Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Mit E-charisma das Netz erobern
Die eigene Persönlichkeit zur Geltung zu bringen, ist in Videokonferenzen eine Herausforderung. Aber es gibt Hoffnung.
Kollege L. schaut einen von oben herab an. Kollege K. hat sich mehr zu unseren Füßen sortiert. Kollege G. rückt uns gefährlich auf die Pelle. Kollegin H. hingegen treffen wir auf Augenhöhe an, ohne Unterschreitung des Sicherheitsabstands, als säßen wir vis-àvis. Wie früher im Konferenzraum. Tun wir aber nicht. Willkommen in der schönen, nicht mehr ganz so neuen Welt der virtuellen Meetings.
Seit die Fallzahlen auf der nach oben offenen Corona-skala bedenkliche Höhen erreicht haben, scheint der Rückzug in die eigenen vier Wände dringlicher denn je. Wer jetzt kein Homeoffice hat, baut sich – frei nach Rilke – keines mehr? Mitnichten. Viele Büromenschen machen in diesen Tagen bei Videokonferenzen eine Erfahrung, die andere schon vor ihnen gesammelt haben: Die persönliche Ausstrahlung leidet. Nein, sie lässt sich auch nicht durch die Helligkeit des Bildschirms verbessern.
Wenn es stimmt, was Psychologen behaupten, dass nämlich die Körpersprache 55 Prozent der Kommunikation ausmacht, 38 Prozent der Tonfall und sieben Prozent das gesprochene Wort, dann gibt es ein Problem. Denn die ganzen prallen 100 Prozent lassen sich kaum durch eine dünne Leitung pressen, und sie passen schon gar nicht auf eine kleine Mattscheibe. Die schöne Selbstoptimierung – alles für die Katz?
Keineswegs. Die Anstrengungen, sich stilvoll zu präsentieren, müssen allerdings www-wirksam justiert werden. Elektronisches Charisma ist gefragt. Bedeutet: Große, breitbeinige Typen können sich nicht mehr auf ihren physischen Vorteil verlassen, sanfte zurückhaltende Wesen kommen vielleicht groß raus. Was jetzt zählt, ist das:
Blickkontakt Ich schau dir in die Augen, Kleines – aber das Gegenüber merkt nichts davon? Das liegt daran, dass wir dazu neigen, beim Sprechen statt der Kamera die Gestalten auf dem Bildschirm zu fixieren. Am besten, man klebt eine kleine Markierung nahe der Linse auf. Auch das kann den natürlichen, vertrauensbildenden Blickkontakt nicht ersetzen. Personalisierte Ausführungen helfen: „Carla hat eben etwas Interessantes angedeutet. Etwas Ähnliches hatte Philipp schon erwähnt.“Ein kurzer Kommentar zu den Worten des Vorredners macht den Online-dialog geschmeidiger und verleiht der Ansprache Souveränität.
Aufnahme Kein Fotograf macht sympathische Porträts von tief unten. Der E-charismatiker unterlässt es entsprechend tunlichst, sich aus dieser Warte aufzunehmen. Idealerweise befindet sich die Kamera etwa in der Höhe des Gesichts. Dieses wiederum sollte nicht wie ein Vollmond den Bildschirm füllen, aber auch nicht weniger als ein Drittel davon einnehmen. Die Position frontal in der Mitte ist die der Wahl, sonst könnten Spötter behaupten, man linse wie ein Chamäleon um die Ecke, das gerade seine Zunge zum Erhaschen einer Fliege spannt.
Licht Eine gute Beleuchtung ist dann eine gute Beleuchtung, wenn es weder so wirkt, als hocke man in einer düsteren Bahnhofskaschemme, noch als werde man gerade Zeuge eines thermonuklearen Erstschlags.
Sprache Unnötig zu betonen, dass es darauf ankommt, langsam, deutlich und betont zu sprechen. Langsamer rumbrüllen indes macht die Sache keineswegs besser, der E-charismatiker hat so etwas ohnehin nicht nötig. Er lächelt beim Sprechen – sogar, wenn er gar nicht zu sehen ist. Ein Lächeln macht jede Stimme sympathischer. Interessant sind auch die Pausen: Im virtuellen Konferenzraum ist es schwierig auszumachen, ob jemand mit seinem Statement fertig ist. Daher gilt es, Stille aushalten zu lernen. Die anderen quatschen früh genug dazwischen. Kleidung Eine Videokonferenz ist kein privater Whatsapp- oder Facetime-call. Man sieht ja sowieso nur ein bisschen obenrum? Irrtum. Denn auch dieses Detail lässt Rückschlüsse auf den persönlichen Gesamtzustand zu. Auch E-charisma entsteht durch die Summe vieler Dinge, selbst wenn jedes für sich nicht unbedingt wahrgenommen wird. Deshalb: Ein gepflegtes Äußeres (Zähneputzen nicht vergessen) und ein nicht zu lässiges Outfit sind Pflicht. Kleide dich umso schicker, je trüber der Tag ist, lautet ein Sprichwort. Und Homeoffice-tage können sehr, sehr trübe sein. Ein akkurater Auftritt lindert ihre Wirkung aufs eigene Gemüt. Eine Jogginghose vermag dies nicht, was aber offenbar noch zu wenige Heimarbeiter beherzigen: Der Anteil solcher Beinkleider, die nicht für sportliche Zwecke erworben werden, ist im vergangenen Corona-jahr von 40 Prozent auf 50 Prozent gestiegen. Dabei gilt noch unvermindert der alte Spruch des Modezaren Karl Lagerfeld: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Hintergrund Corona mag physisches Social Distancing erfordern – virtuell kommen wir uns teilweise näher als im echten Leben. Ein neutraler Hintergrund hilft, die Privatsphäre zu schützen. Einige Konferenz-apps machen überdies virtuelle Umgebungen möglich. Es muss ja nicht gleich Karneval in Rio sein. Eine Warnung an Mitbewohner, dass der häusliche Bereich für die nächsten 45 Minuten videoüberwacht sein wird, kann sich als extrem nützlich erweisen, insbesondere zu den Ankleidezeiten.
Achtung, Kamera! Noch wichtiger: die Symbole für das eingeschaltete Mikrofon und die laufende Kamera niemals aus dem Blick verlieren! Versäumnisse produzieren peinlichste Momente, ruinieren gar Karrieren. Klug wäre es auch, mit dem Deaktivieren elektronischer Filter vertraut zu sein, die das eigene Aussehen auf lustige Weise verändern. Lizet Ocampo von der Organisation „People for the American Way“war es nicht. So konferierte sie als Kartoffel mit ihren Mitarbeitern. E-charisma kam hier etwas kurz.