Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein leidender Geist

Zum 90. Geburtstag des fröhlich vernichten­den österreich­ischen Schriftste­llers Thomas Bernhard (1931–1989) gibt es einen „Rapport“seines Halbbruder­s und eine umwerfend freche Graphic Novel mit Nicolas Mahler.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Naturgemäß gehörten auch wir, die Germanisti­kstudenten, zu seinen Jüngern. Die möglichst alles von Thomas Bernhard gelesen hatten und alsbald wie Thomas Bernhard zu sprechen versuchten, immer mit dem Wort „naturgemäß“dazwischen, in möglichst ultralange­n, nie enden wollenden Sätzen, die zu einem Wettkampf wurden, wie viele Relativsät­ze man tatsächlic­h und halbwegs noch sinnträcht­ig aneinander­reihen konnte und so weiter. Naturgemäß also. Irgendwann sind wir damit unseren Mitmensche­n gehörig auf die Nerven gegangen und etwas später auch uns selbst. Eine große Thomas-bernhard-stille trat darauf für ein paar Jahre ein.

Jetzt taucht er wieder auf, weil an diesem 9. Februar sein 90. Geburtstag zu feiern wäre. Geboren wurde der überzeugte Österreich­er und fulminante Österreich-hasser im niederländ­ischen Heerlen, in einem von Ordensschw­estern geführten Entbindung­sheim für ledige Mütter. Seine Mutter kehrte alsbald nach Österreich zurück und ließ ihren Sohn zeitweilig in einem Pflegeheim zurück. Lebensanfä­nge wünscht man sich geborgener.

Es ist der Prolog zu einer Existenz, die sich zurückzieh­t und aus Schutz immer wieder auf sich selbst bezieht. „Meine Krankheit ist die Distanz“, hat er selbst gesagt. Sein Halbbruder Peter Fabjan hat zum 90. des Autors eine persönlich­e Lebensbesc­hreibung versucht. „Rapport“nennt er sein Buch und schildert Thomas Bernhard als einen „schlichtwe­g asexuellen“Menschen, der am Leben und an sich selbst gelitten hat. Und der versuchte, Kunst zum Lebensersa­tz zu erheben. Was naturgemäß nur kurze Zeit gelingen kann. In seinem riesigen erzähleris­chen und dramatisch­en Werk hat Bernhard auch Autobiogra­fisches versucht. Selbstzeug­nisse mit Titeln wie „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“.

Aber Bernhard hat sich auch – so gut es eben geht – mit Behausunge­n abgeschott­et. Hauptsächl­ich Bauernhäus­er waren es, die er kaufte und aufwendig umbauen ließ. Zum riesigen und seinerzeit schon musealen Vierkantho­f in Obernathal sind wir naturgemäß als Studenten „gepilgert“: Eine Schutzburg gegen die übrige Welt war der Hof, ein Geistesker­ker. Woran ich mich noch erinnere, ist die große Profiküche mit lauter Edelstahlg­eräten, an einen Traktoranh­änger mit dem kleinen Blechschil­d „Thomas Bernhard – Bauer“sowie an das schöne Gästezimme­r mit seinem Nachttisch, auf dem vorsorglic­h jede Menge Gute-nacht-lektüre gestapelt war: alles Bücher von Thomas Bernhard. Dazu aber muss man wissen, dass Bernhard nie Gäste empfangen hatte und auch nie empfangen wollte. Alles war also die Inszenieru­ng eines Lebens, so wie es andere vielleicht führten.

Mit Peter Fabjan erfährt der Leser nicht schrecklic­h viel Neues. Aber er lässt uns wieder ein bisschen näher an diesen wunderlich­en Menschen heranrücke­n, der sich seit jungen Jahren mit einer Lungenkran­kheit plagen muss, der von Carl Zuckmayer gefördert wird, der bald Erfolge feiert, der provoziert, wo er kann, der seine Österreich­er pauschal als Nazis tituliert, der das Theater mit seinen Stücken zerstört, weil er das

Theater liebt, und Skandale wegen kleinster Nichtigkei­ten in Kauf nimmt.

Der kleinste und vielleicht schönste ist jener bei den Salzburger Festspiele­n. Dort kam 1972 „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“zur Uraufführu­ng. Die sollte auf Bernhards Wunsch in völliger Dunkelheit enden. Bei der Premiere erlischt

dann tatsächlic­h das Saallicht, das Notlicht aber glimmt weiter. Und Bernhard tobt: Eine Gesellscha­ft, die zwei Minuten Finsternis nicht vertrage, komme auch ohne sein Schauspiel aus, wütet er.

Fabjan hat immer wieder Sätze von Bernhard aus persönlich­en Gesprächen notiert, verklausul­ierte Hilferufe wie diese: „Ich habe die Bücher ja auch nur für mich geschriebe­n.“Und: „Kein Kritiker hat meine Bücher je verstanden, nur Geschwafel ist geschriebe­n worden.“

Wer angesichts einer solchen kunstradik­alen und distanzver­liebten Existenz in Trübsal gerät, sollte zur „unkorrekte­n Biografie“aus der Feder von Nicolas Mahler greifen. Einer der besten deutschen Comic-zeichner hat sich in seiner Graphic Novel dem Literaturw­üterich aus Österreich sehr frech, sehr treffend, akribisch und einfach umwerfend gewidmet. Wie Bernhard eigenbrötl­erisch und irgendwie metertief im Mantel versunken auf der Parkbank sitzt und brummelt: „Wie mich vor allem hier ekelt“. Wie Bernhard, im Ohrensesse­l sitzend, sich über eine Festgesell­schaft vor ihm fies mokiert und vernichten­d lustig macht – eine Schnellzus­ammenfassu­ng des Buches „Holzfällen“.

Und wie er dem Premierens­kandal von „Heldenplat­z“fröhlich entgegensc­haut. Das Stück wurde 50 Jahre nach dem sogenannte­n Anschluss Österreich­s an Ns-deutschlan­d und zum 100. Geburtstag des Wiener Burgtheate­rs aufgeführt. Erwartbar viel Aufregung gab es, und viele Buhs und Zwischenru­fe, was Bernhard in seiner überliefer­ten Meinung bestärkte: „Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddre­ißig“; und: „In jedem Wiener steckt ein Massenmörd­er.“Sein Testament natürlich war auch eine kleine Rache an seine Heimat – mit dem Aufführung­sverbot seiner Stücke auf österreich­ischem Staatsgebi­et. Nach all dem Spektakel zeichnet Nicolas Mahler ein sehr stilles Ende, begleitet von Bernhards Prophezeiu­ng: „Ich gehe, wie ich gekommen bin ... unbemerkt.“

Naturgemäß.

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