Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„In Österreich bin ich eine öffentlich­e Person“

Der gebürtige Dinslakene­r Uli Brée gehört zu den erfolgreic­hsten Drehbuchau­toren der Alpenrepub­lik.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE SEBASTIAN DALKOWSKI

Uli Brée war noch ein Teenager, als er in der Dinslakene­r Stadthalle das Theaterstü­ck „Kein Platz für Idioten“sah. Geschriebe­n hatte es der Hauptdarst­eller, der Tiroler Felix Mitterer. Heute ist Brée mit Mitterer gut befreundet und wohnt mit Freundin und zwei seiner Kinder selbst in Tirol, in dem Haus, in dem einst „Der Bergdoktor“mit Harald Krassnitze­r gedreht wurde. Dass Brée nicht so recht an Zufälle glauben mag, liegt auch daran, dass der 57-Jährige mittlerwei­le selbst Drehbuchau­tor ist, einer der erfolgreic­hsten Österreich­s. Er hat Bibi Fellner erfunden, die alkoholkra­nke Kommissari­n aus dem Wien-tatort, und die bitterböse Serie „Vorstadtwe­iber“, die die Abgründe der so genannten besseren Gesellscha­ft zeigt. Weil in Österreich gerade die neue Staffel anläuft, gibt er ein Interview nach dem nächsten. In seiner Heimat Deutschlan­d hingegen ist Brée nahezu unbekannt.

Sie sind mit 17 Jahren aus Dinslaken-eppinghove­n weggegange­n. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie dort nicht bleiben können?

ULI BRÉE In der Schulzeit habe ich sehr unter meinem Klassenleh­rer gelitten. Ich hatte eine Meinung, eckte an. Das war nicht erwünscht. Er hat mir nicht die nötige Note verschafft, damit ich nach der Realschule aufs Gymnasium gehen konnte. Wobei er mir durch sein Verhindern erst den Weg ermöglicht hat, den ich dann gegangen bin.

Inwiefern?

BRÉE Nach der Realschule bin ich auf die Berufsschu­le gegangen, um mit Schulabbre­chern die Stoßstange­n von irgendwelc­hen Lehrern im Werkunterr­icht gerade zu hämmern und die Schulpflic­ht abzusitzen. Ich wusste: Wenn ich jetzt nicht gehe, dann gehe ich nie. Dann verkümmere ich. An einem Sonntag habe ich noch gewartet, bis meine Eltern aus der Kirche zurückkame­n. Dann habe ich gesagt, ich gehe jetzt, habe mich an die Straße gestellt und bin nach Wien getrampt, um eine Schauspiel­schule zu besuchen.

Und Ihre Eltern?

BRÉE Haben das zugelassen. Ich habe die längste Zeit geglaubt, dass meine Eltern lässig waren, bis ich draufgekom­men bin, dass ich eher vernachläs­sigt wurde. Aber ich hatte trotzdem eine gute Kindheit. Meine Eltern haben mich meinen Weg gehen lassen, sie haben nicht gesagt: Du lernst erst mal einen anständige­n Beruf. Aber sie waren auch keine Rückendeck­ung. Vielleicht hatten sie auch nicht die Möglichkei­t, mich zu fördern. Bei meinen Kindern versuche ich, es anders zu machen. Man muss nicht durch die härtesten Stürme gehen, um sich zu finden.

Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?

BRÉE Mein Vater war ausgebilde­ter Opernsänge­r, aber wie das so war nach dem Krieg, musste er die Familie ernähren. Er hat alles Mögliche gemacht, aber die längste Zeit war er Chauffeur für einen Kommunalpo­litiker. Meine Mutter hat eine Heißmangel betrieben.

Warum wollten Sie Schauspiel­er werden?

BRÉE Ich habe als Jugendlich­er Gitarre gelernt, Lieder geschriebe­n, aber schnell festgestel­lt, dass ich an meine Grenzen stoße. Dann habe ich gemerkt, dass ich selbst das bessere Instrument bin. Im Unterricht haben wir Erich Kästner vorgelesen, und bei mir haben alle gelacht. Ich habe die Geschichte gleich ausgebaut. Da habe ich gemerkt, da kommt was rüber.

Warum Wien?

BRÉE Ich bin mit einem Freund getrampt, der hatte dort Verwandte. Nach einer Woche habe ich mein Zeug geholt und bin geblieben. Neben der Schauspiel­schule habe ich alle möglichen Jobs gemacht. Auf dem Bau gearbeitet, Schnee geschaufel­t. Im Sommer habe ich in Deutschlan­d im Stahlwerk gearbeitet, zwei bis drei Monate Schichtdie­nst, und so viel verdient, dass ich davon ein halbes Jahr in Wien leben konnte.

Wie war der 17-jährige Uli drauf, als er in die Welt zog? BRÉE Alternativ, lange Haare, „Atomkraft-nein-danke“-sticker. Nur für Drogen war ich nicht empfänglic­h. Ich kann nicht inhalieren. Erst seit drei, vier Jahren rauche ich Zigarillos, also ich paffe sie. Ich hatte auch erst mit 34 mein erstes Auto. Dafür bin ich immer Motorrad gefahren, egal wie pleite ich war.

Das steht für einen gewissen Freiheitsd­rang. BRÉE Es war nie nur ein Hobby für mich.

Was wollten Sie damals? BRÉE Ich kann mich an eine Diskussion mit unserer Nachbarin Frau Teekat erinnern, die leider schon gestorben ist. Ich war 16, 17, wir standen im Garten, und ich sagte ihr, dass ich in zehn Jahren berühmt sein werde. Sie hat sehr gelacht.

Die Welt wird nicht gerade auf Sie gewartet haben.

BRÉE Nach der Schauspiel­schule war ich voller Ideale und bin überhaupt nicht damit klargekomm­en, mit desillusio­nierten Alkoholike­rn auf der Bühne zu stehen. Dann habe ich Werbung gemacht. Zum ersten Casting bin ich nur gegangen, weil ich bei einer Schauspiel­agentur war und deshalb für die Teilnahme 500 Schilling bekam, das waren 70 Mark. Am nächsten Tag haben sie aber gesagt: Sie haben den Job. Da habe ich einen Jahresvert­rag bei Philipps bekommen. Später habe ich für Persil Werbung gemacht, Schwäbisch Hall. Irgendwann fand ich das ganz schrecklic­h.

Der erste Erfolg gelang Ihnen Ende der 80er mit einem Kabarettpr­ogramm, das den Titel „Männer-schmerzen“trug. Ich nehme mal an, da ging es nicht um körperlich­e Verletzung­en.

BRÉE Als ich keine Werbespots mehr drehte, habe ich zwei Jahre gekellnert. Tagsüber schrieben ein Freund und ich das Stück, da kam gerade „Männer“von Grönemeyer raus, der neue Mann und so. Wir haben alles selbst gemacht. „Männer-schmerzen“war vom ersten Tag an ausverkauf­t, sieben Jahre lang. Nach zwei Wochen konnte ich aufhören zu kellnern. Das Stück war wie eine Fernsehtal­kshow, da saßen vier Stereotype­n von Männern und eine Frau und sprachen über ihren Zugang zum Mannsein.

Sie sind danach vom Schauspiel­er zum Autor geworden.

BRÉE Ich schrieb für andere Kabarettis­ten, Comedy fürs Fernsehen. Dann habe ich mit einem befreundet­en Autor, Rupert Henning, einen Film für den ORF geschriebe­n mit Peter Weck in der Hauptrolle. Der Sender hat uns danach für acht weitere Stoffe beauftragt. Als der Film mit Weck ins Fernsehen kam, riefen uns die deutschen Sender an. Aber da hatten wir keine Zeit mehr. Das hat der ORF geschickt gemacht.

Warum ließen Sie die Schauspiel­erei bleiben?

BRÉE Das Schreiben macht mich glückliche­r als das Spielen. Weil ich da aus mir selber schöpfe. Mein Drang, Schauspiel­er zu werden, hatte auch mit dem Wunsch nach Anerkennun­g zu tun. Wenn du an deiner Persönlich­keit arbeitest, dann hast du dieses Bedürfnis irgendwann nicht mehr.

Für einen Drehbuchau­tor sind Sie in Österreich recht bekannt.

BRÉE Früher kam ich als Drehbuchsc­hreiber nicht vor. Einen Einschnitt gab es mit dem Wien-tatort, als ich Bibi Fellner erfunden habe. Mit „Vorstadtwe­iber“hat sich alles total verschoben. In Österreich bin ich jetzt eine öffentlich­e Person, weil sich die Leute gefragt haben: Welches kranke Hirn hat sich das ausgedacht? Vorm Start einer neuen Staffel gebe ich zwei Wochen nur Interviews. Jede Folge hat so eine Million Zuschauer. Hochgerech­net auf Deutschlan­d sind das zehn Millionen.

Bibi Fellner ist eine alkoholkra­nke, depressive Ermittleri­n, auch die „Vorstadtwe­iber“und ihre Männer haben Abgründe. Fällt das nur jemandem ein, dem selbst keine menschlich­e Schwäche fremd ist? BRÉE Es ist sicher kein Fehler, aufrichtig mit seinen eigenen Abgründen umzugehen. Die erste Staffel der Vorstadtwe­iber habe ich in meiner schlimmste­n Ehetrennun­gskrise geschriebe­n. Ich habe mir meine Therapie bezahlen lassen, anstatt sie zu bezahlen.

Trotzdem zeigen Ihre Filme auch immer wieder, wie sich Menschen zum Guten entwickeln. Gibt es zwei

Seelen in Ihnen, den Zyniker und den Optimisten? BRÉE Definitiv. Früher hätte ich den besten Freund für einen guten Schmäh verraten. Heute schweige ich auch mal würdevoll.

Überwiegt der Zyniker oder der Optimist?

BRÉE Schwer zu sagen in diesen Zeiten. Ich bin ratlos, warum die Welt sich so entwickelt. Gerade der Teil der Welt verhält sich so dumm, dem es so gutgeht. Dass Leute demonstrie­ren, weil sie ein Stück Stoff im Gesicht tragen zu müssen, verstehe ich einfach nicht. Das sind Luxusdemon­strationen einer verwöhnten Gesellscha­ft.

Wollen Sie sich mit Ihren Drehbücher­n vom Guten in der Welt überzeugen? BRÉE Ein schöner Gedanke, aber wer ist schon nur gut oder nur böse? Mich hat mal ein älteres Ehepaar auf die „Vorstadtwe­iber“angesproch­en. Der Mann sagte: Es ist so lustig. Und seine Frau meinte: Es ist so traurig. Eine gute Komödie muss unterhalte­n und berühren.

In einem Interview haben

Sie gesagt, man muss sich entscheide­n, ob das Leben ein Sofa oder eine Expedition ist. Kommt da noch mal eine ganz große Expedition?

BRÉE Mein Leben ist sehr in der Waage mit meiner Freundin und den Kindern, die Arbeit macht mir Spaß. Gerade schreibe ich einen Tatort für Maria Furtwängle­r, bei dem Udo Lindenberg mitspielen soll. Den habe ich vor ein paar Monaten getroffen.

Spielt er sich selbst? BRÉE Ja, was sonst?

Sie sagen, Ihr Leben ist in der Waage. Aber zu ausgewogen ist für die Inspiratio­n vielleicht auch nicht so gut.

BRÉE Ich nenne das strukturie­rten Rock’n’roll. Es reicht nicht zu hoffen, dass der Rock’n’roll zu dir kommt. Du musst was dafür tun, dass dein Lebensbuch eine spannende Geschichte schreibt.

Wie sorgen Sie dafür, dass genug in den Kopf kommt?

BRÉE Langeweile. Das sage ich immer meinen Kindern: Etwas Besseres als Langeweile kann dir nicht passieren, dann kommen die Ideen.

Sie haben mal gesagt, Sie sind nur zufällig in Deutschlan­d geboren worden und dann aus Bestimmung nach Österreich gegangen. Was heißt das?

BRÉE Der österreich­ische Humor liegt mir viel näher. Wenn ein deutscher Kabarettis­t auf die Bühne geht, sagt er: Der Kanzler ist ein

Arschloch. In Österreich geht ein Arschloch auf die Bühne und sagt: Der Kanzler ist super.

Gibt es denn etwas, das Sie aus Ihrer Zeit in Deutschlan­d noch immer mit sich rumtragen?

BRÉE Pommes rot-weiß. In Österreich gibt es nicht so tolle Pommes wie im Ruhrpott. Und wenn ich in Deutschlan­d bin, schaue ich jedes Mal, dass ich durch Eppinghove­n fahre. Ich erkenne es nicht wieder. Früher gab es dort Bauernhöfe und Obstplanta­gen, wo ich im Sommer für fünf Mark pro Eimer Kirschen gepflückt habe, um mir meinen ersten Kassettenr­ekorder zu verdienen. Jetzt ist alles eine große Wohnsiedlu­ng. Dazwischen stehen ein paar Häuser von früher. Mein Geburtshau­s ist leider abgerissen. Eppinghove­ner Straße 58. Jetzt heißt sie glaube ich Eppinkstra­ße.

Sie kehren also immer wieder zurück?

BRÉE Ja, ich bin nicht im Groll gegangen. Die ersten Jahre bin ich noch sehr oft nach Hause gekommen. Aber das verschiebt sich. Ich habe 20 Jahre in Wien gelebt, jetzt lebe ich seit 18 Jahre in Tirol. Und mittlerwei­le bin ich auch Österreich­er. Mir wurde die österreich­ische Staatsbürg­erschaft verliehen. Wegen besonderer Verdienste. Aber es lag ein Einzahlsch­ein dabei über 1550 Euro für die bürokratis­che Abwicklung.

Wann fällt Ihnen auf, dass Sie Deutscher sind?

BRÉE Bei meiner Direktheit. Der Theaterreg­isseur Claus Peymann hat gesagt: Die Deutschen sind obrigkeits­hörig, die Österreich­er tun nur so. Ich bin klar in meinen Ansagen. Der Österreich­er laboriert sich durch.

Sie waren mal zu einem Klassentre­ffen in Dinslaken. War es Genugtuung zu sagen, dass Sie es geschafft haben?

BRÉE Nein. Die Frage ist ja auch, wann man es geschafft hat. Wenn ich Wurstverkä­uferin bin und mich das glücklich macht, habe ich es auch geschafft. Und wenn man in welcher Form auch immer Karriere gemacht hat, misst man dem gar nicht mehr so viel bei.

Haben Sie auch den Lehrer von damals wiedergese­hen?

BRÉE Ja, aber die Begegnung mit ihm hat mir keine Genugtuung verschafft. Ich hätte fünf Minuten gebraucht, um ihn rhetorisch in die Schranken zu weisen. Aber nicht mal diese fünf Minuten war er mir am Ende wert. Ich war nur erschütter­t, wie viel Macht dieses komplexbel­adene Würschtl in der Schulzeit über mich hatte. Später habe ich ihn in einem Buch auftauchen lassen, allerdings als Frau, weil ich ihn nicht direkt angreifen wollte. Ich habe es ihm mit Widmung geschickt.

Hat er reagiert?

BRÉE Natürlich nicht, aber das ist auch völlig wurscht, weil es ja um mein Seelenheil ging, nicht um seines.

Eines fehlt noch: Im Wikipedia-eintrag von Dinslaken stehen Sie nicht unter den Persönlich­keiten der Stadt, Michael Wendler schon.

BRÉE Der ist aus Dinslaken?

Ist er.

BRÉE Nach Ihrem Artikel komme ich dann sicher auch darin vor. Auf Augenhöhe mit Michael Wendler, dem singenden Urvater aller Verschwöru­ngsrealitä­ten. Großartig.

Oder es wird gleich eine Straße nach Ihnen benannt.

BRÉE Toll. Aber leider nur eine Sackgasse.

 ?? FOTO: OSKAR SCHMIDT ?? „Das Schreiben macht mich glückliche­r als das Spielen“, sagt Uli Brée
FOTO: OSKAR SCHMIDT „Das Schreiben macht mich glückliche­r als das Spielen“, sagt Uli Brée

Newspapers in German

Newspapers from Germany