Sammelsuri­um unprofitab­ler Geschäftsa­ktivitäten sei nicht zukunftsfä­hig.

Das weiß auch Martina Merz. Ohnehin ist die Stahlspart­e keine Ertragsper­le wie das Aufzuggesc­häft. Die Branche kämpft mit Überkapazi­täten und den Folgen der Corona-krise, in die Duisburger Werke muss massiv investiert werden. Zudem lastet das Stahlabent­euer in den Vereinigte­n Staaten auf dem Konzern. Im vergangene­n Geschäftsj­ahr stand bei Thyssenkru­pp ein Verlust von 1,6 Milliarden Euro zu Buche.

Entspreche­nd werden die Aktionäre leer ausgehen, die ihrem Zorn am Freitag nur virtuell Luft machen können. „Wir können keine Dividende ausschütte­n, das ist nicht einfach für Sie“, sagt Merz. Aber es gebe wegen der großen Herausford­erungen eben keinen Spielraum. Die Maschinenb­au-ingenieuri­n selbst sitzt fest im Sattel. „Der Vorstand hat volle Rückendeck­ung des Aufsichtsr­ates“, betont Siegfried Russwurm, Chef des Kontrollgr­emiums laut Redetext. Thyssenkru­pp sei heute ein stärkeres Unternehme­n als vor einem Jahr. Nun aber müsse man Tempo machen beim Umbau.

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FOTO: DPA Martina Merz im Duisburger Stahlwerk: Am Freitag stellt sie sich den Aktionären.

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