Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Strafe fürs Überleben
Alexej Nawalny wird in Moskau zu einer Haftstrafe verurteilt. Seinen Auftritt im Gerichtssaal nutzt der Oppositionelle, um Präsident Putin zu verspotten: Der werde als „Wladimir, der Vergifter der Unterhosen“in die Geschichte eingehen.
MOSKAU (dpa) Der Kremlkritiker Alexej Nawalny muss nach einem Urteil eines Moskauer Gerichts dreieinhalb Jahre in ein Straflager. Der 44-Jährige habe mehrfach gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren von 2014 verstoßen, teilte das Gericht mit. Deshalb wurde eine Bewährungs- in eine echte Haftstrafe umgewandelt. „Ich war in Deutschland in Behandlung“, hatte Nawalny dazu im Gerichtssaal vor dem Urteil der vom Kreml eingesetzten Richterin Natalia Repnikowa gesagt. Der Gegner von Präsident Wladimir Putin hatte sich in Berlin und Baden-württemberg fünf Monate lang von einem Anschlag mit dem Kampfstoff Nowitschok erholt.
Nawalny, der das Urteil still aufnahm, nutzte seinen emotionalen Auftritt vor Gericht für einen neuen Angriff auf Putin. Der Präsident werde als „Wladimir, der Vergifter der Unterhosen“in die Geschichte eingehen, sagte Nawalny. Er erinnerte daran, dass er im August nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift überlebte. Für das Attentat macht er Putin und Agenten des Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Das „Killerkommando“soll seine Unterhose mit dem Gift benetzt haben. „Sein einziges Kampfinstrument ist das Töten“, sagte Nawalny über Putin. Nawalny sieht den Prozess als Strafe des Kreml dafür, dass er nicht gestorben ist. Putin und der FSB hatten die Anschlagsvorwürfe zurückgewiesen.
Richterin Repnikowa forderte den Oppositionellen auf, vor Gericht keine Politik zu machen. Nawalny dagegen appellierte an die Menschen, ihre Angst zu überwinden. Vor Ort agierte ein beispielloses Polizeiaufgebot. Hundertschaften der auf Anti-terror-einsätze spezialisierten Sonderpolizei Omon bewachten das Moskauer Stadtgericht und sperrten es weiträumig mit Metallgittern ab. Die Staatsmacht rüstete sich so gegen Proteste von Nawalnys Unterstützern. Das unabhängige Portal Ovdinfo.org berichtete von mehr als 300 Festnahmen allein am Dienstag. Am Abend wurde auch das Zentrum in Moskau samt Rotem Platz abgeriegelt.
Es gab schon vor Beginn der Verhandlung erste Festnahmen, darunter zahlreiche Journalisten. Die Zufahrtsstraßen zum Gerichtsgebäude waren gesperrt, es standen Dutzende Gefangenentransporter bereit. Auch berittene Polizei war zu sehen.
Zum Prozess kam auch Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja, die eine schwarze Gesichtsmaske trug. Nawalny stand in einem Glaskasten im
Gerichtssaal und sprach mit seiner Frau, wie der Internetkanal Doschd berichtete. „Sie haben dich im Fernsehen in meiner Zelle gezeigt und erzählt, dass du ständig die öffentliche Ordnung störst. Böses Mädchen! Ich bin stolz auf dich“, sagte er demnach. Nawalnaja war bei den Protesten zuletzt zweimal festgenommen worden. Am Montag wurde sie zu 20.000 Rubel (219 Euro) Geldstrafe verurteilt. Bei der Urteilsverkündung weinte die 44-Jährige.
Viele Experten sehen in dem Prozess einen neuen Versuch, den prominentesten Gegner Putins zum Schweigen zu bringen. In der Zeit in Deutschland, als Nawalny sich von dem Attentat erholte, soll er sich – anders als in dem früheren umstrittenen Strafverfahren vorgeschrieben – nicht bei den russischen Behörden gemeldet haben. Der Strafvollzug hatte ihn deshalb zur Fahndung ausgeschrieben und angekündigt, eine Umwandlung der Bewährungs- in eine Haftstrafe anzustreben. Der Strafvollzug hatte dreieinhalb Jahre Gefängnis für den Oppositionellen gefordert.