Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Putins wahres Problem
Wladimir Putins willige Helfer in der Justiz haben einmal mehr kurzen Prozess gemacht. Alexej Nawalny, der schärfste Gegner des russischen Präsidenten, wird auf lange Zeit hinter Gittern verschwinden. Dreieinhalb Jahre Haft verhängte ein Moskauer Gericht. Jenseits aller Verhältnismäßigkeit wandelte die Kammer eine Bewährungsstrafe aus dem Jahr 2014 in einen Freiheitsentzug um, weil sich der vergiftete Nawalny angeblich nicht rechtzeitig bei den Behörden gemeldet hatte. Wer ein derart willkürliches Urteil fällen kann, wird sich im Zweifel nach Ablauf der Strafe etwas Neues einfallen lassen, um Nawalny weiter wegsperren zu können. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass der Kreml die Rechnung diesmal ohne das russische Volk gemacht hat. Die Proteste der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass der Unmut vor allem in der jungen Generation groß ist. Aber auch die Älteren murren. 2018 setzte Putin eine Rentenreform durch, die auf längeres Arbeiten und weniger Geld hinauslief. Eine Alternative hatte der Kreml aber nicht.
Tatsächlich ist Putins größtes Problem nicht Nawalny, sondern die immer wieder beschworene, aber genauso oft aufgeschobene Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Regime der „Gauner und Diebe“, das Nawalny in seinen Enthüllungsvideos vorführt, ist zu echten Reformen schlicht nicht in der Lage. Denn dafür müssten die Regierenden die Menschen im Land aktivieren. Sie zielen aber auf Einschläferung ab, um ungestört herrschen und sich schamlos bereichern zu können. Dieses System wird eher früher als später an seine Grenzen stoßen. Der Hurra-patriotismus aus der Zeit nach der Krim-annexion ist erloschen, und neue militärische Abenteuer kann sich Russland kaum leisten. Es wird für Putin deshalb nicht damit getan sein, Nawalny wegsperren zu lassen. BERICHT DIE STRAFE FÜRS ÜBERLEBEN, POLITIK