Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Bei Mode bis zu 90 Prozent Rabatt“
ROLF PANGELS Der Textileinzelhandel ist alarmiert. Der Verbandsgeschäftsführer über die Lage in der Corona-krise und mögliche fatale Folgen.
Die Modebranche gehört zu den Bereichen, die von der Verlängerung des Lockdowns besonders hart getroffen werden. Darüber sprachen wir mit Rolf Pangels, dem Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband des Textileinzelhandels.
Herr Pangels, wie haben Sie die Entscheidung aus Berlin verdaut? PANGELS Es war leider in den Tagen vorher schon absehbar, dass wir nicht mit einer Komplettöffnung rechnen konnten. Aber wir hatten schon gehofft, dass wir bei den Lockerungen in der ersten Gruppe dabei sein würden. Das Ganze ist eine maximale Enttäuschung. Ich habe viel damit zu tun, die Mitgliedsunternehmen zu beruhigen.
Was werfen Sie der Politik vor? PANGELS Vor allem die Hinhaltetaktik und das ständige Ändern von Beurteilungsmaßstäben. Mal ist eine Inzidenzzahl von 50 entscheidend, dann 35, dann der R-wert oder neue Mutationen. Irgendwann ist unser Verständnis für das zermürbende Hin und Her am Ende, wir brauchen endlich verlässliche Vorgaben und Perspektiven zur Öffnung der Geschäfte. So kann es einfach nicht weitergehen.
Was ist von den staatlichen Hilfen angekommen?
PANGELS Wenig bis nichts. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Hilfszahlungen auch zu spät ankommen. Das dauert oft drei oder vier Monate. Und das dann seitens der Politik Software-probleme als Ausreden herhalten müssen, kann einfach nicht sein. Vielleicht sollten sich die Ministerien ein paar Programmierer aus Indien kommen lassen, die regeln das sicherlich in wenigen Tagen.
Was droht Ihrer Branche nach der Lockdown-verlängerung? Rechnen Sie mit vielen Insolvenzen? PANGELS Durch den verlängerten Lockdown sind Tausende Unternehmen akut bedroht. Und es könnten kurzfristig 20.000 bis 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Die Insolvenzgefahr steigt von Tag zu Tag. Viele Mitarbeiter machen sich große Sorgen. Viele Textilhändler haben zwischenzeitlich ihre Reserven aufgebraucht. Wenn der Lockdown bis April dauern würde, wäre das sicherlich der Todesstoß für noch mehr Unternehmen.
Und die Lieferanten?
PANGELS Auch die haben natürlich massive Probleme. Da werden sicherlich auch nicht alle überleben.
Überleben am Ende eher die Großen oder die Kleinen?
PANGELS Tendenziell verschwinden eher kleinere Unternehmen zuerst vom Markt, aber auch große Unternehmen und Ketten bekommen immer mehr Schwierigkeiten. Erschwerend kommt für diese Unternehmen hinzu, dass dort oftmals kaum Rücklagen vorhanden sind und sie sich mit ihren Stakeholdern auseinandersetzen müssen. Und zusätzlich fallen die großen Unternehmen bei den Hilfsleistungen des Staates wegen ihrer Größe durchs Raster.
Was passiert dann in den Städten? PANGELS Zunächst drohen vermehrt Leerstände in den Innenstädten, und die lassen sich nicht immer schnell mit neuen Nutzungen besetzen. Leerstände im Textileinzelhandel haben zumeist negative Auswirkungen auf das gesamte Umfeld der Innenstädte, weil Textil-, Schuhund Lederwarengeschäfte Kundenmagneten sind. Von diesem breiten Besucherstrom profitieren auch Gastronomie, Hotellerie und Kultureinrichtungen. Deshalb muss die Politik nochmals mit Nachdruck ein breit angelegtes und finanziell angemessenes Förderprogramm für die innerstädtische Wirtschaft auflegen.
Wie viel Geschäft kostet Sie die Verlängerung?
PANGELS Der Februar ist in unserer Branche zu normalen Zeiten ein eher umsatzschwacher Monat, aber selbst da werden uns pro Woche wahrscheinlich mehrere hundert Millionen Euro verloren gehen. Und das Problem geht noch weiter: Wenn der Lockdown bis in den März andauern sollte, gehen uns noch mal ein bis zweiwochen verloren, in denen wir Winterware hätten verkaufen können. Das Geschäft können wir auch nicht mehr nachholen.
Kommt nach dem Lockdown für viele Händler also sofort der Schlussverkauf?
PANGELS Ja, das ist realistischerweise zu erwarten. Bei vielen Waren wird es 80 bis 90 Prozent Rabatt geben, damit die aufgestaute Ware noch verkauft werden kann.
Sollte man die liegengebliebene Ware überhaupt noch verkaufen? Oder könnte man die nicht besser gleich wegwerfen und stattdessen 100 Prozent Abschreibungen als Fixkosten ansetzen?
PANGELS Auf so eine Idee könnte man kommen. Aber glauben Sie mir, jeder Händler versucht bis zuletzt, seine Produkte zu verkaufen. Für die ist es ein Grauen, Ware wegwerfen zu müssen. Man kann sie ja auch spenden. Und da wird jetzt darüber diskutiert, dass wir die Ware auf einen symbolischen Wert von einem Euro abschreiben und spenden können. Dann würden wir nur 16 Cent Umsatzsteuer zahlen. Aber das ersetzt natürlich bei weitem nicht die enormen Verluste durch die Geschäftsschließungen.
Geht der Preiswettbewerb gleich mit der Frühjahrsmode weiter? Haben sich die Verbraucher dann an die Superrabatte gewöhnt?
PANGELS Davon ist leider auszugehen. Wenn die Leute sehen, dass Winterware so viel billiger „zu haben“ist, werden sie in die Innenstädte kommen. Und es ist wahrscheinlich, dass auch der Abverkauf der Frühjahrsware, in welcher übrigens ja auch unverkaufte Teile aus der letzten Frühjahrskollektion enthalten sind, mit hohen Rabatten einhergehen wird. Das belastet uns das ganze Jahr.
Aber viele sind vom stationären Einkauf auf Online-shopping umgestiegen. Hat sich deren Kaufverhalten dauerhaft verändert? PANGELS Grundsätzlich kaufen die Menschen momentan generell weniger Bekleidung, egal ob online oder offline, unter anderem weil auch die Anlässe fehlen. Es hat aber in der Corona-krise natürlich eine deutliche Verschiebung zum Onlinehandel gegeben. Vor allem ist auch die ältere Kundenklientel, von der viele Menschen zu coronabedingten Risikogruppen zählen, zum Onlinehandel abgewandert. Derzeit entfällt etwa rund ein Drittel unseres Geschäfts auf den Onlinehandel, zu normalen Zeiten ist es etwa ein Viertel. Der stationäre Modehandel hat während der Corona-krise rund zehn Prozent Marktanteil verloren. Ich bin aber überzeugt, dass nach Öffnung der Geschäfte die Menschen wieder verstärkt im stationären Einzelhandel einkaufen werden. Das stationäre Geschäft bleibt die maßgebliche Stütze des Modehandels.
Und wenn der Lockdown verlängert wird?
PANGELS …Dann sind noch mehr Geschäfte am Ende. Sollte verlängert werden, packen wir unverkaufte Ware in große Lastwagen und kippen den Inhalt vor dem Kanzleramt aus. Protest können nicht nur die Milchbauern!