Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Feind im eigenen Leben
ANALYSE Die Bundesjustizministerin will den Anti-stalking-paragrafen im Strafgesetzbuch verschärfen, um Opfern die juristische Verfolgung ihrer Peiniger zu erleichtern. Experten halten auch die Rolle der Polizei für entscheidend.
Sie stellen ihren Opfern nach, in der Wirklichkeit wie im Netz. Sie betteln um Kontakt, rufen an, mailen, schicken Geschenke, flehen um ein letztes Treffen. Nur noch dieses eine Mal. Und wenn ihnen das alles nicht die gewünschte Aufmerksamkeit verschafft, beginnt der Terror. Dann werden auf den Namen des Opfers Sachen bestellt, Wege verfolgt, in den sozialen Netzwerken Fake-accounts mit wenig schmeichelhaften Fotos befüllt, gedroht, und manchmal kommt es auch zu physischer Gewalt. Stalking kann den Opfern das Leben zur Hölle machen, denn die Nachstellerei ist ein Angriff auf die private Sphäre, den Rückzugsraum, den jeder Mensch braucht. Und die Übergriffe drohen jederzeit.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) möchte Stalking-opfern helfen, sich mit den Mitteln des Strafrechts besser gegen ihre Peiniger zu wehren. 2017 wurde der Stalking-paragraf 238 des Strafgesetzbuches schon einmal reformiert. Jetzt soll es weitere Änderungen geben, um die Schwelle zur Strafverfolgung zu senken und zum Beispiel auch die Nachstellungen im Internet, das sogenannte Cyber-stalking, einzubeziehen. So möchte die Ministerin etwa unter Strafe stellen, wenn Menschen über Apps und im Netz eingeschüchtert und diffamiert werden. Auch wenn Stalker unter falscher Identität ihre Nachstellungen betreiben, soll das strafbar sein. Stalking mit den Mitteln des Strafrechts zu erfassen, sei schwierig, sagt der Psychologe Jens Hoffmann, der sich unter anderem als Gutachter und Berater im Gewaltmanagement seit Jahren mit dem Thema befasst. „Es kann schon sehr bedrohlich sein, wenn ein Stalker ständig gegenüber der Wohnung auftaucht und schaut“, sagt Hoffmann. „Es muss also nicht zu strafrechtlich relevanter physischer Gewalt kommen, trotzdem kann das Verhalten von Stalkern, die keine Grenzen anerkennen und sich völlig auf ihr Opfer fixieren, den Betroffenen schweren Schaden zufügen.“Entscheidend sei die Intensität, mit der die Täter versuchen, ihr Opfer einzuschüchtern und zu manipulieren. Die Folgen können gravierend sein. In einem Fall, in dem Hoffmann als Gutachter eingeschaltet wurde, nahm sich das Opfer das Leben.
Der Gesetzgeber will auf die schwierige Lage reagieren, indem er einerseits die Kriterien weiter fasst, den Täter oder die Täterin zu belangen, und andererseits die Bestrafung verschärft. In besonders schweren Fällen soll das Strafmaß von bis zu drei auf bis zu fünf Jahre hochgesetzt werden. Bislang gilt das nur für Fälle, in denen Gesundheit und Leben des Opfers oder seiner Angehöriger in Gefahr gebracht wurden. Auch bei besonders langwierigen Nachstellungen oder bei Verstößen gegen Kontaktverbote könnten die höheren Strafen künftig verhängt werden. Dazu hatte das Justizministerium dem Kabinett einen Bericht vorgelegt, in dem die Erfahrungen mit dem aktuellen Anti-stalking-paragrafen beschrieben sind. Das Kabinett hat diesen Evaluationsbericht gebilligt. Nun will Lambrecht einen entsprechend geschärften Gesetzesentwurf vorlegen. Stalking richtet sich meist gegen Frauen. Für die Betroffenen seien die Nachstellungen „oft schrecklicher Psychoterror mit traumatischen Folgen“, sagte Lambrecht. Niederländische Forscher verglichen die Folgen mit der Traumatisierung Überlebender nach einem Flugzeugabsturz.
Laut dem Evaluationsbericht aus dem Justizministerium haben sich einzelne Formulierungen aus dem bestehenden Gesetzestext in der Anwendung als zu eng erwiesen. So heißt es bisher etwa, dass nur eine „beharrliche“Nachstellung strafrechtlich relevant sei. Der Begriff könnte durch „wiederholt“ersetzt werden. Das Wort „schwerwiegend“soll durch „nicht unerheblich“ausgetauscht werden. Ziel ist es, mehr und diversere Fälle strafrechtlich zu erfassen.
Schon bei der ersten Novelle des Paragrafen im Jahr 2017 hatten Opferverbände darauf hingewiesen, dass die „Kreativität“von Stalkern immens sei, die Tatbestände also höchst unterschiedlich ausfallen. Darauf hatte man damals reagiert, indem man Stalking von einem „Erfolgsdelikt“zu einem „Eignungsdelikt“wandelte. Stalken ist also nicht nur strafbar, wenn eine tatsächliche Beeinträchtigung des Lebens der Opfer nachgewiesen ist, sondern bereits, wenn das Verhalten des Stalkers „objektiv geeignet“ist, für eine schwere Beeinträchtigung zu sorgen. Auch wenn das Opfer also „stark“ist, und sein Leben nicht verändert, um dem Stalken zu entgehen, wird seine Beeinträchtigung vor Gericht anerkannt. Studien zufolge werden elf Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben Opfer von Stalkern. Weil das Phänomen so weit verbreitet ist und die Folgen für die Psyche der Betroffenen erheblich, gibt es inzwischen spezielle Hilfstelefone. Auch die Opferschutzvereinigung „Der Weiße Ring“bietet Betroffenen Hilfe an. Unter anderem durch eine App, in der Stalking-taten dokumentiert werden können.
Psychologe Jens Hoffmann hält die Rolle der Polizei als Brücke zwischen Opfern und Strafverfolgung für besonders wichtig. „In manchen Bundesländern gibt es Schwerpunktbeamte, die speziell geschult sind und wissen, wie groß die Belastung für die Opfer sein kann, selbst wenn es nicht zu physischer Gewalt kommt“, sagt Hoffmann. Beamte seien bei ihrer täglichen Arbeit mit einer Fülle von Gewaltformen konfrontiert. Wenn Stalking-opfer von scheinbar harmloser Verfolgung berichteten, könne das schon mal als „nicht so schlimm“erscheinen. „Wichtig ist, dass die Opfer möglichst genau dokumentieren, was ihnen widerfährt und bei der Polizei einen Ansprechpartner finden, der ihren Fall idealerweise langfristig begleitet“, sagt Hoffmann. Das könne Stalking-opfer schon unterstützen, bevor ihr Fall vor Gericht kommt.
„Stalking ist oft schrecklicher Psychoterror mit traumatischen Folgen“Christine Lambrecht Bundesjustizministerin