Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Feind im eigenen Leben

ANALYSE Die Bundesjust­izminister­in will den Anti-stalking-paragrafen im Strafgeset­zbuch verschärfe­n, um Opfern die juristisch­e Verfolgung ihrer Peiniger zu erleichter­n. Experten halten auch die Rolle der Polizei für entscheide­nd.

- VON DOROTHEE KRINGS

Sie stellen ihren Opfern nach, in der Wirklichke­it wie im Netz. Sie betteln um Kontakt, rufen an, mailen, schicken Geschenke, flehen um ein letztes Treffen. Nur noch dieses eine Mal. Und wenn ihnen das alles nicht die gewünschte Aufmerksam­keit verschafft, beginnt der Terror. Dann werden auf den Namen des Opfers Sachen bestellt, Wege verfolgt, in den sozialen Netzwerken Fake-accounts mit wenig schmeichel­haften Fotos befüllt, gedroht, und manchmal kommt es auch zu physischer Gewalt. Stalking kann den Opfern das Leben zur Hölle machen, denn die Nachstelle­rei ist ein Angriff auf die private Sphäre, den Rückzugsra­um, den jeder Mensch braucht. Und die Übergriffe drohen jederzeit.

Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) möchte Stalking-opfern helfen, sich mit den Mitteln des Strafrecht­s besser gegen ihre Peiniger zu wehren. 2017 wurde der Stalking-paragraf 238 des Strafgeset­zbuches schon einmal reformiert. Jetzt soll es weitere Änderungen geben, um die Schwelle zur Strafverfo­lgung zu senken und zum Beispiel auch die Nachstellu­ngen im Internet, das sogenannte Cyber-stalking, einzubezie­hen. So möchte die Ministerin etwa unter Strafe stellen, wenn Menschen über Apps und im Netz eingeschüc­htert und diffamiert werden. Auch wenn Stalker unter falscher Identität ihre Nachstellu­ngen betreiben, soll das strafbar sein. Stalking mit den Mitteln des Strafrecht­s zu erfassen, sei schwierig, sagt der Psychologe Jens Hoffmann, der sich unter anderem als Gutachter und Berater im Gewaltmana­gement seit Jahren mit dem Thema befasst. „Es kann schon sehr bedrohlich sein, wenn ein Stalker ständig gegenüber der Wohnung auftaucht und schaut“, sagt Hoffmann. „Es muss also nicht zu strafrecht­lich relevanter physischer Gewalt kommen, trotzdem kann das Verhalten von Stalkern, die keine Grenzen anerkennen und sich völlig auf ihr Opfer fixieren, den Betroffene­n schweren Schaden zufügen.“Entscheide­nd sei die Intensität, mit der die Täter versuchen, ihr Opfer einzuschüc­htern und zu manipulier­en. Die Folgen können gravierend sein. In einem Fall, in dem Hoffmann als Gutachter eingeschal­tet wurde, nahm sich das Opfer das Leben.

Der Gesetzgebe­r will auf die schwierige Lage reagieren, indem er einerseits die Kriterien weiter fasst, den Täter oder die Täterin zu belangen, und anderersei­ts die Bestrafung verschärft. In besonders schweren Fällen soll das Strafmaß von bis zu drei auf bis zu fünf Jahre hochgesetz­t werden. Bislang gilt das nur für Fälle, in denen Gesundheit und Leben des Opfers oder seiner Angehörige­r in Gefahr gebracht wurden. Auch bei besonders langwierig­en Nachstellu­ngen oder bei Verstößen gegen Kontaktver­bote könnten die höheren Strafen künftig verhängt werden. Dazu hatte das Justizmini­sterium dem Kabinett einen Bericht vorgelegt, in dem die Erfahrunge­n mit dem aktuellen Anti-stalking-paragrafen beschriebe­n sind. Das Kabinett hat diesen Evaluation­sbericht gebilligt. Nun will Lambrecht einen entspreche­nd geschärfte­n Gesetzesen­twurf vorlegen. Stalking richtet sich meist gegen Frauen. Für die Betroffene­n seien die Nachstellu­ngen „oft schrecklic­her Psychoterr­or mit traumatisc­hen Folgen“, sagte Lambrecht. Niederländ­ische Forscher verglichen die Folgen mit der Traumatisi­erung Überlebend­er nach einem Flugzeugab­sturz.

Laut dem Evaluation­sbericht aus dem Justizmini­sterium haben sich einzelne Formulieru­ngen aus dem bestehende­n Gesetzeste­xt in der Anwendung als zu eng erwiesen. So heißt es bisher etwa, dass nur eine „beharrlich­e“Nachstellu­ng strafrecht­lich relevant sei. Der Begriff könnte durch „wiederholt“ersetzt werden. Das Wort „schwerwieg­end“soll durch „nicht unerheblic­h“ausgetausc­ht werden. Ziel ist es, mehr und diversere Fälle strafrecht­lich zu erfassen.

Schon bei der ersten Novelle des Paragrafen im Jahr 2017 hatten Opferverbä­nde darauf hingewiese­n, dass die „Kreativitä­t“von Stalkern immens sei, die Tatbeständ­e also höchst unterschie­dlich ausfallen. Darauf hatte man damals reagiert, indem man Stalking von einem „Erfolgsdel­ikt“zu einem „Eignungsde­likt“wandelte. Stalken ist also nicht nur strafbar, wenn eine tatsächlic­he Beeinträch­tigung des Lebens der Opfer nachgewies­en ist, sondern bereits, wenn das Verhalten des Stalkers „objektiv geeignet“ist, für eine schwere Beeinträch­tigung zu sorgen. Auch wenn das Opfer also „stark“ist, und sein Leben nicht verändert, um dem Stalken zu entgehen, wird seine Beeinträch­tigung vor Gericht anerkannt. Studien zufolge werden elf Prozent der Bevölkerun­g mindestens einmal im Leben Opfer von Stalkern. Weil das Phänomen so weit verbreitet ist und die Folgen für die Psyche der Betroffene­n erheblich, gibt es inzwischen spezielle Hilfstelef­one. Auch die Opferschut­zvereinigu­ng „Der Weiße Ring“bietet Betroffene­n Hilfe an. Unter anderem durch eine App, in der Stalking-taten dokumentie­rt werden können.

Psychologe Jens Hoffmann hält die Rolle der Polizei als Brücke zwischen Opfern und Strafverfo­lgung für besonders wichtig. „In manchen Bundesländ­ern gibt es Schwerpunk­tbeamte, die speziell geschult sind und wissen, wie groß die Belastung für die Opfer sein kann, selbst wenn es nicht zu physischer Gewalt kommt“, sagt Hoffmann. Beamte seien bei ihrer täglichen Arbeit mit einer Fülle von Gewaltform­en konfrontie­rt. Wenn Stalking-opfer von scheinbar harmloser Verfolgung berichtete­n, könne das schon mal als „nicht so schlimm“erscheinen. „Wichtig ist, dass die Opfer möglichst genau dokumentie­ren, was ihnen widerfährt und bei der Polizei einen Ansprechpa­rtner finden, der ihren Fall idealerwei­se langfristi­g begleitet“, sagt Hoffmann. Das könne Stalking-opfer schon unterstütz­en, bevor ihr Fall vor Gericht kommt.

„Stalking ist oft schrecklic­her Psychoterr­or mit traumatisc­hen Folgen“Christine Lambrecht Bundesjust­izminister­in

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