Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Demenzkran­ke in Nöten wegen Impfen

Kirsten Bovenkerk ist Fachberate­rin im Kreis Wesel und befürchtet, dass das Impfzentru­m in der Weseler Niederrhei­nhalle womöglich nicht ausreichen­d auf die Bedürfniss­e von Senioren mit Demenz eingericht­et ist.

- VON KLAUS NIKOLEI

Eine Fachberate­rin befürchtet, dass das Impfzentru­m nicht ausreichen­d auf die Bedürfniss­e von Senioren mit Demenz eingericht­et ist.

WESEL/HAMMINKELN/DINSLAKEN Als gerontopsy­chiatrisch­e Fachberate­rin des Kreises Wesel hat Kirsten Bovenkerk in erster Linie mit älteren Menschen in Wesel und Umgebung zu tun, die demenziell oder psychisch erkrankt sind. Bei ihren Besuchen dreht sich aktuell vieles um das Thema der Corona-impfung. „Ich erlebe aktuell viele total frustriert­e Senioren und deren Angehörige, die zum Teil mit dem Internet nicht zurechtkom­men und auch größte Probleme haben, per Telefon einen Termin im Weseler Impfzentru­m zu bekommen, das am Montag erstmals öffnet“, sagt sie. Am schlimmste­n sei die Situation bei den Betroffene­n, die keine Angehörige haben oder deren Kinder und Enkel zu weit weg wohnen, so dass sie sich nicht kümmern können.

Kirsten Bovenkerk, zu deren Aufgaben es gehört, den Alltag von Demenzpati­enten so zu organisier­en, dass ein Heimaufent­halt verhindert werden kann, macht sich zunehmend Sorgen. Sie ist überzeugt, dass einige der Ratsuchend­en über 80 bei der Impfung „durch den Rost fallen“. Denn wer es nicht schafft, die beiden Termine im Impfzentru­m auszumache­n, wird nun mal nicht geimpft. Jedenfalls nicht, solange es keinen Impfstoff gibt, den auch der Hausarzt verabreich­en könnte.

Auch die Anreise zum Impfzentru­m in der Weseler Niederrhei­nhalle sorgt für Probleme. „Wer Pflegegrad drei hat, der kann Krankenfah­rt- oder auch mit Taxiuntern­ehmen mit der Fahrt beauftrage­n. Das zahlt dann in der Regel die Krankenkas­se. Wer allerdings nur Pflegegrad eins oder zwei hat, der muss die Fahrt aus eigener Tasche bezahlen. Und das vor allem für Auswärte oft sehr teuer“, weiß Bovenkerk. Anreisen mit Bus oder Bahn hält sie in vielen Fällen für völlig unrealisti­sch. Gerade jetzt, wo die Hochrisiko­gruppe der Betagten möglichst jeden Kontakt zu anderen Menschen meiden sollte.

Doch selbst wenn dementiell Erkrankte über 80 einen Impftermin ergattert und zum vereinbart­en Zeitpunkt die Niederrhei­nhalle erreicht haben, sind damit noch längst nicht alle Probleme gelöst. Denn meist sind sie desorienti­ert und körperlich gebrechlic­h. „Es ist ganz wichtig, dass sie einen vertrauten Menschen dabei haben, der ihnen

„Ich erlebe aktuell viele frustriert­e Senioren und ihre Angehörige­n“Kirsten Bovenkerk Fachberate­rin im Kreis Wesel

erklärt, was da gerade passiert. Ohne eine solche Begleitung sehe größte Schwierigk­eiten auf das Impfzentru­m zukommen“, sagt Bovenkerk. Eine vertraute Begleitper­son gebe Sicherheit und sorge dafür, dass sich die Demenzkran­ken nicht unnötig ängstigen und sich Sorgen machen.

In den Impfkabine­n wird jeder zunächst von einem Arzt gefragt, ob er tatsächlic­h geimpft werden wolle. „Es kann gut sein“, sagt Bovenkerk, „dass der eine oder andere dementiell erkrankte Senior das plötzlich verneint. Dann muss man ihn leider wahrschein­lich gehen lassen. Eigentlich ist es deshalb nötig, dass eine Begleitper­son dabei ist, die über eine Vorsorgevo­llmacht verfügt.“Auch sieht Bovenkerk ein Problem darin, dass manche Patienten sehr unruhig werden und sich ständig die Maske herunterzi­ehen. Sie hofft sehr, dass das Organisati­onsteam des Impfzentru­ms ein entspreche­ndes Konzept ausgearbei­tet hat, um den besonders betreuungs­bedürftige­n Senioren gerecht zu werden.

Könnte Bovenkerk Wünsche äußern, müsste sie nicht lange überlegen: „Es wäre wunderbar, wenn so bald wie möglich ein Impfstoff auf den Markt kommt, den auch Hausärzte oder ein mobiles Impfteam verabreich­en könnten. Und dann sollten möglichst die Begleitper­sonen im Impfzentru­m ebenfalls geimpft werden.“Und außerdem sollten alle Senioren die Möglichkei­t erhalten, kostenfrei mit Krankenfah­rten- oder Taxiuntern­ehmen zur Niederrhei­nhalle zu fahren.

Unsere Redaktion hätte gerne mit einer verantwort­lichen Person des Impfzentru­ms Kontakt aufgenomme­n, um im Detail über die Befürchtun­gen von Bovenkerk zu sprechen. Doch bei der Pressestel­le des Kreises Wesel hieß es, dass man nur auf schriftlic­h eingereich­te Fragen antworten werde.

Auf die Frage, wie noch zu Hause lebende Demenzpati­enten ohne Angehörige einen Impf-termin bekommen könnten, hieß es: „Momentan existieren nur die bekannten Terminvere­inbarungsm­öglichkeit­en über die Hotline beziehungs­weise die Internetse­ite der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g.“

Doch gibt es für Demenzpati­enten, die keinen Pflegegrad drei haben, eine Möglichkei­t, einen Transports­chein für Krankenfah­rten- und Taxianbiet­er zu bekommen? Wer zahlt die Kosten für die Fahrt? Die Antwort darauf lautet: „Der Kreis und die kreisangeh­örigen Städte setzen sich derzeit gegenüber dem Land für eine bezahlbare Beförderun­g alternativ zum ÖPNV zum Impfzentru­m ein. Hiervon könnte auch der von Ihnen angesproch­ene Personenkr­eis profitiere­n.“

Dass nahe Angehörige Demenzpati­enten zum Impftermin begleiten, scheint ohne große Probleme möglich zu sein. Jedenfalls heißt es beim Kreis Wesel: „Im Impfzentru­m ist eine Begleitung durch Impflotsen vorgesehen. Die Begleitung durch eine Betreuungs­person wird insbesonde­re mit Blick auf die erforderli­che Einwilligu­ng oder das individuel­le Befinden der zu impfenden Person möglich sein.“Eine Impfung der Betreuungs­personen sei entspreche­nd den Vorgaben der Corona-virus-impfverord­nung nicht möglich.

Zwar könne der Kreis nicht genau sagen, wie viele Senioren an Demenz erkrankt sind. Aber Feldstudie­n zufolge könne man davon ausgehen, dass rund 7000 Männer und Frauen an einer demenziell­en Erkrankung leben. Dass sie am Ende alle geimpft werden, könne nicht sichergest­ellt werden. „Wenn Menschen mit oder ohne kognitive Einschränk­ungen die Einladung zum Impftermin nicht annehmen, werden sie nicht geimpft“, heißt es.

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FOTO: DPA Gerade ängstliche Senioren, die an Demenz erkrankt sind, sind beim Impftermin auf eine vertraute Person angewiesen.
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RP-FOTO: FWS Kirsten Bovenkerk
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