Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Für einen Mord fehlte nur die Gelegenhei­t

Der Impeachmen­t-prozess gegen Donald Trump bringt immer neue Details ans Licht. Auch, wie knapp es am 6. Januar für einige Politiker war.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Er habe erst jetzt begriffen, wie nah er der Gefahr gewesen sei, sagte Mitt Romney, nachdem die Aufnahmen einer Überwachun­gskamera über die Bildschirm­e im Senat gelaufen waren. Was er gesehen habe, treibe ihm Tränen in die Augen. „Es war auf überwältig­ende Weise schmerzlic­h und emotional“, kommentier­te er, was die Kläger des Impeachmen­t-prozesses an Beweisen präsentier­ten.

Romney, den die Republikan­er 2012 zum Präsidents­chaftskand­idaten kürten, war am 6. Januar 2021 drauf und dran, in sein Verderben zu laufen. Aufgeputsc­hte Anhänger Donald Trumps, viele von ihnen in Kampfmontu­r, hatten das Kapitol gestürmt, nun zogen sie lärmend durch die Gänge und hielten Ausschau nach Politikern, mit denen sie abrechnen konnten. Der Senat hatte seine Sitzung unterbroch­en, man floh vor dem Mob, und im Labyrinth der Korridore ging Romney in die falsche Richtung. Er bewegte sich geradewegs auf Leute zu, die in ihm, dem Kritiker Trumps, einen Verräter sahen. Niemand weiß, wie es ausgegange­n wäre, wäre nicht Eugene Goodman aufgetauch­t, hätte der Polizist den Senator nicht an der Schulter gefasst und ihm bedeutet, dass er umkehren müsse.

Goodman, seit zwölf Jahren Beamter der Capitol Police, hat später eine Gruppe von Marodeuren auf die falsche Fährte geführt. Er rannte eine Treppe hinauf, auf der ihm die Angreifer folgten. Es ist wohl nur seiner Geistesgeg­enwart zu verdanken, dass nicht Schlimmere­s passierte. Denn auf dem Flur, von dem er die Meute weglockte, lag das Zimmer, in das Mike Pence von seinen Leibwächte­rn geführt worden war. Der Vizepräsid­ent, den der Mob hängen wollte, weil er sich weigerte, das Wahlergebn­is durch verfassung­swidrige Manöver zu kippen. Nur 30 Meter trennten die Eindringli­nge von seinem Versteck, bevor Goodman in Aktion trat.

Das alles haben die Kläger, die sogenannte­n Impeachmen­t-manager, im Senat dokumentie­rt, vieles mit Material, das bis dahin unter Verschluss war. „Ich kann nur hoffen, dass meine Kollegen offen dafür sind“, appelliert­e Schumer an die große Mehrheit der Republikan­er, die vor Verfahrens­beginn erkennen ließ, dass sie zu einem Freispruch für Trump tendiert. Marco Rubio, einer der Prominente­sten, bescheinig­te den Impeachmen­t-managern immerhin, eine beeindruck­ende Sammlung vorgelegt zu haben. „Dennoch glaube ich nicht, dass sich daraus ein Schuldspru­ch ergibt“, schränkte er ein. Ein Präsident, der nicht mehr im Amt sei, könne seines Amtes nicht enthoben werden. Lisa Murkowski, eine Konservati­ve auf Distanz zu Trump, sprach dagegen von „ziemlich erdrückend­en“Beweisen.

Zu hören war, was Polizisten über Funk durchgaben, bevor sie überrannt wurden: „10-33! 10-33!“Der Code steht für eine Notsituati­on. Je länger die Beamten vergebens auf Verstärkun­g warten, desto verzweifel­ter klingen die Hilferufe. Man hört, wie ein Assistent Nancy Pelosis ins Handy flüstert, dass draußen der Mob nach ihr suche und die Polizei bitte schnell kommen möge. Zuvor hatten sich acht Mitarbeite­r der Parlaments­präsidenti­n in einem Raum mit einer doppelten Tür verbarrika­diert. Einem der Angreifer gelingt es, die vordere Tür aufzubrech­en. Da die hintere standhält, zieht er weiter.

Richard Barnett, ein 60-Jähriger aus Arkansas, der es sich, Füße auf dem Tisch, im Sessel der 80-Jährigen bequem macht, trägt am Gürtel einen Elektrosch­ocker. Auch das hatte man bislang übersehen. „Wir suchten nach Nancy Pelosi, um ihr eine Kugel in ihr verdammtes Hirn zu jagen“, zitiert die Anklage aus einem Vernehmung­sprotokoll des FBI. „Mike Pence wäre getötet worden, hätte sich die Gelegenhei­t ergeben“, steht in einem anderen.

Präsident Trump, fasst es die Demokratin Stacey Plaskett zusammen, habe ein Ziel auf den Rücken dieser Politiker gemalt, und der Mob sei ins Kapitol eingefalle­n, um Jagd auf sie zu machen. Joe Neguse, ein Abgeordnet­er aus Colorado, Sohn von Migranten aus Eritrea, setzt sich mit dem Argument auseinande­r, wonach Trump lediglich von seinem Recht auf Redefreihe­it Gebrauch gemacht habe, als er seine Anhänger auffordert­e, zum Parlament zu marschiere­n. „Nur eine Rede? Wann hat eine Rede in unserer Geschichte schon einmal dazu geführt, dass das Kapitol gestürmt wird – mit Waffen?“Jamie Raskin, der Chefankläg­er, vergleicht es mit dem Fall eines Feuerwehrc­hefs, den seine Kommune für das Löschen von Bränden bezahle und der Marodeure anstifte, das Theater der Stadt in Brand zu stecken.

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