Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wenn das Virus ins Altenheim kommt
Mehrere Corona-ausbrüche gefährden aktuell genau diejenigen, die besonders viel Schutz benötigen: die Bewohner von Senioreneinrichtungen. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.
DÜSSELDORF Die Corona-ausbrüche in Altenheimen reißen nicht ab. Allein in den vergangenen Tagen haben sich in zwei Düsseldorfer Einrichtungen mehr als 40 Bewohner infiziert, dazu mehr als 20 Mitarbeiter. Fast 50 weitere Bewohner und zwei Dutzend Mitarbeiter waren es in Leverkusen, dort hatte der Ausbruch schon Ende Dezember begonnen, rund 20 Bewohner und zehn Mitarbeiter sind es in Düren. Diese Fälle zeigen: Gerade dort, wo Menschen leben, die das Virus besonders gefährdet, breitet sich die Pandemie weiterhin stark aus. Dabei wurde in fast 90 Prozent der Altenheime bereits geimpft. Wie passt das zusammen?
Ein Grund für die Ausbrüche liegt auf der Hand. In den vergangenen Wochen war in den Altenheimen viel los: Die mobilen Impfteams waren da, über die Feiertage kamen viele Angehörige zum Besuch. Eine Pflegeeinrichtung sei kein Raum, den man gänzlich abschotten könne, sagt Frank Johannes Hensel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege in NRW. Zu der Arbeitsgemeinschaft gehören die Awo, die Caritas, der Paritätische, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie und die Jüdischen Gemeinden – und damit eine Großzahl der Pflegeheime in NRW. Ein allgemeines Besuchsverbot wie im ersten Lockdown lehnt Hensel ab. „Man darf die alten Menschen und das Pflegepersonal weder in Zimmern noch in Wohnungen wochenlang ein- und Besucher aussperren.“Die Bewohner von Altenheimen bräuchten Zuwendung, Ansprache und Gesellschaft. Dabei sind viele Aktivitäten derzeit ohnehin eingeschränkt oder gar nicht möglich – etwa das gemeinsame Singen, das besonders für Demenzerkrankte ein bewährter therapeutischer Ansatz ist.
Zu einer schnelleren Ausbreitung des Virus tragen offenbar auch dessen Mutationen bei. Im Leverkusener Seniorenheim der Awo haben sich viele Bewohner mit der als besonders ansteckend geltenden Mutation B.1.1.7 infiziert, die zunächst in Großbritannien entdeckt wurde. Mehr als 70 Corona-infizierte sind in der Einrichtung bereits bestätigt. Die Stadt geht davon aus, dass alle Betroffenen mit dem mutierten Virus infiziert sind. 17 Bewohner sind gestorben. Auch in der Dürener Pflegeeinrichtung Haus St. Anna haben sich Bewohner und Mitarbeiter mit dem mutierten Virus infiziert.
Keinen Grund zur Sorge sieht Hensel aktuell beim Thema Impfbereitschaft. „Die Debatte um eine Impfpflicht für Pflegende ist momentan überflüssig und sogar kontraproduktiv“, sagt er. Die Impfbereitschaft des Personals sei von Anfang an vorhanden gewesen und in den vergangenen Wochen gestiegen. „Aktuell geht die Bereitschaft, wie insgesamt in der Bevölkerung, in Richtung 80 Prozent“, sagt Hensel. Viele, die beim ersten angebotenen Termin noch gewartet hätten, ließen sich beim zweiten Besuch der Impfteams eine Dosis verabreichen.
Allerdings ist das Tempo entscheidend: Für die derzeit betroffenen Senioren kam die Impfung zu spät. Die überwiegende Mehrheit der Heime habe die Erstimpfung erhalten, sagt ein Sprecher des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW. Das bedeutet aber auch: In 240 Einrichtungen steht die Erstimpfung noch aus. Bis Ende Februar werde es voraussichtlich noch dauern, bis die Zweitimpfung in allen stationären Altenheimen abgeschlossen sei.
Bis die volle Schutzwirkung eintritt, vergehen laut Paul-ehrlich-institut nach der Zweitimpfung zwei bis drei Wochen. „Die Impfungen sind ein Wettlauf mit der Zeit“, sagt Hensel. „In Heimen, in denen das Virus schon da ist, wurde nicht gleich zu Beginn geimpft. Wir dürfen hoffen, dass sich die Situation in wenigen Wochen deutlich entspannt.“
Neben der Impfung sind Tests das wichtigste Instrument, um dem Virus den Weg ins Altenheim zu erschweren. „Besucher kommen nur mit einem Test herein, der nicht älter als 72 Stunden ist“, sagt der Vorsitzende der LAG Freie Wohlfahrtspflege. In manchen Häusern müsse der Test sogar vom gleichen Tag sein. Laut Hensel gilt für die meisten Heime: Mitarbeiter werden zweimal pro Woche getestet, Bewohner einmal. „Tägliche Testmöglichkeiten bieten die größte Sicherheit sowohl für Personal als auch für die Besuche sind aber personell nicht ohne Weiteres zu stemmen“, sagt Hensel. Daher helfe auch die Bundeswehr.
Das tut sie in NRW allerdings nur vereinzelt. Aktuell unterstützen 573 Soldaten in 48 Altenheimen bei der Durchführung der Tests, heißt es von der Bundeswehr. Zehn weitere Anträge zur Amtshilfe seien noch in der Bearbeitung. Selbst wenn sie alle bewilligt würden, würden die Soldaten in Sachen Tests weniger als zwei Prozent der insgesamt fast 3000 Einrichtungen unterstützen.
„In betroffenen Heimen wurde nicht gleich zu Beginn geimpft“Frank Johannes Hensel Vorsitzender Freie Wohlfahrtspflege NRW