Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Wasserstoff ist ein wunderbarer Energieträger“
REINHARD HÜTTL In Düsseldorf soll an der Mobilität der Zukunft und an neuen Antrieben gearbeitet werden. Der Geschäftsführer sieht große Möglichkeiten.
Herr Professor Hüttl, ist es nicht irrwitzig, dass wir uns mitten in Lockdown-zeiten über Mobilität unterhalten?
HÜTTL Nein, weil es ein ganz wichtiges Thema ist und bleiben wird. Und die Situation hat sich nicht wegen der Pandemie verändert. Das Ziel, Europa im Jahr 2050 als ersten Kontinent klimaneutral zu machen, stellt uns vor große Herausforderungen.
Sie forschen unter anderem über Wasserstoff als neue Energiequelle beziehungsweise Treibstoff. Was ist daran für die Zukunft erfolgversprechend?
HÜTTL Unsere Energieversorgung heute setzt sich zusammen aus knapp 30 Prozent Strom; den Rest beziehen wir aus sogenannten stofflichen Energieträgern wie Gas, Öl und Kohle – allerdings mit abnehmender Tendenz. Für eine zukünftige Co2-neutrale Energieversorgung ist es wichtig, einen Energieträger zu haben, der diese Rohstoffe in allen Bereichen unserer Wirtschaft ersetzen kann. Und das ist Wasserstoff. Der eignet sich technisch sowohl für den Antrieb von Fahrzeugen als auch zur Wärmeerzeugung mit einer Brennstoffzelle. In dem Sinne ist Wasserstoff – auch als Speichermedium – eine neue Option.
Warum findet Wasserstoff dann so wenig Anwendung? In Deutschland sind gerade einmal 500 wasserstoffbetriebene Autos unterwegs. HÜTTL Realistisch können die gesteckten Klimaziele aktuell nur über Elektromobilität erzielt werden, das heißt also mit batteriebetriebenen Fahrzeugen. Dadurch ist die Option der Brennstoffzelle aus meiner Sicht zu Unrecht in den Hintergrund getreten. Aber hier stehen wir vor einem technologischen Durchbruch. Die Brennstoffzelle wird sich durchsetzen. Wir haben in Deutschland einen Fahrzeugbestand von 43 Millionen Pkw, darunter ein paar Hunderttausend Elektromobile. Um die vielen Fahrzeuge mit klassischen Verbrennungsmotoren klimafreundlich zu betreiben, brauchen wir synthetische Kraftstoffe. Und dabei ist Wasserstoff eine wichtige Komponente.
Werden Fahrzeuge, die mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, in absehbarer Zeit auch erschwinglich sein?
HÜTTL Davon gehe ich aus. Wir unterstützen derzeit mit enormem Aufwand die Entwicklung und den Ausbau der Elektromobilität. Wenn wir ähnliche Aktivitäten im Bereich des Wasserstoffs entfalten würden, halte ich es für absolut realistisch, Fahrzeuge zu vernünftigen Preisen anbieten zu können und unsere Mobilität in eine komplette Wasserstoffmobilität zu überführen.
Wird Wasserstoff irgendwann den Elektroantrieb auch ablösen? HÜTTL Wasserstoff ist ein wunderbarer Energieträger. Es hat nur den Nachteil, dass eine große Menge Energie notwendig ist, um Wasserstoff herzustellen.
Das klingt erst einmal nicht sehr zukunftsträchtig.
HÜTTL Wenn es gelingt, Strom zu geringen Preisen anzubieten, wird vieles machbar. Wir werden unseren Bedarf vor allem an grünem – also ökologisch hergestelltem – Wasserstoff nicht allein in Deutschland decken können. Wir müssen einen Teil auch importieren. Wir haben dafür Optionen etwa in Südeuropa, Afrika, Australien und Zentralasien.
Wie gut ist die deutsche Automobilindustrie in der Wasserstoffforschung aufgestellt? Sie selbst sind Aufsichtsratsmitglied bei BMW.
HÜTTL Das Wasserstoffauto wird weiterentwickelt, und es gibt hier auch internationale Kooperationen mit Toyota. Dazu ein paar Zahlen: In Deutschland fährt ein Auto im Schnitt neun bis zehn Jahre und danach oft noch viele Jahre in anderen Ländern. Die Lebensdauer beträgt damit im Schnitt 25 Jahre. Weltweit werden pro Jahr 70 bis 80 Millionen Fahrzeuge neu gebaut, die zum allergrößten Teil konventionell betrieben werden. Das ist eine Riesenaufgabe, wenn wir nicht nur in Europa Klimaneutralität anstreben wollen.
Wann wird man denn sagen können, dass in Deutschland der Wasserstoff die Steinkohle oder das Öl der Zukunft ist?
HÜTTL Als Zwischentechnologie dürfte erst noch das Erdgas wichtig werden. Aber Wasserstoff ist ein guter Kandidat. Vor allem muss man sehen, dass wir in NRW eine ganze Reihe hervorragender und international führender Forschungseinrichtungen und Unternehmen haben, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Und mit dem neuen Technologiezentrum, dem Euref-campus in Düsseldorf, wollen wir eine Struktur schaffen, die den Austausch möglich macht und relevante Akteure zusammenbringt.
Wann wird der Campus Realität? HÜTTL Das Unternehmen Schneider Electric wird 2023 seinen Firmensitz von Ratingen auf den Düsseldorfer Campus verlagern. Damit beginnt es. Und es gibt eine Reihe weiterer Interessenten. Zudem stehen wir im engen Kontakt mit den Düsseldorfer Stadtwerken. Wir werden Windkraft nutzen und auf den Dächern Solarzellen installieren. In zwei Jahren wird der Campus mit vielleicht 3500 Mitarbeitern aus verschiedenen Unternehmen und Start-ups starten können.
Nun hat das Kuratorium des Deutschen Geo-forschungszentrums Sie von Ihrem Amt als wissenschaftlichen Vorstand und als Sprecher des Vorstands abberufen. Der Grund sind Vorwürfe wegen des Umgangs mit Finanzmitteln, die auch Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Neuruppin sind. Wie stellen sich die Vorwürfe für Sie dar?
HÜTTL Es ist mir tatsächlich nicht klar, was genau mir eigentlich vorgeworfen wird. Es besteht noch keine Akteneinsicht. Ich bin mir sicher, dass sich alles aufklären wird.