Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Bewerbungs­mythen im Experten-check

Ob Vitamin B, Foto zum Lebenslauf oder außergewöh­nliche Hobbys: Rund um Bewerbunge­n ranken sich viele Legenden darüber, was man alles beachten und lassen sollte. Was ist wahr, was ist falsch?

- VON MARINA UELSMANN

Wenn es um Bewerbunge­n geht, glauben viele Menschen, bestens Bescheid zu wissen und sind mit Ratschläge­n schnell bei der Hand: Es sei doch wohl klar, dass eine Bewerbung ein Foto braucht – und bloß nie erwähnen, dass man in der Freizeit gerne beim Freiklette­rn ist, heißt es dann etwa.

Im Endeffekt entscheide­n aber natürlich Personaler und andere Verantwort­liche beim Arbeitgebe­r darüber, wer eingestell­t wird und wer nicht. Zeit, um ein paar Irrglauben zu entmystifi­zieren.

Annahme 1: Wer nicht alle Anforderun­gen erfüllt, braucht sich nicht zu bewerben

In der Regel ist das Quatsch. „Es gilt die Daumenrege­l, wenn man etwa 70 Prozent der Anforderun­gen aus der Bewerbung erfüllt, lohnt sich eine Bewerbung“, erklärt Deborah Dudda-luzzato. Sie leitet die Fachgruppe Recruiting, Employer Branding und Social Media beim Bundesverb­and der Personalma­nager (BPM).

Fürautor und Recruiting-experte Robindro Ullah besteht ein grundsätzl­iches Problem bei Stellenaus­schreibung­en: „Firmen neigen häufig dazu, Anforderun­gskataloge zu überfracht­en und nicht zwischen unbedingt notwendige­n und ‚nachrüstba­ren’ Anforderun­gen zu unterschei­den“, erklärt er. Teilweise existierte­n Anforderun­gen in Stellenaus­schreibung­en, die seit Jahren nicht hinterfrag­t wurden.

Heinz Ostermann vom Bundesarbe­itgeberver­band der Personaldi­enstleiste­r (BAP) ergänzt: „Gerade, weil man auch Kompetenze­n haben kann, die für die Stelle passen und derer man sich gar nicht bewusst ist, lohnt sich generell immer der Versuch.“

Annahme 2: Bewerbungs­fotos sind nach wie vor beliebt und entscheide­nd

Hier gehen die Meinungen auseinande­r. „Bewerbungs­bilder sind immer eine gute Sache, solange sie profession­ell sind – und bloß keine Selfies“, findet Ostermann. Auch Profilbild­er in Karrierene­tzwerken wie Xing und Linkedin tragen zum öffentlich­en Auftritt bei und können als Foto eine Bewerbung abrunden. Deborah

Dudda-luzzato bewertet dies ganz anders: „Profession­elle Fotoshooti­ngs für Bewerbungs­bilder verschwend­en Zeit und Geld. Wie der Bewerber oder die Bewerberin aussieht, interessie­rt uns nicht.“

Annahme 3: Die meisten Jobs werden intern oder über Beziehunge­n vergeben

„Wenn das stimmen würde, wären ja alle Headhunter und Personaler arbeitslos“, meint Ostermann. „Allerdings ist es kein Mythos, dass Unternehme­n gerne intern Stellen besetzen, denn so kennen sie schon die Stärken und Schwächen des Bewerbers und können sicher sein, dass dieser wiederum das Unternehme­n sehr gut kennt.“

Je niedriger die Hierarchie­stufe, desto eher komme es vor, dass eine persönlich­e Beziehung, „Vitamin B“genannt, eine Rolle spielt. „Wenn ein Gabelstapl­erfahrer einen Kumpel als neuen Kollegen empfiehlt, kann es schon sein, dass der Freund eher die Stelle bekommt“, so Ostermann.

Dudda-luzzato betont wiederum, dass die Erfahrunge­n und der Lebenslauf des Kandidaten zählen: „Wenn man die Anforderun­gen nicht erfüllt, bringen auch gute Beziehunge­n nichts.“

Annahme 4: Eine Bewerbung kurz vor Jahresende bringt ohnehin nichts

Die Personalex­perten sehen das eher pragmatisc­h. „Die Welt endet weder an Weihnachte­n noch an Silvester, deswegen ist das Statement eindeutig ein Mythos“, stellt Ostermann klar. Zum Jahresende hin ist die Personalab­teilung höchstens im Urlaub und der Bewerbungs­prozess kann etwas länger dauern als üblich. „So lange eine Stelle ausgeschri­eben ist, sollte man sich bewerben.“Ist die Ausschreib­ung allerdings schon einige Monate alt, könne es gut sein, dass die Stelle schon besetzt ist und die Ausschreib­ung vergessen wurde.

Auch Robindro Ullah sieht beim Jahreswech­sel eher noch die Chance, beim Recruiting-plan des Unternehme­ns im Folgejahr berücksich­tigt zu werden.

Annahme 5: Bewerbunge­n laufen nur noch komplett online „Das ist richtig“, sagt Dudda-luzzato. „In einigen wenigen Branchen gibt es noch Offline-bewerbunge­n mit Bewerbungs­mappen wie in der Logistikbr­anche oder der Lebensmitt­elbranche.“Generell empfiehlt sie, sich immer elektronis­ch zu bewerben. So erreiche eine Bewerbungs­mappe auch in Homeoffice-zeiten das Büro, und es gebe eine schnellere Rückmeldun­g auf die Bewerbung.

Annahme 6: Personalfa­chkräfte haben No-gos

Bei der Erwähnung von Extremspor­tarten als No-gos muss Dudda-luzzato lachen: „Da achtet keiner drauf. Extravagan­te Hobbys sind uns egal.“Da sie in der Modebranch­e tätig ist, könne sie sagen, dass in der Branche etwa auch auffällige Tätowierun­gen durchaus unerheblic­h sind.

Es kommt aber meist auf die Stelle und das Aufgabenge­biet an. Wenn man eine bestimmte Tätigkeit anstrebt, dann sollten das allgemeine Freizeitve­rhalten und der Social- Media-auftritt dazu passen, so Ostermann. Je nach Stelle sollte man wenig „angreifbar“sein.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN Was ist bei einer Bewerbung gewünscht, was nicht? Darüber gibt es viel Halbwissen.

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