Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Glänzende Langeweile von Weather Station
Pop Im Pop wird derzeit die Langeweile neu definiert. Der Begriff ist nicht negativ gemeint, gar nicht. Es geht in einigen neuen und sehr schönen Alben wie „Collapsed In Sunbeams“von
Arlo Parks einfach darum, auf die gedehnte Zeit zu reagieren und einen angemessenen Ausdruck zu finden für das Gleichmaß des Lebens.
Das jüngste Beispiel für dieses Phänomen ist „Ignorance“, die aktuelle Platte der Band Weather Station, die vor allem aus Tamara Lindeman aus Toronto besteht. Das ist eine glamouröse Platte, aber nicht glamourös wie ein Abend in der Disco, sondern eher glamourös wie die im Glitzerkleid durchwachte Nacht danach.
The Weather Station sind ja vor allem für Folkmusik und Americana bekannt, nun gibt es Pop-appeal und Beats. Dazu täuscht eine achtköpfige Band Jazz an, und eine Trompete pustet giftigen Atem in die Songs, wenn sie allzu gefällig zu werden drohen.
Tamara Lindeman singt sehr ruhig zu Streichern und Piano, deren Soundmuster sich immer wieder gegeneinander verschieben. Der Gesang sorgt vor diesem mitunter nervösen Hintergrund für Ruhe, und die Texte könnten ebenso gut von einer Trennung handeln wie von der Lage der Welt. Um „separated people“(deutsch: getrennte/einzelne Leute) geht es, um Grübeleien, und zwischen den Versen blinzelt eine Müdigkeit, die man nicht mit Cola oder Kaffee wegbekommt, sondern nur durch Seufzen.
Manchmal ahnt man doch, dass Verzweiflung der Auslöser dieses eleganten Songwritings ist, aber sie bricht sich nicht Bahn. Alle Verheerungen werden gedimmt und hinter einen Schleier aus Nebel verbannt. Nonchalant ist wohl das Wort, das auf diese Haltung am besten passt. Die späten Talk Talk kommen einem in den Sinn, Joni Mitchell auch. Der Effekt ist, dass man nicht bloß zuhört, sondern hineingerät in diese tolle und bemerkenswert zeitgemäße Platte. Man hält sich gerne darin auf, weil man zu verstehen meint, um was es geht.