Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Bei den Schulen räumt Merkel das Feld
Kanzlerin und Ministerpräsidenten verlängern die harten Corona-regeln. Im Bildungsbereich sollen die Länder selbst entscheiden.
BERLIN Angela Merkel gießt sich erstmal ein Glas Wasser ein. Es ist kurz vor 20 Uhr am Mittwochabend. Recht früh für eine Pressekonferenz nach Beratungen der 14 Ministerpräsidenten und zwei Ministerpräsidentinnen mit der Bundeskanzlerin. Diesmal ging es schneller, die Vorberatungen am Vormittag waren heftig im Ton, aber effektiv in der Sache. Merkel (CDU) wirkt erleichtert. Sie hat Zugeständnisse gemacht, aber im Großen und Ganzen sind ihr die Länder in ihrer vorsichtigen Linie im Kampf gegen das Coronavirus gefolgt. Auch wenn es vielen Regierungschefs schwer fällt. Doch am Ende einigt man sich auf einen Stufenplan, der – mit Ausnahme der Schulen – erst im März beginnt.
Der Mittwoch beginnt für die Kanzlerin sehr früh. Bereits um 7.40 Uhr wird der Entwurf einer Beschlussvorlage aus dem Kanzleramt an die Länder verschickt. Der Inhalt ist brisant: Das Papier aus der Feder von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sieht eine Lockdown-verlängerung bis 14. März vor, Friseuröffnungen ab Anfang März und freie Hand der Länder in Schul- und Kita-fragen. Außerdem wird unter Punkt sechs in dem Entwurf mit grüner Schrift eine 35er-inzidenz als Öffnungskriterium angedacht (35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen) – oder aber ein erneutes Zusammenkommen der Länder am 10. März.
Heißt übersetzt: Merkel setzt ihre vorsichtige Linie fort. Zu unsicher erscheinen der Naturwissenschaftlerin das Wissen über die Mutationen des Virus und ihre Ausbreitung. Sie will eine „Wellenbewegung“, also ein Öffnen und Schließen, unbedingt verhindern. Es ist ihr Credo für die Verhandlungen am Mittwoch. Das Papier ist deshalb brisant, weil sie am Vortag vor der Unionsfraktion noch von Anfang März als Zeitpunkt für Öffnungen gesprochen hatte. Allerdings zeigt die Vorlage auch: Das Kanzleramt hat sich aus der Diskussion um die Schulen zurückgezogen, will den Ländern freie Hand lassen. Merkel sieht die Öffnung der Schulen mit Blick auf die Infektionen skeptisch – aber der politische Widerstand auch aus der Union gegen eine weitere Schließung ist sehr groß.
Also räumt sie diesen Punkt, macht in ihrer Vorlage aber deutlich:
Der Lockdown soll verlängert werden, trotz sinkender Infektionszahlen. Es folgen Beratungen der Länder untereinander. Die A-seite und die B-seite (wie die SPD- und die unionsgeführten Länder genannt werden) tagen zunächst getrennt. Vor allem im Kreis der Spd-geführten Länder gibt es weiteren Beratungsbedarf. Es gibt viele Gespräche, das Treffen im Kanzleramt verschiebt sich nach hinten. Man wollte um 14 Uhr mit den virtuellen Beratungen starten, doch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fährt erst um 14.15 Uhr vor dem Bundeskanzleramt vor.
Kurz vor 15 Uhr geht es dann los, ein weiteres Papier macht die Runde: Nun steht der 7. März als Datum für Öffnungen im Raum. Er wird es am Ende werden. Einer ist zu Beginn der Beratungen schon mal sauer auf die Kanzlerin: Grünen-ministerpräsident Winfried Kretschmann aus Baden-württemberg sieht sich vom Kanzleramt alleingelassen. Er fährt einen vorsichtigen, restriktiven Kurs bei den Schulen – und ist enttäuscht, dass nun alles den Ländern überlassen werden soll. Merkel sagt dazu am Abend, es sei „ganz einfach nicht möglich, dass ich als Bundeskanzlerin mich so durchsetzen kann, als hätte ich da ein Vetorecht“. Doch Merkel macht einen anderen Punkt. Sie setzt sich zu Beginn der Runde dafür ein, dass Lehrer und Erzieher eine höhere Priorität beim Impfen erhalten, und bittet die Länder um eine Prüfung. Erzieherinnen und Erzieher hätten keine Möglichkeit, die notwendigen Abstände einzuhalten. Die Länder folgen ihr.
Einer muss sich aus den Beratungen schnell wieder ausklinken: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) muss am Nachmittag im Bundestag Fragen zu Russland und Nord Stream 2 beantworten. Grüne, Linke, FDP und AFD hatten in einer Aktuellen Stunde im Bundestag den Auftritt von Scholz verlangt. Politik ist eben – auch wenn es im Augenblick so erscheint – nicht nur Pandemiebekämpfung!