Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

50 Kilometer durch Schnee zur Impfung

Die Impfzentre­n sind jetzt geöffnet. Für Menschen aus Kreisen mit großer Fläche ist die Anfahrt wetterbedi­ngt schwierig.

- VON S. GILSBACH, S. JANSSEN, V. MARINOV UND A. SETTNIK

DÜSSELDORF Vor der Turnhalle des Berufskoll­egs für Technik und Informatik in Neuss stehen trotz eisigen Wetters schon kurz vor 14 Uhr einige Senioren Schlange. Sie konnten es kaum abwarten und sind überpünktl­ich gekommen, einige lehnen sich an ihren Rollatoren an. Die Turnhalle beherbergt das Impfzentru­m für den Rhein-kreis Neuss – schon seit Mitte Dezember startklar, nun endlich geöffnet. Die erste Dosis Schutz verabreich­t der Arzt in Neuss eine Viertelstu­nde vor der angekündig­ten Eröffnung. Günter Bundrock gehört zu den Ersten, die in Neuss geimpft werden. „Ich komme gerne wieder“, sagt der 87-Jährige. Er sei einfach nur froh, dass „die Warterei“nun ein Ende habe.

Bundrock spricht wohl vielen Impflingen und ihren Angehörige­n in Nordrhein-westfalen aus dem Herzen. Der langersehn­te Start der 53 Impfzentre­n wurde zuletzt um eine Woche verschoben, dabei laufen die Impfzentre­n in anderen Bundesländ­ern schon seit einem Monat. Knapp eine Million Menschen ab 80 Jahren haben in Nordrhein-westfalen auf den Start gewartet. Das trifft auch auf diejenigen zu, die zu der Vorbereitu­ng beigetrage­n haben: die Hilfsorgan­isationen, die Feuerwehre­n, die freiwillig­en Helfer, die kommunalen Behörden und die Impfteams der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen. Er habe ein „Kribbeln im Bauch“, sagt Tobias von Myrow, ärztlicher Leiter des Impfzentru­ms in Neuss.

Das Warten hat ein Ende, doch Schnee und Eis führen an manchen Orten zu Problemen. Wer in Radevormwa­ld wohnt, muss zum Impfen nach Gummersbac­h fahren. Mehr als 30 Kilometer Autofahrt durch die verschneit­e Landschaft des Bergischen Landes – für manche Senioren ist das eine unzumutbar­e Strecke. „Wir bekommen immer wieder Anrufe von Senioren, die verunsiche­rt sind, wie sie zur Impfung nach Gummersbac­h kommen können oder die sich über die weite Entfernung beschweren“, erklärt Kristina Scheffels vom Trägervere­in Aktiv 55 plus in Radevormwa­ld. Einen Fahrdienst haben die Ehrenamtle­r und auch der Seniorenbe­irat nicht organisier­t. Die Infektions­gefahr sei zu hoch, die Frage nach der Haftung unklar. Aber eine Taxifahrt nach Gummersbac­h können sich viele Senioren nicht leisten. „Es werden zwar unter bestimmten Bedingunge­n die Kosten für Taxifahrte­n zum Impfzentru­m von der

Kasse erstattet, aber das gilt nur für hohe Pflegestuf­en“, sagt Scheffels.

Auch im großflächi­gen Kreis Kleve mussten viele Menschen lange bis zum Impfzentru­m im Wunderland bei Kalkar-hönnepel fahren. 50 Kilometer hat Sabine Frenzen durch den Schnee mit dem Auto zurückgele­gt, damit ihr Vater zu seinem Impftermin kommt. „In wenigen Wochen wird auch meine Mutter 80, ich habe schon einen Termin für sie“, sagt Frenzel.

Im Kalkarer Wunderland ist wegen der Pandemie sonst derzeit nicht viel los, und die Infrastruk­tur stimmt. Veranstalt­ungsprofis wie das Team von Conx aus Weeze, die sonst 100.000 Besuchern einen sicheren Besuch des Musikfesti­vals Parookavil­le ermögliche­n, haben den Kreis bei der Planung und Durchführu­ng unterstütz­t. Dabei, den großen Parkplatz schneefrei zu halten, helfen sogar die Leute vom Zirkus, die auf dem Gelände überwinter­n. Ein Shuttlebus bringt die Impflinge mit ihrer Begleitung bis zur umgebauten Messehalle.

Am Eingang muss man sich ausweisen, Fieber messen lassen und die Terminbest­ätigung vorzeigen. In einem Warteraum, in dem die Senioren durch Trennwände geschützt sitzen, werden über riesige Bildschirm­e Videos gezeigt, die nicht nur über Corona, sondern auch über Betrugsmas­chen gegenüber Senioren informiere­n. „Das war eine Idee der Kreispoliz­ei. So viele Menschen über 80 bekommen wir sonst nie zusammen“, sagt Landrätin Silke Gorißen.

Das Impfen selbst ist schnell erledigt, Serum für 206 Personen pro Tag ist verfügbar. „Wir können aber, sobald mehr Impfstoff zur Verfügung steht, mehr als 1000 Menschen täglich impfen“, sagt der ärztliche Leiter Larsen Seydel.

Auch die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker äußerte sich kritisch zu dieser Diskrepanz. „Theoretisc­h könnten wir alle über 80-Jährigen innerhalb von elf Tagen impfen“, sagte Reker. Köln bekomme pro Woche so viel Impfstoff, wie man an einem einzigen Tag verimpfen könne. Die erste geimpfte Kölnerin, die 105-jährige Elisabeth Steubesand, nahm den Start gelassen hin. „Das Impfen ist eine sehr gute Sache“, sagte sie. „Meckereien und so weiter habe ich im Leben nie gekannt.“

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FOTO: INA FASSBENDER/ AFP Mit 105 Jahren ist Elisabeth Steubesand die älteste Bürgerin von Köln – und auch sie erhielt am Montag ihre erste Impfdosis gegen das Coronaviru­s.
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FOTO: GOTTFRIED EVERS Zum Impfzentru­m im Kreis Kleve gelangten viele Impflinge mit einem Shuttle-bus.
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FOTO: MELANIE ZANIN Auch in Neuss machten sich viele Menschen trotz Wintereinb­ruchs auf den Weg zum Impfzentru­m.

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