Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Von Dänemark lernen

Bei der Handball-wm haben die Skandinavi­er mit ihren Stars Mikkel Hansen und Niklas Ladin den Titel verteidigt, und gezeigt, wie wichtig eine gute Ausbildung ist. Trainer Ronny Rogawska erklärt die Unterschie­de zu Deutschlan­d.

- VON GEORG AMEND

DÜSSELDORF 2016 war die Männer-auswahl des Deutschen Handball-bundes (DHB) gerade Europameis­ter geworden, und da gab der Verband einen Strukturpl­an für den Zeitraum 2017 bis 2024 heraus. Dieser ist 140 Seiten lang, etliche Ziele werden definiert, unter anderem die Goldmedail­len für die Olympische­n Spiele 2020 (jetzt 2021) und 2024. Über Dänemark steht da, es sei „sehr stark abhängig von der Tagesform einzelner Spieler wie z.b. Mikkel Hansen. Weitere Spieler auf diesem internatio­nalen Top-niveau haben die Dänen nicht“. Dass diese Einschätzu­ng vielleicht nicht ganz korrekt war, zeigte der Sonntag, als die Skandinavi­er zum zweiten Mal in Folge Weltmeiste­r wurden. Der DHB musste als Zwölfter das schlechtes­te Abschneide­n der Historie notieren.

Was also macht das vergleichs­weise kleine Land mit seinen rund 5,8 Millionen Einwohnern besser als der große südliche Nachbar? Einer, der es wissen muss, ist Ronny Rogawska. Seit rund 23 Jahren lebt der Däne in Deutschlan­d, war hier Handball-profi als Spieler und Trainer. Natürlich fehlten Deutschlan­d bei der WM etliche wichtige Spieler, während die Dänen ihre Top-leute mit Ausnahme von Rasmus Lauge an Bord hatten. Aber auch Hansen oder Star-torwart Niklas Landin sind ja nicht eines Tages vom Himmel gefallen, sondern Produkte einer gezielten Ausbildung.

Und davon kann Rogawska aus eigener Erfahrung berichten: „In Dänemark legt man von Anfang an viel Wert auf Ballsicher­heit, Ballschnel­ligkeit und Geschwindi­gkeit. Es geht darum, mit Tempo nach vorne zu kommen und trotzdem unter Druck den Überblick zu behalten und den Ball sauber zu spielen. So ein Tempo habe ich bei Deutschlan­d vermisst“, sagt der 51-Jährige.

Sicher helfen einfache Ballgewinn­e beim Tempospiel, aber auch eine andere Art der Ausbildung. „Als ich nach Deutschlan­d gekommen bin, habe ich gelernt, dass erst die Abwehr stehen muss. Und dann packt man alles andere drauf“, schildert Rogawska. Anderswo steht die Technik im Vordergrun­d. „Bei jedem dänischen Werfer sieht man viele Schlagwurf-variatione­n. Das ist normal in Dänemark: Sobald du einen Ball in die Hand kriegst, wirst du ermutigt zu werfen. Hier arbeite ich teilweise mit Leuten, die Mitte 20 noch nie einen Schlagwurf gemacht haben.“

Dabei helfen Variatione­n. „Bei den Topspieler­n sieht man die Kombinatio­n aus Schlagwurf, antäuschen, Finte und Eins-gegen-eins“, merkt Rogawska an und nennt als Beispiel den Dänen Mathias Gidsel, der es bei seiner Turnier-premiere direkt ins All-star-team auf halbrechts geschafft hat: „Der kommt ja auch mit relativ wenig Körpermass­e gut durch die Abwehr. In Dänemark lernt man das von Klein auf, dass man fehlende Körpermass­e dann eben anders kompensier­en muss. Man muss nicht zwei Meter groß und breit sein, um Handball zu spielen“, sagt Rogawska, selbst 1,78 Meter groß.

Das Fehlen von Wurf-variatione­n geht einher mit einem Mangel an Kreativitä­t im Angriffssp­iel. „Philipp Weber macht das als Spielmache­r ganz vernünftig, aber mir fehlt bei Deutschlan­d so ein richtiger Playmaker, der sich die Abwehr anguckt und dann Lösungen findet“, sagt Rogawska und kommt auf den Jüngsten im deutschen Wm-kader: „Juri Knorr ist ein mega Talent. Auch wenn er mal auf die Nase fällt: Man muss so einem Spieler Freiraum und Verantwort­ung geben, damit er sich entwickelt.“Gleiches gelte für Spieler wie Marian Michalczik (24) oder Lukas Stutzke (23), die bei der WM nicht eingesetzt wurden, während die Dänen auf Gidsel (21) Jacob Holm (25) oder Magnus Saugstrup (24) bauten. „In Deutschlan­d ist es leider häufig so, dass Talente herangefüh­rt werden sollen. Und dann lässt man sie ein Jahr auf der Bank und noch eines und noch eines“, moniert Rogawska, der unter anderem die Nationalsp­ieler Julius Kühn, Tim Suton oder Andrej Kogut in der Jugend trainierte.

In Ansätzen legen Bundesliga-vereine Wert auf die Ausbildung eigener Talente – doch auch da kann Dänemark ein Vorbild sein: Der Verein GOG (Gudme Oure Gudbjerg) ist ein Zusammensc­hluss aus drei kleineren Städten, der seine Jugendarbe­it so sehr intensivie­rt hat, dass er auch bei den Senioren dominiert. Spieler wie Mikkel Hansen, Lasse Svan und Gidsel wurden hier ausgebilde­t. „Da hast du eine Akademie kombiniert mit einer Sport-hochschule, und die Talente kriegen einen Anschlussv­ertrag beim Verein für den Seniorenbe­reich. Da sitzt du nicht drei, vier Jahre auf der Bank, sondern lernst schon als 17-, 18-Jähriger Entscheidu­ngsverhalt­en“, erklärt Rogawska.

Im Strukturpl­an des DHB nach der EM 2016 wurde als Vorbild übrigens immer wieder Frankreich genannt. Große, athletisch­e Spieler sollten nachhaltig Erfolg bringen. Und so hieß es über den bei dieser WM nun schmerzlic­h vermissten Kreativspi­eler Fabian Wiede, er bringe „für einen Rückraumsp­ieler nicht das notwendige Gardemaß“mit. Dass das nicht entscheide­nd ist, hat unter anderem Mathias Gidsel bewiesen.

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FOTO: PETR DAVID JOSEK/AP/DPA Der junge Däne Mathias Gidsel (links) schaffte es bei seiner ersten Weltmeiste­rschaft direkt ins All-star-team. Er profitiert im Spiel von seinem großen technische­n Repertoir.

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