Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Neue auf der Großbaustelle
Erstmals leitet eine Frau die Welthandelsorganisation: Ngozi Okonjo-iweala aus Nigeria.
GENF Bei der Welthandelsorganisation bricht eine neue Zeitrechnung an. Erstmals in der Geschichte der Institution wird eine Frau die Position der Generaldirektorin übernehmen. Und erstmals kommt eine Persönlichkeit aus Afrika zum Zuge: Sie heißt Ngozi Okonjo-iweala (66). Der Allgemeine Rat der WTO muss am Montag der Ernennung der Nigerianerin noch formal zustimmen.
Dann wird Okonjo-iweala für vier Jahre in das Wto-chefbüro in Genf einziehen. Die frühere Finanz- und kurzzeitige Außenministerin ihres Landes dürfte aber kaum Zeit finden, den grandiosen Blick auf den Genfer See und den Montblanc zu genießen. Zu groß sind die Herausforderungen: Die Welthandelsorganisation steckt seit Jahren in einer Krise. Ein Ursprung liegt in der 2001 begonnenen und nie beendeten Welthandelsrunde, die zu einem weiteren Abbau von Zöllen und Subventionen führen sollte. Das grundsätzliche Problem wird Okonjo-iweala verfolgen: die Abkehr von multilateralen Abkommen zwischen allen 164 Wto-mitgliedern zugunsten bilateraler oder regionaler Pakte wie der neuen „Regional Comprehensive Economic Partnership“im Pazifik-raum.
Daneben werden die Corona-pandemie mit dem Einbruch des Warenaustauschs, der Protektionismus und Handelskriege die Generaldirektorin in Atem halten. Vor allem die Rivalität zwischen den USA und China belastet den Welthandel.
Die designierte Wto-chefin wird helfen müssen, die Blockade der Berufungsinstanz des Wto-schiedsgerichts aufzulösen. Und sie will den großen Erwartungen gerecht werden, die Entwicklungsländer an sie richten. Die Frau aus dem Erdölstaat Nigeria gelobt auch: „Wir wollen die WTO verjüngen und reformieren.“Genaue Pläne für eine Modernisierung legte Okonjo-iweala aber noch nicht vor.
Immerhin skizziert sie eine neue Rolle für die WTO– im Kampf gegen Covid-19. „Es muss einen gleichen Zugang zu Medizin geben, und die WTO könnte Teil der Lösung sein.“Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag Indiens und Südafrikas: Inder und Südafrikaner wollen den Patentschutz im Handel mit Medikamenten und Impfstoffen vorübergehend aussetzen, um armen Staaten zu helfen. Die EU und andere reiche Mitglieder lehnen das aber ab.
Okonjo-iweala setzte sich gegen fünf Mitbewerber und zwei Mitbewerberinnen durch. Sie konnte auf die Unterstützung der EU zählen. Die USA unter Präsident Donald Trump blockierten jedoch über Monate ihre Ernennung. Erst Joe Biden stellte sich jetzt hinter sie.
Seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur ließ die vierfache Mutter und Großmutter an ihren Ambitionen keine Zweifel. „Ich bin für die Aufgabe qualifiziert“, betonte die energische Frau mit den farbenfrohen Kostümen. Fachleute wie die Ex-handelsministerin Costa Ricas, Anabel González, trauen der Neuen zu, den Job zu meistern: Sie habe eine „starke Reputation auf dem internationalen Parkett“.
Skeptiker indes halten Okonjo-iweala vor, dass sie sich in ihrer Karriere kaum mit Handelsfragen befasst habe und die WTO wenig kenne. „Es stimmt, ich bin kein Insider, aber das ist eine gute Sache“, sagt sie und verweist auf den „neuen Blick“, den sie auf die schwerfällige Organisation werfen könne. Vielleicht wird auch die Führung durch eine Frau der WTO guttun. Dabei hat die Generaldirektorin keine direkte Entscheidungsbefugnis bei Verhandlungen der Mitgliedsländer.
Okonjo-iwealas Selbstbewusstsein speist sich aus ihrer Herkunft – sie stammt aus einer einflussreichen Familie. Zudem kann sie eine beeindruckende Karriere vorweisen: Bis 2020 war sie „Chair of the Board“der globalen Impfstoffallianz Gavi. Und sie rückte in die Vorstände der Bank Standard Chartered und des Social-media-riesen Twitter. Sie weiß, wie Konzerne ticken. Als Chefin des Finanzressorts Nigerias erreichte sie einen Schuldenerlass für ihr Land. Bei der Weltbank stieg sie zur Nummer zwei auf. Allerdings scheiterte ihr Versuch, an die Spitze zu gelangen.
Die USA prägten sie. Ihren Ökonomie-abschluss machte sie 1973 in Harvard, ihren Doktor am Massachusetts Institute of Technology. Schließlich erlangte sie auch die Us-staatsbürgerschaft. Dass in der WTO an den USA kein Weg vorbeiführt, weiß die neue Chefin also.