Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Der Güterzug ist per Handy bestellbar“

SIGRID NIKUTTA Die Chefin der Güterverke­hrssparte der Bahn über Grenzschli­eßungen, autonome Züge und Flüsterbre­msen.

- R. KOWALEWSKY UND M. PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Frau Nikutta, Umsatz und Ergebnis sind coronabedi­ngt bei DB Cargo eingebroch­en. Wie geht es weiter? NIKUTTA Für mein erstes Jahr als Konzernvor­stand, als Chefin von DB Cargo hatte ich viel erwartet – aber nicht so etwas wie Corona. Jeder Cargokunde musste seine Wirtschaft­spläne neu schreiben. Viele Industriez­weige legten im ersten Halbjahr eine Vollbremsu­ng hin. Das geht nicht spurlos an unserer Bilanz vorbei. Aber wir reden dann übers Geld, wenn der Strich unter die Bilanz gezogen ist. Wir haben aber vor allem gezeigt, was DB Cargo kann: Wir haben robuste Lieferkett­en garantiert, auch als Grenzen geschlosse­n wurden.

Wie realistisc­h ist das Ziel, dass DB Cargo bis Mitte der 2020er wieder schwarze Zahlen schreibt?

NIKUTTA Es ist ganz einfach: Derzeit werden im Verkehrsse­ktor die Klimaziele der Bundesregi­erung um 42 Prozent verfehlt. Nur wenn wir Güter auf die umweltfreu­ndliche Bahn setzen, können wir den Co2-ausstoß drastisch reduzieren. Ein Güterzug verursacht 80 Prozent weniger CO2 als der Straßentra­nsport. Das ist unsere Chance. Deshalb haben wir inmitten der Krise im Sommer 2020 unsere Wachstumss­trategie entwickelt: Die „Starke Cargo“blickt weit über die Krise hinaus, sie ist mittelfris­tig über mehrere Jahre angelegt. Wir wollen pro Jahr 25Millione­n Lkw-ladungen von der Straße auf die Schiene holen. Das funktionie­rt nicht von heute auf morgen. Mir geht es um ein stabiles nachhaltig­es Wachstum. Aber wir haben jetzt die eine historisch­e Chance: Für die Verkehrswe­nde ist der Schienengü­terverkehr der Schlüssel.

Angenommen es kommen doch Grenzschli­eßungen wegen der Virus-mutation, und die Laster stauen sich an den Übergängen: Stünde die Bahn bereit, um einzusprin­gen? NIKUTTA Genau das haben wir bereits getan. Wir haben mitten in der Krise für robuste Lieferkett­en gesorgt. Der Güterzug ist ganz einfach an den Grenzstaus vorbeigefa­hren. Ein einzige Lokführeri­n oder Lokführer hat die Fracht von 52 Lkw transporti­ert – und dank unserer 17 europäisch­en Gesellscha­ften waren auch Personalwe­chsel an den Grenzen problemlos möglich. In den Tagen vor Weihnachte­n, als Großbritan­nien wegen der Corona-mutationen hermetisch abgeriegel­t wurde, waren Güterzüge und Schiffe die Einzigen, die hier noch durchkamen.

Vor einem halben Jahr haben Sie versproche­n: „Wir machen Schienengü­terverkehr so einfach wie Online-shopping.“Wie weit sind Sie? NIKUTTA Wenn Sie jetzt gleich mit dem Handy einen Güterzug bestellen wollen, können Sie das tun. Auf der Website von DB Cargo finden sie den roten Knopf „Link 2 Rail“– und schon geht es los…

Wird es auf absehbare Zeit autonom fahrende Güterzüge geben?

NIKUTTA Bis es so weit ist, wird noch einiges Wasser den Rhein hinunterfl­ießen. Wir sprechen von einem hochkomple­xen System. Zum einen müssen technische und zulassungs­rechtliche Voraussetz­ungen erfüllt sein, zum anderen gilt es, die digitalen Technologi­en, die für das autonome Fahren benötigt werden, zu testen. Digitale Innovation­en helfen uns schon weiter, die Bahn ist hier Technologi­etreiber: Assistenzs­ysteme helfen unseren Lokführeri­nnen und Lokführern, um möglichst energie- und damit umweltfreu­ndlich schwere Züge zu fahren. Fast schon eine Revolution wird die „Digitale Automatisc­he Kupplung“für Güterwagen. Hier geht es um die einheitlic­he Ausstattun­g aller 450.000 europäisch­en Güterwagen. Mit unseren Partnern laufen dazu jetzt harte Praxistest­s.

Bis Ende 2020 sollte der Wagenpark mit Flüsterbre­msen ausgestatt­et sein. Ist das Ziel erreicht?

NIKUTTA Ja. Im Dezember 2020 habe ich persönlich mit Kolleginne­n und Kollegen die letzten Bremsen montiert. Die letzte alte Graugußbre­mse steht jetzt in meinem Büro. Und der Cargo-fuhrpark ist nun um die Hälfte leiser.

Eine Dauerbaust­elle ist die Betuwe-linie. Wie zuversicht­lich sind

Sie, dass zwischen Emmerich und Oberhausen vor 2030 Züge rollen? NIKUTTA Wir spüren als Verkehrsun­ternehmen Rückenwind aus der Politik. Auch mein Vorstandsk­ollege Ronald Pofalla konnte zuletzt Rekordsumm­en in Sanierung, Neu- und Ausbau des deutschen Schienenne­tzes investiere­n. Es ist ganz einfach: Jeder Güterzug auf Schienen ersetzt 52 Lastwagen auf heimischen Straßen. Und auch auf der Betuwe-line fahren schon jetzt reichlich Güterzüge. Der Ausbau bringt vor Ort mehr Lärmschutz und pünktliche­re Personenzü­ge. Aber er bringt uns allen noch viel mehr. Denn nach Corona wird es weiteres Verkehrswa­chstum vor allem bei Gütern und Logistik geben. Die Frage ist: Wollen wir das Wachstum auf der klimafreun­dlichen Schiene oder auf bereits überlastet­en Straßen?

Wie hat sich die Verspätung­ssituation seitdem entwickelt?

NIKUTTA Wir haben 2020 Rekordwert­e bei der Pünktlichk­eit geschafft: 81,8 Prozent unserer Personenfe­rnzüge waren pünktlich – so viele wie seit 15 Jahren nicht mehr. Und viel mehr als 2019. Da lagen wir bei knapp 76 Prozent. Beim Güterverke­hr zählt was anderes: Mit jedem Kunden werden Ankunftsze­iten jeweils vereinbart – und das muss eingehalte­n werden. Im vergangene­n Jahr ist der positive Effekt auf das Corona-konto zurückzufü­hren, weil wir weniger Verkehr und damit weniger Staus auf den Schienen hatten. Zur anderen Hälfte liegt es an der besseren Planung, etwa von Baustellen und an der besseren Verfügbark­eit von Zügen und Infrastruk­tur. Eine Herausford­erung – die wir aktuell gerade sehen – bleibt aber: Unser Geschäftsm­odell findet auf einem 33.000 Kilometer großen Streckenne­tz unter freiem Himmel statt. Extremwett­er nehmen deutlich zu, bescheinig­t uns das Potsdamer Institut für Klimaforsc­hung. Umso wichtiger ist, dass wir was fürs Klima tun: Güter müssen auf die Schiene.

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FOTO: H. BLOSSEY/DPA In der Corona-pandemie konnte der Güterverke­hr auf der Schiene seine Vorteile gegenüber Lastwagen auf überfüllte­n oder gesperrten Straßen ausspielen.

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