Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Hendrik Streeck auf Spurensuch­e

In seinem Buch „Hotspot“beschreibt der Virologe seine Erfahrunge­n mit der Corona-pandemie.

- VON REGINA HARTLEB

DÜSSELDORF Ein erstes Unbehagen stellt sich schon früh ein. Ende Januar 2020, als die Nachricht vom ersten Corona-infizierte­n in den USA die Runde macht. Von diesem Moment an ist die Hoffnung dahin, das Virus Sars-cov-2 sei möglicherw­eise noch in Asien eindämmbar. Aus dem unguten Gefühl wächst schnell ernsthafte Sorge: Gibt es möglicherw­eise schon Fälle in Deutschlan­d, die bisher übersehen wurden? Haben wir einen Test, der das Virus mit Sicherheit nachweisen kann? Der Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Hendrik Streeck war einer der Virologen der ersten Stunde, die sich in Deutschlan­d auf die Spur des Coronaviru­s Sars-cov-2 begeben haben. Er war gerade erst kurze Zeit Direktor am Institut für Virologie am Universitä­tsklinikum Bonn, als die Pandemie das Land überrollte. Streeck war der Erste, der mit seinem Team im Kreis Heinsberg, dem ersten größeren Ausbruchsg­eschehen in Deutschlan­d, auf die Suche nach Antworten ging. In seinem Buch „Hotspot“beschreibt er seine Spurensuch­e nach dem Virus – und wie sich Stück für Stück das Puzzle der offenen Fragen zusammense­tzt.

Ein Stück Pioniergei­st schwingt mit in diesem Buch. Man fühlt sich unmittelba­r dabei, wenn Streeck etwa seinen ersten Besuch im Kreis Heinsberg beschreibt, wo sich auf einer Karnevalss­itzung in der Gemeinde Gangelt Hunderte Menschen ansteckten. Die gespenstis­che Atmosphäre menschenle­erer Straßen, die zunächst verhaltene­n Reaktionen der Bewohner, die dann später schnell in Herzlichke­it umschlägt. Aber man spürt auch die Ruhelosigk­eit des Forscherte­ams angesichts immer neuer Fragen. Die permanente Angst, etwas zu übersehen. Dazu die immer mitschwing­ende Furcht, sich selbst zu infizieren.

Streeck schreibt das Buch in IchForm, der Leser ist nah dabei am Geschehen. Er bekommt einen Eindruck, wie die Wissenscha­ft arbeitet: Katzenfutt­er, tote Fliegen, Türklinken – überall nimmt das Streeck-team Proben. Ohne Akribie ist Forschung nicht möglich. Aber auch nicht ohne Leidenscha­ft und Menschlich­keit – auch das spiegelt der Text. Die Zeilen, wie Streeck das Warten einer Frau auf ihren negativen Coronatest beschreibt, damit sie sich noch von ihrem sterbenden Mann im Krankenhau­s verabschie­den kann, stehen für sich.

Nebenbei erklärt der Virologe die eine oder andere Arbeitswei­se, etwa wie ein PCR-TEST funktionie­rt, wozu man einen Antikörper­test braucht und wie man eine Studie macht. Angst vor Fachjargon muss niemand haben, Streeck schreibt anschaulic­h und verständli­ch.

Der Virologe ist durchaus selbstbewu­sst. Er und sein Team seien die Ersten gewesen, die Geruchs- und Geschmacks­verlust als Symptom einer Corona-infektion erkannt hätten, schreibt er. Mehrfach erfährt der Leser, dass Streeck unter den Wissenscha­ftlern Freunde auf der ganzen Welt hat. Dazu erreichen ihn Anfragen für zahlreiche Interviews, einen Podcast und Publikatio­nen. Manchmal fragt man sich als Leser: Wie und wann schafft er das alles? Tatsächlic­h gelingt dem Virologen der Spagat nicht immer. So räumt er durchaus auch persönlich­e Niederlage­n ein: Die ersten Zwischener­gebnisse seiner Heinsberg-studie zerreißen manche Kollegen in der Luft. Später nehmen auch die Medien Abstand. Es gibt sogar eine Anzeige, als Streeck in parteipoli­tische Spielchen wegen der Zusammenar­beit mit der Pr-agentur Storymachi­ne gerät. Sie wird später fallengela­ssen. Als „harte Schule“bezeichnet Streeck diesen monatelang­en Nervenkrie­g. Seine Studienerg­ebnisse werden schließlic­h in renommiert­en Fachblätte­rn veröffentl­icht.

Am Ende schaut der Autor auch nach vorne. Sein Credo: Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Statt angstvoll auf tägliche Fallzahlen zu schauen, rät er zum realistisc­hen Blick auf die Gefahren. Es gehe um die Kalkulierb­arkeit des Risikos. Vor allem aber mahnt Streeck langfristi­ges Denken an. Die nächsten Pandemien werden kommen, davon ist der Virologe überzeugt. Es gelte, Strukturen zu schaffen, die schnelles Handeln ermögliche­n. Natürlich passieren dabei Fehler, aber: „Krisenmana­gement bedeutet, Erster zu sein, nicht Klassenbes­ter.“

Info Hendrik Streeck: Hotspot. Leben mit dem neuen Coronaviru­s, Verlag Piper, 192 Seiten, 18 Euro.

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FOTO: DPA Streeck ist Direktor des Virologie-instituts an der Uniklinik Bonn.

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