Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
In der Corona-pandemie sind Haustiere als Gefährten wichtiger denn je.
ANALYSE Die Pandemie hat einen Boom bei Haustieren ausgelöst. Sie gehen bedingungslos Beziehungen ein, urteilen nicht und werden so zu Nutztieren für die menschliche Psyche. Doch Tierschützer befürchten Kurzschluss-käufe.
Wem wäre in diesen Tagen nicht danach, sein trübes Corona-leben mit jemandem zu teilen, der sich nicht deprimieren lässt? Der einen wohlwollend anblickt, alle Launen verzeiht und unverdrossen zu Bewegung animiert? Mit einem Hund also. Oder sollte es lieber eine Katze sein? Die könnte einem unter dem Homeoffice-tisch um die Beine streichen, während öder Telefonkonferenzen den wilden Tiger machen oder sich satt, müde, zufrieden wie nur Katzen auf dem Sofa zusammenrollen – während in der Familie der tägliche Heim-schul-arbeitswahnsinn tobt.
Corona steigert die Sehnsucht nach tierischen Gefährten. Die Tierschutzorganisation Tasso, die Europas größtes kostenloses Haustierregister betreibt, verzeichnete 2020 einen Anstieg der Zahl der Neuregistrierungen von Hunden um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die öffentlichen Kassen haben in den ersten drei Quartalen des Vorjahres mit 331 Millionen Euro Hundesteuer ein Plus von 2,5 Prozent registriert. Züchter berichten aktuell von einer Flut an Anfragen. Und auch in Tierheimen rufen in der Pandemie immer mehr Menschen an. Etwa 200 pro Woche sind es etwa in einer Stadt wie Düsseldorf, dazu Hunderte Anfragen per E-mail. Das ist doppelt so viel wie in Zeiten vor Corona. Aus Hund, Katze, Kaninchen, so scheint es, sind Nutztiere für die Psyche geworden. Etwas zum Liebhaben in einer ungewissen Zeit.
Der Boom hat aber auch praktische Gründe. Menschen im Homeoffice wollen ihre Präsenz daheim nutzen, um einen Welpen stubenrein zu bekommen oder eine junge Katze einzugewöhnen. Andere haben schon länger mit dem Gedanken gespielt, sich durchs Gassigehen zu mehr Bewegung zu verpflichten. Die Corona-pfunde geben den letzten Anstoß. „Da ist jemand, um den ich mich kümmern kann, und: Dann komm ich endlich vor die Tür“sind die häufigsten Tierbeschaffungsgründe, die Timo Franzen, Leiter des Düsseldorfer Tierheims, hört – mit oder ohne Pandemie. Ob der Tierwunsch reiflich überlegt ist oder ein Wunsch, der nicht für die Dauer eines Tierlebens trägt, müssen Mitarbeiter in Tierheimen bei jeder Vermittlung aufs Neue herausfinden. „Wir fragen die Leute genau, warum sie sich für ein Tier interessieren“, sagt Franzen, „Anfragen, in denen vorkommt ,Hab ich meiner Tochter versprochen’, gehen selten gut aus.“
Doch gibt es natürlich Verkäufer junger Tiere, die weniger genau nachfragen. „Die Gefahr ist groß, dass sich viele Menschen unüberlegt im Zoofachhandel, beim Züchter oder im schlimmsten Fall über dubiose Internetangebote ein Tier angeschafft haben“, sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. „Über kurz oder lang könnten diese Tiere ihren Besitzern wieder lästig werden und dann direkt im Tierheim abgegeben oder ausgesetzt werden.“Zum Beispiel, wenn die Homeoffice-zeit endet oder doch wieder ein Urlaub ansteht.
Wenn Tiere bloß Ersatz für die gerade eingeschränkten Kontakte zu Menschen sein sollen, taugen sie nicht als Nutztiere für die Seele. „Haustiere bieten eine andere Art von Partnerschaft und Freundschaft als Menschen“, sagt die Historikerin Mieke Roscher, Professorin für Sozial- und Kulturgeschichte an der Uni Kassel. Hunde etwa gingen willig Beziehungen ein, seien anhänglich, sozial und forderten nicht vom Menschen, so oder so zu sein. „Tiere nehmen dem Menschen also die Last, sich rechtfertigen zu müssen, und lassen ihm emotionale Sicherheit“, sagt Roscher. Tiere bewerten und verurteilen nicht, das macht sie zu treuen Gefährten. Und das tut gerade in Corona-zeiten gut, in denen diverse Erwartungen gleichzeitig zu erfüllen sind. „Beim Tier dürfen Sie auch mal aus der Rolle fallen, spielen, streicheln, emotional sein. Tiere schenken diese Art von Freiheit.“
Laut Roscher hat sich eine spezifische Mensch-tier-kommunikation herausgebildet, besonders ausgeprägt beim Hund, der schon mehr als 20.000 Jahre an der Seite von Menschen lebt. „Tiere wollen kommunizieren. Sie sprechen nicht, aber sie hören zu und wollen sich auf körperliche Art ausdrücken“, sagt Roscher. Katzen etwa nutzten bestimmte Miau-töne nur gegenüber Menschen. Und die lassen sich umgekehrt auf die Sprache von Tieren ein, etwa indem sie streicheln oder mit Leckerlis loben. Diese ganz eigene Art der Begegnung ist also kein Ersatz für zwischenmenschlichen Austausch, trotzdem kann er Leere füllen.
Schon in der Antike oder im Mittelalter gab es Leute, die mit Tieren lebten, ohne dass die einen Zweck erfüllen mussten – wie wachen oder als Nahrungsmittel herhalten. „In früheren Zeiten war ein zweckfreies, emotionales Verhältnis aber bestimmten Personen vorbehalten“, sagt Roscher. Adlige hielten sich den Schoßhund, Bauern nur Vieh. Im 19. Jahrhundert eroberte sich das Bürgertum das Recht auf eine emotionale Beziehung zum Tier, nach dem Zweiten Weltkrieg dann jeder. „Inzwischen hat sich der Blick darauf, was wir als Beziehung leben dürfen, stark geweitet“, sagt Roscher. „Heute kann man sagen, ich habe einen Hund, ohne anfügen zu müssen, dass er aufs Haus aufpasst.“Ein Haustier zu besitzen, ist also auch ein Zeichen der Liberalisierung der Gesellschaft.
Während der Pandemie treten soziale Unterschiede krasser hervor. Vielen bereiten Spaltungstendenzen Sorge. Am Ende der Leine aber scheinen alle Menschen gleich. Auch auf die Gesellschaft können Tiere also versöhnlich wirken. Doch entlässt das nicht aus der individuellen Verantwortung bei der Frage, ob ein Leben mit Tier langfristig realistisch ist – oder nur ein kurzer Reflex auf Corona.
„Tiere sprechen nicht, aber sie hören zu und wollen sich auf körperliche Art ausdrücken“Mieke Roscher Professorin für Sozial- und Kulturgeschichte