Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Der Rhein muss tiefergelegt werden“
BURKHARD LANDERS UND STEFAN DIETZFELBINGER Die Spitzen der IHK Niederrhein fordern Maßnahmen, um Binnenschifffahrt bei Niedrigwasser zu garantieren.
DUISBURGCORONA- Pandemie, Stahlkrise, Schifffahrt – die Herausforderungen für die Unternehmen am Niederrhein sind groß. Darüber sprachen wir mit Burkhard Landers, dem Präsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) Niederrhein, und Stefan Dietzfelbinger, dem Hauptgeschäftsführer der Kammer.
Wie trifft die Corona-pandemie die Region?
LANDERS Die Wirtschaft am Niederrhein ist großflächig getroffen – vor allem Gastronomie, Modehandel, Reisebüros. 15 Prozent unserer Betriebe leiden stark unter dem Lockdown. Besser geht es der Industrie, hier laufen die Geschäfte einigermaßen stabil.
Kommt nun eine Pleitewelle? LANDERS Sieben Prozent der Betriebe fürchten, dass sie aufgeben müssen. Das sind nur noch halb so viele wie im Frühjahr, die staatlichen Hilfen kommen spät, aber sie kommen. Gleichwohl: 5000 Firmen am Niederrhein bangen um ihre Existenz, hier droht ein Aderlass für die Region. Im Tourismus fürchtet jeder dritte eine Insolvenz, im Gastgewerbe jeder fünfte, um Einzelhandel jeder zehnte.
Was erwarten Sie vom Staat? Sollte der Lockdown am 14. Februar enden?
DIETZFELBINGER Die Firmen brauchen eine klare Perspektive. Schleswig-holstein macht es vor, hier gibt es Szenarien für verschiedene Inzidenzwerte. Zugleich müssen staatliche Hilfen rascher fließen. Es ist sehr bedenklich, dass die Novemberhilfen Ende Januar noch nicht überall angekommen sind. Wenn der Staat die Geschäfte weiter schließt, muss er besser helfen.
Wie sieht es bei der Ausbildung aus? LANDERS Wir haben am Niederrhein zehn Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als vor einem Jahr. Das liegt daran, dass es aus demografischen Gründen weniger Bewerber gibt, aber auch an Corona. Berufsorientierung und Praktika finden kaum noch statt.
DIETZFELBINGER Dabei gibt es noch viele unbesetzte Stellen. Bis einschließlich Januar konnten Jugendliche noch in das laufende Ausbildungsjahr einsteigen. Und auch die Chancen für das neue Ausbildungsjahr stehen gut.
Die Krise bremst auch die Exporte. Sorgen Sie sich um den Duisburger Hafen?
LANDERS Der Duisburger Hafen ist mit einem blauen Auge davongekommen. Fünf Prozent weniger Güterumschlag sind zu verkraften. Umso wichtiger ist es, die Zukunftsprojekte anzupacken: die Ansiedlung des Containerriesen Maersk, die Ertüchtigung des Kohlehafens. DIETZFELBINGER Und die Rheinvertiefung. Duisburg braucht sie, um auf Dauer ein bedeutender Logistik-standort zu bleiben. Der Rhein muss um 30 Zentimeter tiefergelegt werden, damit auch größere Binnenschiffe fahren können und damit das sommerliche Niedrigwasser nicht die Industrie von Duisburg bis Mannheim zu Drosselungen zwingt.
Das hören Naturschützer nicht gerne. Die Elbvertiefung in Hamburg führt seit Jahren zu Streit.
LANDERS Wir müssen ein dickes Brett bohren, aber hier sind Bund und Land in der Pflicht, etwas für den Erhalt des größten Stahlstandortes in Europa zu tun. Thyssenkrupp bekommt 90 Prozent seiner Rohstoffe über den Rhein. Auch wenn wir die Verkehrswende ernst meinen, müssen wir Wasserstraßen mehr nutzen.
DIETZFELBINGER Die Niederländer machen uns vor, wie Infrastrukturprojekte gehen: Binnen vier Jahren bauen sie eine Pipeline, die Wasserstoff von Rotterdam nach Venlo bringen soll.
Auch NRW will Wasserstoffland werden. Was bedeutet das?
LANDERS Wir brauchen nun Pipelines, die den Wasserstoff von der Grenze ins Ruhrgebiet bringen. Wenn wir den Stahl klimaneutral machen wollen, müssen wir Thyssenkrupp, HKM und Arcelormittal auch Wasserstoff als neuen Rohstoff bieten. Bei der Pipeline ist NRW in der Pflicht, das muss ein Thema beim nächsten Spitzentreffen von Ministerpräsident Laschet und der niederländischen Regierung sein.
DIETZFELBINGER Auf keinen Fall darf sich die Pipeline so stark verzögern wie die Betuwe-güterbahnlinie. Während in den Niederlanden die Züge schon fahren, liegen bei uns noch nicht mal alle Gleise.
Zurück zum Stahlstandort Duisburg: Machen Sie sich Sorgen um Thyssenkrupp?
LANDERS Durch den Verkauf der Aufzugsparte hat sich Thyssenkrupp Luft verschafft. Doch das Branchenproblem bleibt: Wenn die EU die Co2-freie Herstellung von Stahl verlangt, muss Deutschland seinen Stahlfirmen helfen. Allein können sie die Umrüstung auf die grüne Herstellung, bei der Wasserstoff statt Kokskohle eingesetzt wird, nicht stemmen.
Soll der Staat den Unternehmen etwa einen Blankoscheck ausfüllen?
LANDERS Das nicht, hier sind auch die Unternehmen in der Pflicht, zumal sie ihre Produktion veredeln. Aber der Staat muss den Umbau begleiten, sei es als Co-finanzierer oder per Beteiligung. Andere Bundesländer sind bei ihren Stahlunternehmen eingestiegen.
Das fordert die IG Metall auch für Thyssenkrupp, aber NRW und führende Ökonomen lehnen das ab. LANDERS Wie man hilft, ist eine politische Entscheidung. Entscheidend ist, dass geholfen wird. Herr Laschet weiß um die Bedeutung des Stahlstandortes. An Thyssenkrupp Steel hängen direkt 22.000 Arbeitsplätze in NRW, indirekt kommen viele Tausend hinzu.
DIETZFELBINGER Wenn Duisburg den Stahl verliert, hat ganz NRW ein Problem. Dann bekommen auch die Zulieferer im Sauerland keine guten Vorprodukte mehr.
Der britische Konzern Liberty will Thyssenkrupp Steel übernehmen. Die IG Metall fürchtet die Zerschlagung. Was sagen Sie?
LANDERS Das ist Sache der Gesellschafter. Klar ist: Die Stahlsparte braucht viel Geld für ihre Umrüstung.
Die Klimapolitik trifft auch die Duisburger Hüttenwerke Krupp-mannesmann (HKM), an denen Thyssenkrupp beteiligt ist. Droht hier eine Schließung wie beim Grobblechwerk des Konzerns? LANDERS Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Unserer Kenntnis nach hat der Verkauf des Grobblechwerks keinen Einfluss auf die Perspektiven von HKM. Fakt ist natürlich: Zu HKM gehört eine große Kokerei, an der wird die Dekarbonisierung der Industrie nicht vorbeigehen. Auch hier wird der Staat etwas tun müssen.
Ihre Wünsche an die Politik? LANDERS Wir brauchen in der Corona-krise vor allem mutige Politik und schnelle Umsetzung.
DIETZFELBINGER Wir brauchen einen Modernisierungsschub bei der Digitalisierung, die Welt nach Corona wird eine andere sein.