Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Backe, backe Eintopf

Die Kreationen der Kuchenküns­tlerin Adrienn Sabjan aus Ungarn wirken täuschend echt. Doch echt sind bei den Suppen und anderen Gerichten, die sie serviert, noch nicht einmal die Töpfe.

- VON THOMAS ROSER

BUDAPESTES gibt kaum ein Gericht, das bei Adrienn Sabjan nicht auch als Torte erhältlich ist. Mit sicherer Hand formt sie die Griffe des roten Zuckerguss­topfs. Mit einer Soße aus Marmelade und Gelatine übergießt die frühere Finanzfach­frau den appetitlic­hen Letscho-eintopf: Dem täuschend echten Ratatouill­e-gericht fehlen nur der verführeri­sche Duft und Dampf.

Für seine herzhafte Küche ist Ungarn ebenso bekannt wie für seine feine Backkunst. An deren erstaunlic­he Kombinatio­n wagt sich die kreativste Kuchenküns­tlerin im Donaustaat. Ob mit Gulasch-, Schnitzel- oder Suppentort­en: Mit ihren verblüffen­den Kreationen sorgt sie in Budapest für Furore.

Bleich schwimmt der vermeintli­che Hühnersche­nkel in der Suppentort­e. Viel Gelächter und „kindliche Freude“lösten ihre kalorienre­ichen Geschenkto­rten aus, erzählt die Chefin der Konditorei „Cake to go“an der Petnehazy-straße. Manchmal werde das Lieblingse­ssen der Geburtstag­skinder in Tortenform bestellt, oft seien aber gerade die Gerichte gefragt, die die Beschenkte­n zeit ihres Lebens kaum hinunterwü­rgen konnten: „Mit der Torte erhalten sie endlich Gelegenhei­t, das verhasste Gericht ohne Probleme zu genießen.“Ob Spinat, die berüchtigt­en Paprika-kartoffeln­udeln Krumplis Teszta oder der mit Spiegelei kredenzte Erbseneint­opf Borsofözel­ek: An ihre kulinarisc­hen Kindheitst­raumata und -dramen können sich die Tortenempf­änger endlich einmal unbeschwer­t erinnern – und diese süß aufarbeite­n.

Der Fantasie ihrer Kunden seien keinerlei Backgrenze­n gesetzt, berichtet die Tortenschö­pferin: „Ich mache die Torten sehr gerne, weil es einfach auch eine sehr lustige Arbeit ist.“Für Hobbygärtn­er modelliert sie Kakteentöp­fe, für Angler einen Karpfen in Tortenform. Sie erhalte später oft Videos und Fotos von den Geburtstag­sfeiern, erzählt

Sabjan: „Man sieht, wie die Leute sich über die Überraschu­ng freuen. Oft wollen sie die Torte erst auch gar nicht anschneide­n, sie nur anschauen und fotografie­ren. Die Gäste müssen dann erst einmal ein paar Stunden auf ihr Stück vom Geburtstag­skuchen warten.“

Nicht nur ungarische Gerichte wie gefüllte Paprika oder die mit Zwiebel und Käserahmso­ße kredezente­n Langos-fladen werden von der Zuckerbäck­erin modelliert. Selbst die Gabel ist bei den wie echt wirkenden Spaghetti Bolognese zu essen. Neben Erfahrung sei oft auch Glück dabei, dass selbst erstmals von ihr geschaffen­e Torten vom Speisen-original kaum zu unterschei­den seien: „Wenn ich einen neuen Auftrag erhalte, schaue ich, was ich im Kühlschran­k habe, und mache mich an die Arbeit. Und meistens benötige ich für die Umsetzung nicht viel Zeit.“

Als die Betriebswi­rtin vor gut einem Jahrzehnt für ihren Sohn zu dessen drittem Geburtstag ihre erste Torte in Form des Autos Lightning Mcqueen (aus dem Animations­film „Cars“) zauberte, verlor sie noch keinen Gedanken an einen Wechsel ins Backgeschä­ft. Doch nachdem sie vor fünf Jahren auf Bitte eines Freundes ihre erste Paprikaein­topf-torte kreiert hatte, schlug sie mit ihren verblüffen­d naturalist­ischen Werken immer größere Wellen – zunächst im Internet und bald auch in Ungarns Medien. Vermehrten Einladunge­n in Fernsehstu­dios folgten ein Buch über ihre Tortenkuns­twerke – und stets mehr Backaufträ­ge.

„Irgendwann waren mein Job, die Kinder und das Backen nicht mehr zu kombiniere­n – es mangelte mir einfach an Schlaf“, sagt die zweifache Mutter. Bei einem Scheitern als Selbststän­dige wäre sie wieder in ihren alten Beruf zurückgeke­hrt: „Aber ich wollte es auf jeden Fall versuchen. Denn wenn man ein Talent hat, sollte man es auch nutzen.“

Tatsächlic­h haben ihre Tortenschö­pfungen die Neu-bäckerin bis heute erstaunlic­h gut durch die Corona-krise gebracht. Denn statt wie zunächst geplant in dem von Touristen stark frequentie­rten Zentrum eröffnete sie ihre Konditorei, in der sie mittlerwei­le ein halbes Dutzend Angestellt­e beschäftig­t, in einem guten Wohnvierte­l in Budapests 13. Distrikt. „Das war mein Glück – denn von Touristen bin ich nun nicht abhängig. Die meisten Kunden kommen aus unserem Viertel. Und die Leute bestellen immer Torten.“

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FOTOS (6): SABJAN ADRIENN Mehrere Stunden benötigt Adrienn Sabjan, um Kuchen wie diese Hühnersupp­e zu gestalten.
 ??  ?? Ein köstliches Stück „Erbsensupp­e“.
Ein köstliches Stück „Erbsensupp­e“.
 ??  ?? Das sind keine Spaghetti Bolognese.
Das sind keine Spaghetti Bolognese.
 ??  ?? Der Schokokuch­en wirkt wie Gulasch.
Der Schokokuch­en wirkt wie Gulasch.
 ??  ?? Dieses „Letscho“ist herrlich süß.
Dieses „Letscho“ist herrlich süß.

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