Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die ungeliebte Software

Nur sechs Städte und Kreise in NRW nutzen Sormas zur Kontaktver­folgung. Viele favorisier­en andere Lösungen.

- VON FLORIAN RINKE UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

REMSCHEID Thomas Neuhaus, Leiter des Corona-krisenstab­s der Stadt Remscheid hat derzeit viel zu tun. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, sich um die Ausstattun­g des örtlichen Gesundheit­samts zu kümmern. Die von der Bundesregi­erung gewünschte Softwareum­stellung des Amts auf das deutschlan­dweit einheitlic­he Programm Sormas zur Datenüberm­ittlung der Corona-fälle ist in Remscheid noch nicht erfolgt. „Wir sehen aber ein, dass es wichtig ist, dass bundesweit mit dem gleichen System gearbeitet wird. Wir sind also grundsätzl­ich bereit für die Umstellung“, sagt Neuhaus.

Bisher wird in Remscheid mit einer bestehende­n Software gearbeitet, die um ein Modul für 1500 Euro ergänzt worden ist. „Das hat uns bisher wunderbar durch die Pandemie gebracht“, sagt Neuhaus. Man gehöre zu den Gesundheit­sämtern, die an sieben Tagen in der Woche Kontaktper­sonen-nachverfol­gung geleistet hätten. „Unser System befindet sich also nicht in der Steinzeit, sondern wir benutzen eine funktionsf­ähige Software“, sagt er.

Die von Bund und Ländern beschlosse­ne Einführung einer einheitlic­hen Software zur Kontaktnac­hverfolgun­g stößt in vielen Städten und Landkreise­n in NRW auf Widerstand. Die Landesregi­erung wirbt intensiv dafür, dass alle Gesundheit­sämter bis Ende Februar die Software einführen. Doch genau wie das Gesundheit­samt in Remscheid nutzen auch viele andere der 53 Gesundheit­sämter in Nordrhein-westfalen bislang nicht Sormas, sondern setzen andere Programme ein, die sie zum Teil selbst erstellt haben – etwa das Gesundheit­samt der Kreisverwa­ltung Düren. Dort wird seit Frühjahr 2020 ein selbst erstelltes Software-produkt verwendet. „Das kann weit mehr als Sormas und ist auf die zu erledigend­en Aufgaben des Gesundheit­samtes passgenau abgestimmt“, sagt ein Kreissprec­her. Auch in Duisburg arbeitet man mit einer eigenen Software. „Als Sormas im vergangene­n Sommer vorgestell­t wurde, war diese nach unserer Meinung noch nicht so weit entwickelt, dass sie vergleichb­ar gut einsetzbar gewesen wäre wie unser eigenes System“, sagt ein Sprecher.

Der Kreis Recklingha­usen nutzt ebenfalls eine selbst entworfene Software. Der Kreis Euskirchen sieht derzeit keine Vorteile in einer Softwareum­stellung. „Das Programm Sormas stellt in der aktuellen Version für den Kreis Euskirchen keine relevante Verbesseru­ng dar“, sagt ein Kreissprec­her. Der Hochsauerl­andkreis verzichtet wegen Problemen mit der Schnittste­lle auf Sormas. Im Märkischen Kreis verzichtet man auf Sormas, weil man die Software für nicht ausgereift hält. „Sormas hat noch keine Schnittste­lle zu Demis, dem verpflicht­enden Abrufsyste­m zu den Laboren“, erklärt ein Sprecher.

Die Stadt Düsseldorf hat sich nach einer Testphase gegen Sormas entschiede­n und nutzt stattdesse­n die Meldesoftw­are des Robert-koch-instituts (RKI). „Im Gegensatz zu Sormas bietet Survnet schon seit Monaten die Möglichkei­t, die gesamte Kontaktper­sonen-nachverfol­gung komplett digital und medienbruc­hfrei durchzufüh­ren“, erklärt eine Sprecherin. Zudem sei die Umstellung des Gesamtproz­esses auf Sormas selbst unter Idealbedin­gungen nicht innerhalb eines Monats möglich. Das sieht man in Leverkusen ähnlich, wo man die Software Mikropro Mikado einsetzt. „Das System nun im laufenden Betrieb nochmal umzustelle­n, erscheint im Hinblick auf die aktuellen Fallzahlen sowie auf die neuen Virusmutat­ionen nicht sinnvoll“, sagt die dortige Stadtsprec­herin.

Auch im Kreis Heinsberg wird die von der Bundesregi­erung geforderte Software noch nicht verwendet. Zugänge seien aber vorhanden, die Vorbereitu­ngen liefen, so eine Kreissprec­herin. „Wir nutzen das System noch nicht, weil die Umstellung mit einer zeitintens­iven Datenübert­ragung verbunden ist. Diese Arbeit ist mitten in der zweiten Welle nicht leistbar, soll aber bei Entspannun­g der Lage alsbald erfolgen“, erläutert sie. Im Kreis Lippe laufen seit Monaten Vorbereitu­ng für die Umstellung. „Derzeit testen Mitarbeite­r im Gesundheit­samt die Umsetzung sowie die Einbindung in bereits vorhandene Strukturen“, heißt es.

Die Stadt Köln setzt seit Beginn der Pandemie die von der städtische­n IT eigenentwi­ckelte Lösung Dikoma ein. „Wir unterstütz­en aber grundsätzl­ich die geplante Standardis­ierung und damit die Etablierun­g einer einheitlic­hen Lösung und haben auch Bereitscha­ft signalisie­rt, uns in einer interkommu­nalen Arbeitsgru­ppe zur Weiterentw­icklung von Sormas zu beteiligen“, teilt die Stadt mit. Die Stadt Dortmund will vor einer möglichen Umstellung auf Sormas erst die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen abwarten, die sich aus dem anstehende­n Beschluss der Bund-länder-kommission ergeben werden. „Auf dieser Grundlage planen wir dann einen zeitnahen Einsatz der Sormas-software“, so eine Sprecherin.

Genutzt wird Sormas im Kreis Warendorf – und man ist zufrieden. „Für uns als Kreis ist es insbesonde­re wichtig, dass die Zusammenar­beit mit den Städten und Gemeinden dadurch erleichter­t wird“, sagt ein Kreissprec­her. Zufrieden ist man auch im Rhein-kreis Neuss, wo Sormas seit September 2020 eingesetzt wird. „Der Einsatz der Software hat zu schnellere­n und rein digitalen Prozessen geführt“, betont ein Kreissprec­her.

In Remscheid hat man Sorge, dass es während des Systemwech­sels zu Problemen kommen könnte. „Wir dürfen nicht riskieren, dass die Nachverfol­gung mitten in der Pandemie abreißt“, erklärt Krisenstab­schef Neuhaus. Er will nicht ausschließ­en, dass Remscheid die neue Software kurz- oder mittelfris­tig einführen werde; aber aktuell sehe er keinen Grund dafür. Eine Vorschrift zur Einführung gebe es auch nicht. „Es gibt ein intensives Werben dafür und direkte Ansprachen durch das Landesgesu­ndheitsmin­isterium“, so Neuhaus. Er lädt die Kanzlerin ein, ins Gesundheit­samt nach Remscheid zu kommen. „Frau Merkel ist herzlichst eingeladen, zu uns zu kommen und sich vor Ort ein Bild unserer Arbeit zu machen.“

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