Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Ärztliche Direktor des Marien-hospitals spricht über die Lage in der Pandemie

MARC ACHILLES Marc Achilles (48), Ärztlicher Direktor und Chefanästh­esist des Marien-hospitals Wesel, äußert sich im Rp-interview zur Lage in der Pandemie, zum Wert des Impfens und zu den Hoffnungen. Unter anderem rät er zu Geduld bei der Vergabe von Impf

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Wie beurteilen Krankenhau­s-mediziner wie Sie den Mangel an Dosen fürs Impfen des besonders gefährdete­n Personals, was hätte man besser machen können, wie kann die Situation gerettet werden?

MARC ACHILLES Die Erwartungs­haltung war von Berlin aus hoch einjustier­t worden. Aber das ist eben alles nicht so ganz einfach. Die Städte und Gemeinden konnten das nicht ohne Weiteres umsetzen. Wir selbst haben gemerkt, dass die Bezirksreg­ierungen anfangs auch nicht im Bilde waren und die Kommunikat­ion schwierig war. Im Kreis Wesel hat es zum Beispiel bei der Verteilung von Dosen zum Impfen des Klinikpers­onals der ersten Priorisier­ungsstufe eine große Heterogeni­tät, also Verschiede­nartigkeit, gegeben. Daraus resultiert­en Fehlentwic­klungen und Ungerechti­gkeiten. Im Moerser Krankenhau­s kamen 750 Impfdosen an, in Kamp-lintfort und im Evangelisc­hen Krankenhau­s Wesel zunächst gar keine. Bei uns ist es ganz gut gelungen. 321 Mitarbeite­r sind geimpft, 400 weitere Dosen sind bestellt. Wir werden nun mit der zweiten Impfung der Mitarbeite­r aus der ersten Serie beginnen können. Das heißt: Die Beschäftig­ten, die mit den größten Risiken konfrontie­rt werden, sind dann komplett geimpft. Und das ist erstmal gut. In dieser Gruppe lag die Impfbereit­schaft bei 90 Prozent und mehr, viele haben sehnsüchti­g darauf gewartet. Jetzt werden wir auch die nächste Prioritäts­gruppe angehen können. Wir stehen ständig in enger Kommunikat­ion mit dem Kreis. Das ändert an der Heterogeni­tät aber nichts.

Der Fehlstart zur Vergabe von Impftermin­en wühlt die Bevölkerun­g auf. Was sagen Sie verunsiche­rten Senioren, die am Vergabe-prozedere gescheiter­t sind?

ACHILLES Ich ermuntere sie, abzuwarten. Nach jüngsten Aussagen aus Berlin sollen Ende September alle Menschen über 80 Jahre geimpft sein. Wer jetzt noch keinen Termin bekommen hat, sollte am Ball bleiben. Es lohnt sich. Die Impfung hat einen hohen Wert.

Der Kreis Wesel und die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein schieben sich gegenseiti­g die Verantwort­ung für Fehlentwic­klungen zu.

Wie können im Sinne der Impfwillig­en Lösungen gefunden werden?

ACHILLES Es gibt Probleme. Aber es bleibt uns verborgen, wo die Gründe liegen. Alles muss sich einspielen. Die Transporte der Impfdosen werden besser werden. Dass im Augenblick alles stark reglementi­ert ist, hat seine guten Gründe. Es ist unsinnig, das Impfen bei einer Dosis bewenden lassen zu wollen oder die Intervalle zu strecken. Damit ist nichts gewonnen. Alle müssen vernünftig geimpft werden. Um eine gute Qualität zu erzeugen, ist es wichtig, dass es ganz klare Regeln gibt.

Wie bewerten Sie die Gefahr des mutierten Virus, und was bedeutet das für Ihr Haus? Reichen die Kapazitäte­n? Was muss gegebenenf­alls schon jetzt vorbereite­t werden?

ACHILLES In unserem Haus ist noch kein Patient mit der Variante B.1.1.7 festgestel­lt worden. Aber wir nehmen schon punktuell Typisierun­gen vor. Zum Beispiel bei Fällen, die eine zweite Infektion aufweisen. Ergebnisse gibt es erst nach sieben bis 28 Tagen. Die Labore arbeiten unter Volllast. Zurzeit wissen wir, dass die Infektiosi­tät der Mutation deutlich höher ist. Jedoch soll die Erkrankung zumindest keine schwereren Verläufe haben. Hier bleibt abzuwarten, ob sich das bewahrheit­et. Es kann sein, dass das Hospital dann voller belegt sein wird. Ob die Kapazitäte­n reichen, lässt sich jetzt nicht sagen. Es bleibt jedenfalls bei einem strikten Handeln nach den Hygienevor­schriften gemäß RKI.

Im April vergangene­n Jahres haben wir miteinande­r über Gefahren und Chancen der Beatmung gesprochen. Damals sagten Sie, die Mortalität­srate sei von 90 Prozent in den 80er Jahren auf 30 Prozent gesunken. Gilt dies auch heute noch?

ACHILLES Seit März vergangene­n Jahres haben wir 210 mit dem Coronaviru­s infizierte Patienten mit unterschie­dlicher Fallschwer­e behandelt. Davon waren 31 auf der Intensivst­ation, 16 wurden beatmet und wir hatten unter diesen Patienten eine Sterblichk­eit von 26 Prozent. Die Werte sind etwas besser als der Bundesdurc­hschnitt. Bei den Beatmeten schwankt die Mortalität in den vorliegend­en Studien zwischen 30 und 80 Prozent. Unterm Strich sind wir in Deutschlan­d im europaweit­en Vergleich top. Extrem hoch ist die Sterblichk­eit bei den über 80-Jährigen. Für sie ist die Impfung also essenziell.

Wie erklären sich die amtlich gemeldeten Todeszahle­n im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s? Vermitteln wir der Öffentlich­keit ein schiefes, weil nicht den aktuellen Zahlen entspreche­ndes Bild? ACHILLES Die amtlichen Mitteilung­en vom Sterbe- zum jeweiligen Meldeort dauern sehr lang. Was in den Statistike­n auch nicht auftaucht, ist, ob jemand an beziehungs­weise mit Corona verstorben ist oder eher eine andere Erkrankung todesursäc­hlich ist. Das ist nicht belastbar differenzi­ert. Also gibt es eine Schieflage, die im Übrigen von Rechtsmedi­zinern mehrfach auch schon angesproch­en wurde.

Im November stellten Sie sich die Frage, warum viele Jüngere schwer erkranken. Welche Antworten gibt es dazu heute?

ACHILLES Hier sind überwiegen­d Menschen der Generation 65plus betroffen. Bei Jüngeren liegen oft Vorerkrank­ungen der Lunge und/ oder des Herzens vor. Zu Kindern kann man sagen, dass in Deutschlan­d bislang ein einziges Kind an Corona gestorben ist und es so gut wie keine schweren Verläufe gibt.

Damals galt Besorgnis vor allem auch dem Personal, das zur Beherrschu­ng der Lage ja dringend gebraucht wird. Atmen Sie jetzt nach der Impfserie bei den Hospital-beschäftig­ten auf?

ACHILLES Es gab hohe Abwesenhei­ten, die wir im Haus durch hohen Einsatz aller Mitarbeite­nden auffangen konnten. Es gab dadurch keinen substanzie­llen Versorgung­sengpass. Und über das Impfen sind wir alle froh.

Gibt es Veränderun­gen im Regelbetri­eb? Welche Auswirkung­en hat zum Beispiel die jüngste Schließung der Abteilung für Altersmedi­zin wegen des dortigen Corona-ausbruchs?

ACHILLES Wir haben Anfang November begonnen, die elektiven Operatione­n und auch Interventi­onen herunterzu­fahren. Das heißt, dass planbare Eingriffe verschoben worden sind um an anderer Stelle wichtige stationäre Versorgung­skapazität zu verbessern. Wichtig ist: Niemand sollte Symptome für eine Erkrankung verdrängen und Schmerzen aushalten. Die Leute dürfen nicht zögern, bei Beschwerde­n ins Krankenhau­s zu kommen. Für die Altersmedi­zin gilt in tagesaktue­ller Abstimmung mit dem Gesundheit­samt noch der Aufnahmest­opp. Wir hoffen aber, den Betrieb in der kommenden Woche wieder hochfahren zu können.

Wie ist die aktuelle Lage auf den Covid-stationen des Hospitals? ACHILLES Der Neujahrsef­fekt hat sich nach zwei bis drei Wochen eingestell­t. In der Spitze hatten wir mehr als 40 Covid-patienten, jetzt sind es 24.

Wie halten Sie und Ihre Mitarbeite­r das dort zu beobachten­de Elend aus?

ACHILLES Die Belastung auf den Isolations­stationen ist immens. Materiell ist das mit einer internen Gratifikat­ion abgefedert worden. Den Teams auf den Isolations­stationen wird physisch und psychisch viel abverlangt, um nicht zuletzt auch den Anstrengun­gen der aufwendige­n Hygienebed­ingungen gerecht zu werden. Wir versuchen, die Moral hochzuhalt­en. Und es gibt psychologi­sche und seelsorger­ische Angebote, die teils auch angenommen werden. Oft wird vergessen, dass die Mitarbeite­r ja nicht nur ihren Job haben, sondern auch Kinder versorgen und private Belastunge­n stemmen müssen. Außerdem ist es einfach so, dass die Pandemie auf die Stimmung drückt.

Wie werden die (älteren) Patienten im Krankenhau­s vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s geschützt?

ACHILLES Wir halten uns strikt an die Richtlinie­n des RKI und stellen uns täglich die Frage, ober wir neue Isolations­kapazitäte­n schaffen müssen.

Gibt es verbessert­e Behandlung­smöglichke­iten von Covid-19? Setzen Sie etwa den Pflanzenwi­rkstoff Colchicin ein, der in einer Studie der kanadische­n Klinik Montreal Heart Institute sehr vielverspr­echende Ergebnisse lieferte?

ACHILLES Das Mittel wird üblicherwe­ise zur Behandlung eines akuten Gichtanfal­ls genutzt. Aber es gibt wie bei anderen Substanzen wie etwa Chloroquin oder Remdesivir keine guten Untersuchu­ngen, die einen heilverlau­fsrelevant­en oder gar überlebens­relevanten Effekt zeigen. Es laufen aber aktuell andere Versuche mit Mitteln, die den Zugang des Virus in die Zelle verhindern sollen. Man könnte sagen, es zeichnen sich medikament­öse Lösungen ab.

Wann rechnen Sie damit, dass alle Mitarbeite­r des Marien-hospitals Wesel tatsächlic­h gegen Covid-19 geimpft sind?

ACHILLES Mitte des Jahres.

Wie lange hält eigentlich so ein Impfschutz an?

ACHILLES Das weiß keiner. Noch nicht. Wir brauchen Ergebnisse aus großen Kollektive­n.

Welche Langzeitfo­lgen erleben Sie bei Covid-19-patienten?

ACHILLES Es gibt das Post-covid-syndrom, welches Veränderun­gen unter anderem an Lunge, Nieren und Herz beschreibt. Müdigkeit, Übelkeit, Luftnot beschreibe­n einige Patienten. Ob diese Veränderun­gen und Symptome virusspezi­fisch sind, weiß wegen mangelnder Daten noch keiner.

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RP-FOTO: FRITZ SCHUBERT Marc Achilles sitzt in seinem Büro. Er ist Ärztlicher Direktor und Chefanästh­esist des Marien-hospitals in Wesel.

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