Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Backe, backe Eintopf
Die Kreationen der Kuchenkünstlerin Adrienn Sabjan aus Ungarn wirken täuschend echt. Doch echt sind bei den Suppen und anderen Gerichten, die sie serviert, noch nicht einmal die Töpfe.
BUDAPESTES gibt kaum ein Gericht, das bei Adrienn Sabjan nicht auch als Torte erhältlich ist. Mit sicherer Hand formt sie die Griffe des roten Zuckergusstopfs. Mit einer Soße aus Marmelade und Gelatine übergießt die frühere Finanzfachfrau den appetitlichen Letscho-eintopf: Dem täuschend echten Ratatouille-gericht fehlen nur der verführerische Duft und Dampf.
Für seine herzhafte Küche ist Ungarn ebenso bekannt wie für seine feine Backkunst. An deren erstaunliche Kombination wagt sich die kreativste Kuchenkünstlerin im Donaustaat. Ob mit Gulasch-, Schnitzel- oder Suppentorten: Mit ihren verblüffenden Kreationen sorgt sie in Budapest für Furore.
Bleich schwimmt der vermeintliche Hühnerschenkel in der Suppentorte. Viel Gelächter und „kindliche Freude“lösten ihre kalorienreichen Geschenktorten aus, erzählt die Chefin der Konditorei „Cake to go“an der Petnehazy-straße. Manchmal werde das Lieblingsessen der Geburtstagskinder in Tortenform bestellt, oft seien aber gerade die Gerichte gefragt, die die Beschenkten zeit ihres Lebens kaum hinunterwürgen konnten: „Mit der Torte erhalten sie endlich Gelegenheit, das verhasste Gericht ohne Probleme zu genießen.“Ob Spinat, die berüchtigten Paprika-kartoffelnudeln Krumplis Teszta oder der mit Spiegelei kredenzte Erbseneintopf Borsofözelek: An ihre kulinarischen Kindheitstraumata und -dramen können sich die Tortenempfänger endlich einmal unbeschwert erinnern – und diese süß aufarbeiten.
Der Fantasie ihrer Kunden seien keinerlei Backgrenzen gesetzt, berichtet die Tortenschöpferin: „Ich mache die Torten sehr gerne, weil es einfach auch eine sehr lustige Arbeit ist.“Für Hobbygärtner modelliert sie Kakteentöpfe, für Angler einen Karpfen in Tortenform. Sie erhalte später oft Videos und Fotos von den Geburtstagsfeiern, erzählt
Sabjan: „Man sieht, wie die Leute sich über die Überraschung freuen. Oft wollen sie die Torte erst auch gar nicht anschneiden, sie nur anschauen und fotografieren. Die Gäste müssen dann erst einmal ein paar Stunden auf ihr Stück vom Geburtstagskuchen warten.“
Nicht nur ungarische Gerichte wie gefüllte Paprika oder die mit Zwiebel und Käserahmsoße kredezenten Langos-fladen werden von der Zuckerbäckerin modelliert. Selbst die Gabel ist bei den wie echt wirkenden Spaghetti Bolognese zu essen. Neben Erfahrung sei oft auch Glück dabei, dass selbst erstmals von ihr geschaffene Torten vom Speisen-original kaum zu unterscheiden seien: „Wenn ich einen neuen Auftrag erhalte, schaue ich, was ich im Kühlschrank habe, und mache mich an die Arbeit. Und meistens benötige ich für die Umsetzung nicht viel Zeit.“
Als die Betriebswirtin vor gut einem Jahrzehnt für ihren Sohn zu dessen drittem Geburtstag ihre erste Torte in Form des Autos Lightning Mcqueen (aus dem Animationsfilm „Cars“) zauberte, verlor sie noch keinen Gedanken an einen Wechsel ins Backgeschäft. Doch nachdem sie vor fünf Jahren auf Bitte eines Freundes ihre erste Paprikaeintopf-torte kreiert hatte, schlug sie mit ihren verblüffend naturalistischen Werken immer größere Wellen – zunächst im Internet und bald auch in Ungarns Medien. Vermehrten Einladungen in Fernsehstudios folgten ein Buch über ihre Tortenkunstwerke – und stets mehr Backaufträge.
„Irgendwann waren mein Job, die Kinder und das Backen nicht mehr zu kombinieren – es mangelte mir einfach an Schlaf“, sagt die zweifache Mutter. Bei einem Scheitern als Selbstständige wäre sie wieder in ihren alten Beruf zurückgekehrt: „Aber ich wollte es auf jeden Fall versuchen. Denn wenn man ein Talent hat, sollte man es auch nutzen.“
Tatsächlich haben ihre Tortenschöpfungen die Neu-bäckerin bis heute erstaunlich gut durch die Corona-krise gebracht. Denn statt wie zunächst geplant in dem von Touristen stark frequentierten Zentrum eröffnete sie ihre Konditorei, in der sie mittlerweile ein halbes Dutzend Angestellte beschäftigt, in einem guten Wohnviertel in Budapests 13. Distrikt. „Das war mein Glück – denn von Touristen bin ich nun nicht abhängig. Die meisten Kunden kommen aus unserem Viertel. Und die Leute bestellen immer Torten.“