Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die große Chance im Dfb-pokal
Der Rekordsieger und Titelverteidiger Bayern ist draußen. Damit werden die Aussichten auf einen Titel für alle verbliebenen Teams größer. Auch für Außenseiter Rot-weiß Essen.
DÜSSELDORF Jedes Jahr im Sommer hat eine alte Weisheit Konjunktur. Meist wird sie von Rudi Völler ausgesprochen. Sie lautet: „Wenn die Bayern schwächeln, dann musst du da sein.“Damit machen sich jene Mut, die glauben, in der Fußball-hackordnung gleich hinter dem Branchenführer angesiedelt zu sein – also auch Völlers Bayer Leverkusen. In dieser Saison scheint es mal wieder nicht zu klappen. Als die Bayern in der Meisterschaft schwächelten, war niemand da.
Dafür hatte der Seriensieger die Güte, in der zweiten Pokalrunde mit einem verlorenen Elfmeterschießen beim Zweitligisten Holstein Kiel die Segel zu streichen. Das eröffnet der Konkurrenz im Dfb-pokal ungleich größere Chancen auf den Titel. Schließlich ist der größte Brocken bereits aus dem Weg geräumt, wofür alle dankend die munteren Kieler in ihr Nachtgebet einschließen – mit Ausnahme der Bayern natürlich, die nun mindestens ein Jahr auf ihren 21. Titel warten müssen.
Sie sind allerdings auch in diesem Wettbewerb das Maß der Dinge. 24 Mal standen die Münchner im Finale, an 20 Siege wird so schnell niemand heranreichen. Zweiter in der „ewigen“Rangliste ist einer der Teilnehmer am Achtelfinale, das Dienstag und Mittwoch ausgetragen wird: Werder Bremen. Zehn Mal lief Werder im Finale auf, sechsmal gewann Bremen den Pokal. Der letzte Erfolg liegt allerdings auch schon ein paar Jährchen zurück. 2009 gewannen die Bremer den Cup durch einen 1:0-Erfolg über Bayer Leverkusen. Torschütze war ein gewisser Mesut Özil. Gegen einen neuerlichen Erfolg im Pokal gäbe es bei Werder sicher keinen Einspruch.
Das gilt für den Dritten der Rangliste ebenfalls. Albträume von der zweiten Liga haben bei Schalke 04
Träume vom Europapokal abgelöst. Deshalb gehen die Königsblauen nicht unbedingt als hoher Favorit in das Spiel bei den starken Wolfsburgern. Auf den sechsten Pokalsieg der Schalker wetten nur ganz verwegene Zeitgenossen.
Ein paar Kilometer weiter auf der alten B 1 sieht das schon anders aus. Borussia Dortmund darf sich neben RB Leipzig als legitimer Erbe der Favoritenrolle fühlen, die der FC Bayern ausnahmsweise mal sehr früh freigegeben hat. Das Los beschert dem BVB den westfälischen Nachbarn FC Paderborn aus der zweiten Liga. „Machbar“nennen die Experten so eine Konstellation. Das haben sie im November 2019 sicher auch gesagt, als sich Paderborn als Bundesliga-aufsteiger im ehemaligen Westfalenstadion vorstellte. Zur
Halbzeit führte der Außenseiter mit 3:0, erst ein Tor von Marco Reus in der Nachspielzeit verschaffte dem BVB ein schmeichelhaftes 3:3 in der Liga. Um seine Jungs vorsichtshalber vom hohen Ross zu holen, führt der Dortmunder Trainer Edin Terzic vielleicht ein paar bewegte Bilder von diesem Gastspiel der Paderborner vor.
Wiederum ein paar Kilometer weiter auf der B 1, diesmal in der anderen Richtung, wohnt der größte Außenseiter des Achtelfinals. Der Regionalligist Rot-weiß Essen hat sich bisher jedoch von großen Namen nicht bang machen lassen. In der ersten Runde schaltete der Viertligist den Bundesligisten Arminia Bielefeld (1:0) und in der zweiten Runde den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf (3:2) aus. Und das ohne die mehr als lebhafte Unterstützung der Fans an der legendären Hafenstraße. Jetzt ist Bayer Leverkusen, ein ungleich stärkerer Gegner, an der Reihe.
Das gab es im Achtelfinale schon einmal. Vor 25 Jahren nämlich. Damals kam Bayer mit den Weltstars
Bernd Schuster, Rudi Völler und Paulo Sergio, RWE war Regionalligist, seinerzeit war das die dritte Liga. Und, der wichtigste Unterschied: Auf den dicht gefüllten Rängen raste das Publikum. Es bekam reichlich Anlass dazu. Essen holte einen 2:4-Rückstand zum 4:4 auf und scheiterte erst im Elfmeterschießen. Tragischer Held: Dirk „Putsche“Helmig. Der beste Spieler auf dem Platz verschoss seinen Elfmeter. Dennoch sagt er heute: „Das war das Spiel meines Lebens.“Auf dem Weg zu diesem bemerkenswerten Achtungserfolg schob er unter anderem dem großen Schuster respektlos den Ball durch die Beine. So viel Mut verlangt er auch von seinen Erben. „Man muss immer dran glauben“, erklärt Helmig. Zu verlieren hat sein Klub nichts.