Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die ungeliebte Software
Nur sechs Städte und Kreise in NRW nutzen Sormas zur Kontaktverfolgung. Viele favorisieren andere Lösungen.
REMSCHEID Thomas Neuhaus, Leiter des Corona-krisenstabs der Stadt Remscheid hat derzeit viel zu tun. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, sich um die Ausstattung des örtlichen Gesundheitsamts zu kümmern. Die von der Bundesregierung gewünschte Softwareumstellung des Amts auf das deutschlandweit einheitliche Programm Sormas zur Datenübermittlung der Corona-fälle ist in Remscheid noch nicht erfolgt. „Wir sehen aber ein, dass es wichtig ist, dass bundesweit mit dem gleichen System gearbeitet wird. Wir sind also grundsätzlich bereit für die Umstellung“, sagt Neuhaus.
Bisher wird in Remscheid mit einer bestehenden Software gearbeitet, die um ein Modul für 1500 Euro ergänzt worden ist. „Das hat uns bisher wunderbar durch die Pandemie gebracht“, sagt Neuhaus. Man gehöre zu den Gesundheitsämtern, die an sieben Tagen in der Woche Kontaktpersonen-nachverfolgung geleistet hätten. „Unser System befindet sich also nicht in der Steinzeit, sondern wir benutzen eine funktionsfähige Software“, sagt er.
Die von Bund und Ländern beschlossene Einführung einer einheitlichen Software zur Kontaktnachverfolgung stößt in vielen Städten und Landkreisen in NRW auf Widerstand. Die Landesregierung wirbt intensiv dafür, dass alle Gesundheitsämter bis Ende Februar die Software einführen. Doch genau wie das Gesundheitsamt in Remscheid nutzen auch viele andere der 53 Gesundheitsämter in Nordrhein-westfalen bislang nicht Sormas, sondern setzen andere Programme ein, die sie zum Teil selbst erstellt haben – etwa das Gesundheitsamt der Kreisverwaltung Düren. Dort wird seit Frühjahr 2020 ein selbst erstelltes Software-produkt verwendet. „Das kann weit mehr als Sormas und ist auf die zu erledigenden Aufgaben des Gesundheitsamtes passgenau abgestimmt“, sagt ein Kreissprecher. Auch in Duisburg arbeitet man mit einer eigenen Software. „Als Sormas im vergangenen Sommer vorgestellt wurde, war diese nach unserer Meinung noch nicht so weit entwickelt, dass sie vergleichbar gut einsetzbar gewesen wäre wie unser eigenes System“, sagt ein Sprecher.
Der Kreis Recklinghausen nutzt ebenfalls eine selbst entworfene Software. Der Kreis Euskirchen sieht derzeit keine Vorteile in einer Softwareumstellung. „Das Programm Sormas stellt in der aktuellen Version für den Kreis Euskirchen keine relevante Verbesserung dar“, sagt ein Kreissprecher. Der Hochsauerlandkreis verzichtet wegen Problemen mit der Schnittstelle auf Sormas. Im Märkischen Kreis verzichtet man auf Sormas, weil man die Software für nicht ausgereift hält. „Sormas hat noch keine Schnittstelle zu Demis, dem verpflichtenden Abrufsystem zu den Laboren“, erklärt ein Sprecher.
Die Stadt Düsseldorf hat sich nach einer Testphase gegen Sormas entschieden und nutzt stattdessen die Meldesoftware des Robert-koch-instituts (RKI). „Im Gegensatz zu Sormas bietet Survnet schon seit Monaten die Möglichkeit, die gesamte Kontaktpersonen-nachverfolgung komplett digital und medienbruchfrei durchzuführen“, erklärt eine Sprecherin. Zudem sei die Umstellung des Gesamtprozesses auf Sormas selbst unter Idealbedingungen nicht innerhalb eines Monats möglich. Das sieht man in Leverkusen ähnlich, wo man die Software Mikropro Mikado einsetzt. „Das System nun im laufenden Betrieb nochmal umzustellen, erscheint im Hinblick auf die aktuellen Fallzahlen sowie auf die neuen Virusmutationen nicht sinnvoll“, sagt die dortige Stadtsprecherin.
Auch im Kreis Heinsberg wird die von der Bundesregierung geforderte Software noch nicht verwendet. Zugänge seien aber vorhanden, die Vorbereitungen liefen, so eine Kreissprecherin. „Wir nutzen das System noch nicht, weil die Umstellung mit einer zeitintensiven Datenübertragung verbunden ist. Diese Arbeit ist mitten in der zweiten Welle nicht leistbar, soll aber bei Entspannung der Lage alsbald erfolgen“, erläutert sie. Im Kreis Lippe laufen seit Monaten Vorbereitung für die Umstellung. „Derzeit testen Mitarbeiter im Gesundheitsamt die Umsetzung sowie die Einbindung in bereits vorhandene Strukturen“, heißt es.
Die Stadt Köln setzt seit Beginn der Pandemie die von der städtischen IT eigenentwickelte Lösung Dikoma ein. „Wir unterstützen aber grundsätzlich die geplante Standardisierung und damit die Etablierung einer einheitlichen Lösung und haben auch Bereitschaft signalisiert, uns in einer interkommunalen Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung von Sormas zu beteiligen“, teilt die Stadt mit. Die Stadt Dortmund will vor einer möglichen Umstellung auf Sormas erst die gesetzlichen Rahmenbedingungen abwarten, die sich aus dem anstehenden Beschluss der Bund-länder-kommission ergeben werden. „Auf dieser Grundlage planen wir dann einen zeitnahen Einsatz der Sormas-software“, so eine Sprecherin.
Genutzt wird Sormas im Kreis Warendorf – und man ist zufrieden. „Für uns als Kreis ist es insbesondere wichtig, dass die Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden dadurch erleichtert wird“, sagt ein Kreissprecher. Zufrieden ist man auch im Rhein-kreis Neuss, wo Sormas seit September 2020 eingesetzt wird. „Der Einsatz der Software hat zu schnelleren und rein digitalen Prozessen geführt“, betont ein Kreissprecher.
In Remscheid hat man Sorge, dass es während des Systemwechsels zu Problemen kommen könnte. „Wir dürfen nicht riskieren, dass die Nachverfolgung mitten in der Pandemie abreißt“, erklärt Krisenstabschef Neuhaus. Er will nicht ausschließen, dass Remscheid die neue Software kurz- oder mittelfristig einführen werde; aber aktuell sehe er keinen Grund dafür. Eine Vorschrift zur Einführung gebe es auch nicht. „Es gibt ein intensives Werben dafür und direkte Ansprachen durch das Landesgesundheitsministerium“, so Neuhaus. Er lädt die Kanzlerin ein, ins Gesundheitsamt nach Remscheid zu kommen. „Frau Merkel ist herzlichst eingeladen, zu uns zu kommen und sich vor Ort ein Bild unserer Arbeit zu machen.“