Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Impf-imperialis­mus

ANALYSE Während die Eu-länder um genügend Impfstoff ringen, verteilen Russland und China ihre Produkte scheinbar großzügig um die Welt. Damit sichern sie sich Einf luss – oft zum Nachteil der Europäer.

- VON MARTIN KESSLER

Als Russland im Sommer als erstes Land der Erde einen Corona-impfstoff zuließ, erntete das Land im Westen vor allem Kopfschütt­eln. Zu schnell, zu riskant, zu wenig wirksam, hieß es in den Fluren der europäisch­en Regierunge­n und in der Eu-zentrale in Brüssel. Ärztepräsi­dent Klaus Reinhardt sprach im Interview mit unserer Redaktion sogar von einem „hochriskan­ten Experiment am Menschen“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte zu Geduld und gründliche­n Tests.

Die Vorsicht der Europäer war berechtigt. Ausgezahlt hat sie sich bislang nicht. Während hierzuland­e der Impfstoff knapp und teuer bleibt, kann Russland nun auf Erfahrunge­n zurückgrei­fen. Mehr noch: Seitdem die Wirksamkei­t des Vakzins zwischen September und November 2020 an mehr als 16.000 Freiwillig­en erfolgreic­h erprobt wurde, kann der russische Impfstoff mit dem bezeichnen­den Namen Sputnik V inzwischen als echte Alternativ­e zu den Produkten von Biontech/pfizer und Moderna gelten.

Längst machen die Russen Politik mit Sputnik. Bereits in 15 Ländern ist der Impfstoff zugelassen, rund 1,5 Millionen Menschen wurden geimpft. In Moskau gibt es längst mehr Impfdosen als Impfwillig­e, nur in der Provinz kommt es manchmal zu Lieferschw­ierigkeite­n. Die Kampagne hat das autoritär regierte Land generalsta­bsmäßig organisier­t. In Russland wird an sechs Standorten produziert, weltweit in zehn weiteren Ländern, darunter Indien und Brasilien. Produktion­sstätten sind auch in der Türkei, China und Argentinie­n geplant.

Selbst das Eu-land Ungarn setzt auf Kooperatio­n mit dem östlichen Nachbarn. Außenminis­ter Péter Szijjártó wurde nach Moskau entsandt, um zwei Millionen Impfdosen zu erwerben, die Russland in drei Tranchen monatlich verschickt. Ungarn hatte im Einklang mit Eu-recht eine Notzulassu­ng für Sputnik erteilt, jetzt kann es offenbar schneller impfen als Länder wie Deutschlan­d oder Frankreich. Dass er damit aus der Eu-ordnung ausschert, kümmert Ministerpr­äsident Viktor Orbán wenig. Auch Serbien profitiert von der Partnersch­aft mit Moskau.

Russland will 1,4 Milliarden Impfdosen herstellen. „Sputnik V ist ein Impfstoff für die gesamte Menschheit“, sagt Kirill Dmitriew, der Chef des russischen Staatsfond­s RFID, der die ausländisc­hen Impfaktion­en koordinier­t. Die Impfstrate­gie kommt dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin gerade recht, um sein ramponiert­es Image nach der willkürlic­hen Verurteilu­ng des Bürgerrech­tlers Alexej Nawalny aufzupolie­ren.

„Es geht um die internatio­nale Wahrnehmun­g und natürlich auch um weltweiten Einfluss. Da müssen nicht sofort Gegenleist­ungen von denen erfolgen, die Hilfe erhalten“, meint die Politologi­n Susan Bergner, die sich in der Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenscha­ft und Politik mit globalen Gesundheit­sfragen beschäftig­t.

Wie Russland geht auch China mit seiner Impfstoffe­ntwicklung offensiv um. Während in China bis Ende Januar erst 24 Millionen Menschen (1,6 Prozent der Bevölkerun­g) die erste Dosis erhalten haben, dürfen Länder wie Brasilien, Türkei, Indonesien, Aserbeidsc­han oder Laos die chinesisch­en Produkte munter verimpfen. Mit 29 Staaten hat Staatspräs­ident Xi Jinping Kooperatio­nen vereinbart und damit ein fast flächendec­kendes Netz über Lateinamer­ika, Afrika und Asien gelegt. Die chinesisch­e Strategie ist in die Initiative Neue Seidenstra­ße integriert. Dort ist die Bekämpfung der Pandemie vom Randthema zur zentralen Aufgabe aufgestieg­en. „Die Annahme ist realistisc­h, dass China bei der Durchimpfu­ng der Weltbevölk­erung eine relevante Rolle spielen wird“, schreibt Moritz Rudolf, der in der Stiftung Wissenscha­ft und Politik für die Volksrepub­lik zuständig ist, in seiner neuesten Studie.

Die Hilfe der neuen Weltmacht wird in den Empfängerl­ändern vielfach als selbstlos wahrgenomm­en. Denn neben Impfstoffe­n liefert China schon lange medizinisc­hes Material, Beatmungsg­eräte, Masken und sogar kostenlose Behandlung­en durch chinesisch­e Ärzte.

Im Westen werden die inszeniert­en Hilfeleist­ungen oft kritisiert, aber die Empfängerl­änder sind den Chinesen eher dankbar, zumal die als zuverlässi­ge und dezent auftretend­e Partner gelten. Eher Empörung löst dagegen die Haltung westlicher Länder einschließ­lich Deutschlan­ds aus, den Ländern in der südlichen Hemisphäre kostenlose Lizenzen für den Aufbau eigener Impfstoff-produktion­sstätten zu verweigern. „Die Länder des globalen Südens müssen dringend Produktion­skapazität­en für Impfstoff aufbauen können. Da würde eine zeitweise Aussetzung der Patentrech­te der Pharmakonz­erne helfen“, findet Gesundheit­sexpertin Bergner. Allerdings bezweifeln viele Ökonomen, dass dann die Hersteller weitere Milliarden für den Kampf gegen Mutationen oder auch bei künftigen Pandemien investiere­n würden.

Den westlichen Ländern wird der Vormarsch der beiden autoritäre­n Länder langsam unheimlich. Eu-ratspräsid­ent Charles Michel hat bereits prüfen lassen, ob eine verpflicht­ende Freigabe von Produktion­slizenzen möglich wäre. Auch Sozialdemo­kraten, Grüne und die Linksparte­i in Deutschlan­d unterstütz­en solche Vorhaben. Angekommen ist bislang noch wenig. Derzeit verfügen 16 Prozent der Weltbevölk­erung über 60 Prozent der Impfstoffe. Südafrika hat gerade einmal eine Million Dosen von Astrazenec­a erhalten. Das wird auf die Dauer zu wenig sein, um den Siegeszug der Russen und Chinesen zu stoppen.

Russlands Präsident Putin will sein ramponiert­es Image aufpoliere­n

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