Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Bonus für die Verlierer der Krise

Familien und Unternehme­n leiden besonders unter der Coronaviru­s-pandemie. Die große Koalition will mehr Unterstütz­ung bieten.

- VON BIRGIT MARSCHALL, KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JANA WOLF

BERLIN Am Tag danach sind die Teilnehmer des Koalitions­treffens über sich selbst erstaunt. So „harmonisch und ruhig“sei es schon lange nicht mehr zugegangen, sagt einer. Von einer „sehr guten Vorbereitu­ng“, spricht ein anderer. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sind gewöhnlich diejenigen, die sich bei diesen Treffen im Kanzleramt dann als Erste über den gemeinsame­n Text beugen – oft viele Stunden. Diesmal waren sie bereits in einer halben Stunde handelsein­ig, konnten zu ihren Delegation­en zurückkehr­en und Einigkeit signalisie­ren. Der Wunsch, in der Krise Handlungsf­ähigkeit zu zeigen, überwog die Lust am heraufzieh­enden Wahlkampf. Und außerdem bekam jede Seite etwas für ihre Klientel: Rund zehn Milliarden Euro haben die Koalitionä­re gemeinsam verteilt. Hier ein Überblick über die wichtigste­n Vorhaben.

Familien Wie im vergangene­n Jahr erhalten Familien auch 2021 einen Kinderbonu­s. Der Zuschlag auf das Kindergeld soll einmalig 150 Euro betragen. Er wird mit dem steuerlich­en Kinderfrei­betrag verrechnet, so dass Besserverd­ienende keinen Vorteil davon haben. Der Bonus wird dagegen nicht auf die Grundsiche­rung angerechne­t. Im vergangene­n Jahr betrug die einmalige Zahlung 300 Euro.

Hartz-iv-bezieher Einen einmaligen Corona-zuschuss von 150 Euro sollen auch erwachsene Grundsiche­rungsempfä­nger bekommen. Für plötzlich in Not geratene Selbststän­dige und Beschäftig­te mit kleinen Einkommen wird der erleichter­te Zugang in die Grundsiche­rung bis Ende 2021 verlängert.

Die Präsidenti­n des Sozialverb­ands VDK, Verena Bentele, bezeichnet­e die Zahlung jedoch als einen „Tropfen auf den brennend heißen Stein“. Ein monatliche­r Zuschuss von 100 Euro wäre sinnvoller gewesen, denn die Pandemie werde noch Monate anhalten. Auch den Kinderbonu­s sieht Bentele nur als Anfang: „Familien im Grundsiche­rungsbezug brauchen einen Zuschuss von 100 Euro pro Monat und Person.“

Auch die Opposition übte Kritik: Der Chef der Linksfrakt­ion, Dietmar Bartsch, kritisiert­e, die Einmalzahl­ung helfe strukturel­l und dauerhaft so wenig wie ein weiterer Kinderbonu­s. Der Präsident des Kinderschu­tzbundes, Heinz Hilgers, begrüßte dagegen die Ergebnisse: „Das wiegt nicht alle Belastunge­n auf, ist aber ein guter Beitrag“, sagte er.

Von Ökonomen kamen unterschie­dliche Reaktionen. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, begrüßte die Beschlüsse und forderte sogar weitere Schritte. „Dies wird bei Weitem noch nicht das letzte Hilfsprogr­amm in der Pandemie gewesen sein. Vor allem Solo-selbststän­dige und Minijobber brauchen mehr Unterstütz­ung“, sagte Fratzscher. „Ein temporärer Zugang zum Kurzarbeit­ergeld für beide Gruppen wäre notwendig, um ihre Situation zu stabilisie­ren“, forderte er.

„Der Corona-zuschuss für Hartz-iv-empfänger und der Kinderbonu­s sind zwar vertretbar und finanziell verkraftba­r. Im Grunde sind diese beiden Maßnahmen aber

nicht konjunktur­politisch begründet, sondern sozialpoli­tische Maßnahmen in einem Wahljahr“, sagte dagegen Wirtschaft­sweisen-chef Lars Feld.

Unternehme­n

Die Koalition greift Unternehme­n mit corona-bedingten Verlusten stärker unter die Arme. Durch einen erweiterte­n Verlustrüc­ktrag können sie die Einbußen künftig in der Steuererkl­ärung umfangreic­her als bisher mit Gewinnen aus den Vorjahren verrechnen.

Feld begrüßte die Maßnahme als richtiges Instrument, Kritik kam dagegen vom Industriev­erband BDI. „Der Koalitions­beschluss wird dem Ausmaß der Krise und der Lage insbesonde­re im Mittelstan­d nicht gerecht“, erklärte der Verband. Die Erweiterun­g der rücktragsf­ähigen Verluste auf nur zehn Millionen Euro sei deutlich zu gering.

Gastronomi­e Der verringert­e Mehrwertst­euersatz von sieben Prozent soll bis Ende 2022 weiter gelten.

Kultur Das Rettungs- und Zukunftspr­ogramm „Neustart Kultur“wird verlängert. Dazu wird ein Anschlussp­rogramm mit einer Ausstattun­g von einer weiteren Milliarde Euro aufgelegt.

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FOTO: DOROTHÉE BARTH/DPA Die Mitglieder des Koalitions­ausschusse­s tagten im Bundeskanz­leramt.

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