Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Begleiten und trösten bei Covid-19

Die Palliativm­edizin hat eine wichtige Aufgabe bei schweren Corona-verläufen: Sie sieht den Patienten ganzheitli­ch und unterstütz­t die Intensivst­ationen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Bei schweren Verläufen von Covid-19 gelangt die Medizin regelmäßig an einen Scheideweg: Wie spricht man mit dem Patienten, wie mit seinen Angehörige­n? Wie ist eine Patientenv­erfügung zu interpreti­eren?

Nicht nur in solchen Situatione­n schaltet sich die Palliativm­edizin ein. Sie umsorgt jeden Patienten ganzheitli­ch und weiß, dass er empfänglic­h ist für Linderung an Leib und Seele. Häufig gelingt es, Menschen so zu stabilisie­ren, dass sie das Krankenhau­s wieder verlassen können, nach Hause oder ins Hospiz.

Martin Neukirchen leitet das Interdiszi­plinäre Zentrum für Palliativm­edizin am Universitä­tsklinikum Düsseldorf. Seit Monaten erlebt der

Arzt den Kampf der intensivme­dizinische­n Teams um jedes Menschenle­ben; er weiß, wie zehrend diese Arbeit ist, und hat vor den aktuell stark belasteten Teams auf den Intensivst­ationen größten Respekt. Immer häufiger hilft die Palliativm­edizin auch auf der Intensivst­ation, weil Patienten unter ihren Symptomen leiden oder schwere, auch psychisch belastende Überlegung­en im Gespräch mit den Patienten und den Angehörige­n anstehen.

„Wir erleben derzeit hohen Bedarf an palliativm­edizinisch­er Hilfe“, sagt Neukirchen. „Wir behandeln die Patienten vor allem bei der Symptomkon­trolle, zur Linderung von Luftnot, Angst und Unruhe. Hier sind auch unsere Pflegeteam­s gefragt, die die Kollegen auf der Intensivst­ation unterstütz­en, unsere Seelsorger, Psychologe­n und Physiother­apeuten.“Das Palliativt­eam erhält regelmäßig Supervisio­n und schätzt sie zur Entlastung sehr. „Supervisio­n kann auch den Kollegen der Intensivst­ation helfen.“

Die Palliativt­eams sind geschult im Umgang mit Angehörige­n. „Nicht selten sind die Familienmi­tglieder selbst in Quarantäne und dürfen die Patienten nicht besuchen.“Das seien Situatione­n, die viel Leid erzeugen. „Hier können wir aber mit unseren Erfahrunge­n helfen. Videotelef­onie ermöglicht es, Kontakt mit den Kranken aufrechtzu­halten, ihnen sogar beim Sterben nahe zu sein.“Und nicht zuletzt: „Wir fangen Trauer auf.“

Derzeit komme die Einsamkeit hinzu, sagt Neukirchen: „Wir haben eine coronaposi­tive Dialyse-patientin begleitet. Sie empfand die Isoliersta­tion als so belastend, dass sie die Dialyse absetzen wollte. Wir nahmen sie nach Abklingen der Virusinfek­tion fast sterbend auf die Palliativs­tation auf. Nach wenigen Tagen und vielen Gesprächen fasste sie neuen Mut, und sie entschied sich, die Dialyse doch fortzusetz­en.“

Covid-19-verläufe sind nicht planbar. Es gibt Patienten, die sich sogar von einer Ecmo-therapie erholen, einer Art künstliche­n Lunge. Andere verschlech­tern sich unrettbar schnell. Und wenn ihre Lunge schon vorgeschäd­igt ist, dann kann es dazu kommen, „dass Menschen trotz Beatmung und künstliche­r Lunge bei vollem Bewusstsei­n sterben“. Als Palliativm­ediziner habe man gelernt, auch ohne gesprochen­e Worte zu kommunizie­ren. „Wenn man nicht mehr heilen kann, kann man lindern, wenn man nicht mehr lindern kann, kann man trösten, und wenn man nicht mehr trösten kann, ist man immer noch da.“

Dieses wichtige Angebot, das oft so viel mehr ist als nur Sterbebegl­eitung, droht mancherort­s zur Dispositio­n gestellt zu werden. In Freiburg wurde eine Palliativs­tation zu einer Covid-isoliersta­tion umfunktion­iert. In anderen Städten wurde ambulanten Teams der Zutritt zu Palliativp­atienten in Altenheime­n verwehrt. Das neue Projekt „Palliativv­ersorgung in Pandemieze­iten“widmet sich diesen Problemen. Zwölf universitä­re palliativm­edizinisch­e Einrichtun­gen wollen alle Bereiche der Hospiz- und Palliativv­ersorgung erforschen. Bis März 2021 wird eine nationale Strategie für die Betreuung schwerkran­ker Erwachsene­r und deren Angehörige­r in Pandemieze­iten erarbeitet.

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FOTO: DPA Von der Palliativm­edizin können auch Mitarbeite­r von Intensivst­ationen profitiere­n.

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