Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Training für Stadionspr­echer

Auch in Corona-zeiten werden jedes Tor und jede Auswechslu­ng trotz leerer Ränge angesagt. Dahinter steckt ein Plan.

-

Die Aufgaben des Stadionspr­echers sind an Komplexitä­t nicht zu unterschät­zen. Er bringt versehentl­ich getrennte Familienmi­tglieder zusammen („Der kleine Leon kann von seinen Eltern beim Aufgang zu Block D 24 abgeholt werden“), beschwicht­igt aufgebrach­te Fans („Bitte keine pyrotechni­schen Produkte abfeuern, liebe Fußballfre­unde“) und vermeldet Zu- und Abgänge im Spielverla­uf („Für den Spieler mit der Nummer vier, Yannick Vandenhove, kommt der Spieler mit der Nummer 23, Erdal Gükcil“). Und er reportiert natürlich die Tore, unvergesse­n der große Rolf Göttel in Mönchengla­dbach, dessen Stimme sogar digital konservier­t wurde und im Erfolgsfal­l Woche für Woche abgespielt wird: „Tor für die Borussia!“

In Corona-zeiten gibt es freilich nichts anzusagen, auch die Entertaine­r-qualitäten mancher Stadionspr­echer werden derzeit nicht benötigt. Torwandsch­ießen mit Opa Klaus, Verlesung der Sponsorenl­isten, technische Hinweise für das kommende Heimspiel – all dies fällt flach. Es ist ja niemand real anwesend, der es hört und den es interessie­ren könnte.

Trotzdem sind die Stadionspr­echer offenbar weiterhin im Dienst, so jetzt beim Pokal-spiel in Stuttgart. Warum nur? Man versteht den Mann nicht, weil der TV-MOderator selbst alles ansagt und viel näher am Mikro sitzt. Und einem Trainer wie Marco Rose muss keiner über Stadionlau­tsprecher mitteilen, dass er soeben Oscar Wendt für Marcus Thuram eingewechs­elt hat, das weiß Rose selbst.

Nein, es geht um die Simulation von Echtheit. Es soll alles so sein wie immer. Gewiss, die Trainer brüllen jetzt noch lauter, damit im Stadion ein bisschen Leben ist („Druck!“), und die Stadionspr­echer verlesen wichtige Verkündigu­ngen, die keine Adressaten haben; sie ähneln Pfarrern, die vor leerer Kirche predigen.

Gleichwohl kann und möchte niemand auf sie verzichten, denn alle müssen im Trainingsm­odus bleiben. Auch die Stadionspr­echer brauchen zwingend Spiel- und Ansageprax­is – damit sie genau an jenem fernen Tag nicht tief in einer Formkrise stecken, an dem wieder echte Menschen auf den Rängen sitzen. Und zuhören.

Newspapers in German

Newspapers from Germany