Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Begleiten und trösten bei Covid-19
Die Palliativmedizin hat eine wichtige Aufgabe bei schweren Corona-verläufen: Sie sieht den Patienten ganzheitlich und unterstützt die Intensivstationen.
DÜSSELDORF Bei schweren Verläufen von Covid-19 gelangt die Medizin regelmäßig an einen Scheideweg: Wie spricht man mit dem Patienten, wie mit seinen Angehörigen? Wie ist eine Patientenverfügung zu interpretieren?
Nicht nur in solchen Situationen schaltet sich die Palliativmedizin ein. Sie umsorgt jeden Patienten ganzheitlich und weiß, dass er empfänglich ist für Linderung an Leib und Seele. Häufig gelingt es, Menschen so zu stabilisieren, dass sie das Krankenhaus wieder verlassen können, nach Hause oder ins Hospiz.
Martin Neukirchen leitet das Interdisziplinäre Zentrum für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Düsseldorf. Seit Monaten erlebt der
Arzt den Kampf der intensivmedizinischen Teams um jedes Menschenleben; er weiß, wie zehrend diese Arbeit ist, und hat vor den aktuell stark belasteten Teams auf den Intensivstationen größten Respekt. Immer häufiger hilft die Palliativmedizin auch auf der Intensivstation, weil Patienten unter ihren Symptomen leiden oder schwere, auch psychisch belastende Überlegungen im Gespräch mit den Patienten und den Angehörigen anstehen.
„Wir erleben derzeit hohen Bedarf an palliativmedizinischer Hilfe“, sagt Neukirchen. „Wir behandeln die Patienten vor allem bei der Symptomkontrolle, zur Linderung von Luftnot, Angst und Unruhe. Hier sind auch unsere Pflegeteams gefragt, die die Kollegen auf der Intensivstation unterstützen, unsere Seelsorger, Psychologen und Physiotherapeuten.“Das Palliativteam erhält regelmäßig Supervision und schätzt sie zur Entlastung sehr. „Supervision kann auch den Kollegen der Intensivstation helfen.“
Die Palliativteams sind geschult im Umgang mit Angehörigen. „Nicht selten sind die Familienmitglieder selbst in Quarantäne und dürfen die Patienten nicht besuchen.“Das seien Situationen, die viel Leid erzeugen. „Hier können wir aber mit unseren Erfahrungen helfen. Videotelefonie ermöglicht es, Kontakt mit den Kranken aufrechtzuhalten, ihnen sogar beim Sterben nahe zu sein.“Und nicht zuletzt: „Wir fangen Trauer auf.“
Derzeit komme die Einsamkeit hinzu, sagt Neukirchen: „Wir haben eine coronapositive Dialyse-patientin begleitet. Sie empfand die Isolierstation als so belastend, dass sie die Dialyse absetzen wollte. Wir nahmen sie nach Abklingen der Virusinfektion fast sterbend auf die Palliativstation auf. Nach wenigen Tagen und vielen Gesprächen fasste sie neuen Mut, und sie entschied sich, die Dialyse doch fortzusetzen.“
Covid-19-verläufe sind nicht planbar. Es gibt Patienten, die sich sogar von einer Ecmo-therapie erholen, einer Art künstlichen Lunge. Andere verschlechtern sich unrettbar schnell. Und wenn ihre Lunge schon vorgeschädigt ist, dann kann es dazu kommen, „dass Menschen trotz Beatmung und künstlicher Lunge bei vollem Bewusstsein sterben“. Als Palliativmediziner habe man gelernt, auch ohne gesprochene Worte zu kommunizieren. „Wenn man nicht mehr heilen kann, kann man lindern, wenn man nicht mehr lindern kann, kann man trösten, und wenn man nicht mehr trösten kann, ist man immer noch da.“
Dieses wichtige Angebot, das oft so viel mehr ist als nur Sterbebegleitung, droht mancherorts zur Disposition gestellt zu werden. In Freiburg wurde eine Palliativstation zu einer Covid-isolierstation umfunktioniert. In anderen Städten wurde ambulanten Teams der Zutritt zu Palliativpatienten in Altenheimen verwehrt. Das neue Projekt „Palliativversorgung in Pandemiezeiten“widmet sich diesen Problemen. Zwölf universitäre palliativmedizinische Einrichtungen wollen alle Bereiche der Hospiz- und Palliativversorgung erforschen. Bis März 2021 wird eine nationale Strategie für die Betreuung schwerkranker Erwachsener und deren Angehöriger in Pandemiezeiten erarbeitet.