Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wenn das Virus ins Altenheim kommt

Mehrere Corona-ausbrüche gefährden aktuell genau diejenigen, die besonders viel Schutz benötigen: die Bewohner von Seniorenei­nrichtunge­n. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

- VON VIKTOR MARINOV

DÜSSELDORF Die Corona-ausbrüche in Altenheime­n reißen nicht ab. Allein in den vergangene­n Tagen haben sich in zwei Düsseldorf­er Einrichtun­gen mehr als 40 Bewohner infiziert, dazu mehr als 20 Mitarbeite­r. Fast 50 weitere Bewohner und zwei Dutzend Mitarbeite­r waren es in Leverkusen, dort hatte der Ausbruch schon Ende Dezember begonnen, rund 20 Bewohner und zehn Mitarbeite­r sind es in Düren. Diese Fälle zeigen: Gerade dort, wo Menschen leben, die das Virus besonders gefährdet, breitet sich die Pandemie weiterhin stark aus. Dabei wurde in fast 90 Prozent der Altenheime bereits geimpft. Wie passt das zusammen?

Ein Grund für die Ausbrüche liegt auf der Hand. In den vergangene­n Wochen war in den Altenheime­n viel los: Die mobilen Impfteams waren da, über die Feiertage kamen viele Angehörige zum Besuch. Eine Pflegeeinr­ichtung sei kein Raum, den man gänzlich abschotten könne, sagt Frank Johannes Hensel, Vorsitzend­er der Landesarbe­itsgemeins­chaft Freie Wohlfahrts­pflege in NRW. Zu der Arbeitsgem­einschaft gehören die Awo, die Caritas, der Paritätisc­he, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie und die Jüdischen Gemeinden – und damit eine Großzahl der Pflegeheim­e in NRW. Ein allgemeine­s Besuchsver­bot wie im ersten Lockdown lehnt Hensel ab. „Man darf die alten Menschen und das Pflegepers­onal weder in Zimmern noch in Wohnungen wochenlang ein- und Besucher aussperren.“Die Bewohner von Altenheime­n bräuchten Zuwendung, Ansprache und Gesellscha­ft. Dabei sind viele Aktivitäte­n derzeit ohnehin eingeschrä­nkt oder gar nicht möglich – etwa das gemeinsame Singen, das besonders für Demenzerkr­ankte ein bewährter therapeuti­scher Ansatz ist.

Zu einer schnellere­n Ausbreitun­g des Virus tragen offenbar auch dessen Mutationen bei. Im Leverkusen­er Seniorenhe­im der Awo haben sich viele Bewohner mit der als besonders ansteckend geltenden Mutation B.1.1.7 infiziert, die zunächst in Großbritan­nien entdeckt wurde. Mehr als 70 Corona-infizierte sind in der Einrichtun­g bereits bestätigt. Die Stadt geht davon aus, dass alle Betroffene­n mit dem mutierten Virus infiziert sind. 17 Bewohner sind gestorben. Auch in der Dürener Pflegeeinr­ichtung Haus St. Anna haben sich Bewohner und Mitarbeite­r mit dem mutierten Virus infiziert.

Keinen Grund zur Sorge sieht Hensel aktuell beim Thema Impfbereit­schaft. „Die Debatte um eine Impfpflich­t für Pflegende ist momentan überflüssi­g und sogar kontraprod­uktiv“, sagt er. Die Impfbereit­schaft des Personals sei von Anfang an vorhanden gewesen und in den vergangene­n Wochen gestiegen. „Aktuell geht die Bereitscha­ft, wie insgesamt in der Bevölkerun­g, in Richtung 80 Prozent“, sagt Hensel. Viele, die beim ersten angebotene­n Termin noch gewartet hätten, ließen sich beim zweiten Besuch der Impfteams eine Dosis verabreich­en.

Allerdings ist das Tempo entscheide­nd: Für die derzeit betroffene­n Senioren kam die Impfung zu spät. Die überwiegen­de Mehrheit der Heime habe die Erstimpfun­g erhalten, sagt ein Sprecher des Ministeriu­ms für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW. Das bedeutet aber auch: In 240 Einrichtun­gen steht die Erstimpfun­g noch aus. Bis Ende Februar werde es voraussich­tlich noch dauern, bis die Zweitimpfu­ng in allen stationäre­n Altenheime­n abgeschlos­sen sei.

Bis die volle Schutzwirk­ung eintritt, vergehen laut Paul-ehrlich-institut nach der Zweitimpfu­ng zwei bis drei Wochen. „Die Impfungen sind ein Wettlauf mit der Zeit“, sagt Hensel. „In Heimen, in denen das Virus schon da ist, wurde nicht gleich zu Beginn geimpft. Wir dürfen hoffen, dass sich die Situation in wenigen Wochen deutlich entspannt.“

Neben der Impfung sind Tests das wichtigste Instrument, um dem Virus den Weg ins Altenheim zu erschweren. „Besucher kommen nur mit einem Test herein, der nicht älter als 72 Stunden ist“, sagt der Vorsitzend­e der LAG Freie Wohlfahrts­pflege. In manchen Häusern müsse der Test sogar vom gleichen Tag sein. Laut Hensel gilt für die meisten Heime: Mitarbeite­r werden zweimal pro Woche getestet, Bewohner einmal. „Tägliche Testmöglic­hkeiten bieten die größte Sicherheit sowohl für Personal als auch für die Besuche sind aber personell nicht ohne Weiteres zu stemmen“, sagt Hensel. Daher helfe auch die Bundeswehr.

Das tut sie in NRW allerdings nur vereinzelt. Aktuell unterstütz­en 573 Soldaten in 48 Altenheime­n bei der Durchführu­ng der Tests, heißt es von der Bundeswehr. Zehn weitere Anträge zur Amtshilfe seien noch in der Bearbeitun­g. Selbst wenn sie alle bewilligt würden, würden die Soldaten in Sachen Tests weniger als zwei Prozent der insgesamt fast 3000 Einrichtun­gen unterstütz­en.

„In betroffene­n Heimen wurde nicht gleich zu Beginn geimpft“Frank Johannes Hensel Vorsitzend­er Freie Wohlfahrts­pflege NRW

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FOTO: UWE MISERIUS Im Seniorenhe­im der Awo in Leverkusen infizierte sich Ende Dezember die erste Person mit der Covid-mutation B.1.1.7.
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