Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
GESELLSCHAFTSKUNDE Mal wieder zuhören
Eine Serie zeigt Sitzungen beim Psychotherapeuten. Spannend – und wohltuend.
In Paris empfängt ein Psychotherapeut Woche um Woche fünf Patienten. Es ist das Jahr 2015; die Stadt wurde gerade von islamistischem Terror bis ins Mark getroffen. Und so geht es in den Sitzungen nicht nur um die Probleme einer jungen Ärztin, eines Elitepolizisten, eines Teenagers, eines Ehepaars. „In Therapie“zeigt Vertreter einer verängstigten, trauernden Gesellschaft auf der Couch. Und weil die Serie von denselben Regisseuren gedreht wurde, die auch „Ziemlich beste Freunde“gemacht haben, ist das beste Unterhaltung beim Sender Arte.
Doch bemerkenswert ist diese Serie nicht nur, weil sie persönliche Dramen und gesellschaftliche Befindlichkeiten auf spannende Weise verknüpft. Etwas Tieferliegendes macht abgefilmte Therapiesitzungen gerade zum Serienstoff der Stunde: erlebte Anteilnahme. Es geht in diesen Sitzungen um genaues, kluges, geschultes Zuhören, um Gespräche, in denen Menschen, die sich bedrängt fühlen, alles aussprechen dürfen, ohne Verurteilung fürchten zu müssen.
Das erscheint wie der Gegenentwurf zum Diskurs, wie er in einer durch Corona-debatten aufgewühlten Gesellschaft derzeit gepflegt wird. Es gibt gerade so viel öffentliche Krisenkommunikation, so viel Streit über Strategien, die hohe Relevanz für jeden Bürger besitzen, dass diese Erregtheit, dieses Rechthabenmüssen, dieses Sprechen in Angriff und Verteidigung schon ins Private abfärbt.
Ständig geht es um die Frage, wer Schuld hat. Wer zu spät reagiert hat.
Wer die Verantwortung übernimmt. Das sind notwendige Fragen im politischen Raum, doch sollte darüber nicht aus dem Blick geraten, dass Menschen anteilnehmde Dialoge brauchen. Gespräche, in denen das Gegenüber einfach mal zuhört. In denen Menschen sich ausheulen, sich etwas von der Seele sprechen, sich um Kopf und Kragen reden dürfen, weil das entlastet.
Und weil es hilft, die eigene Lage besser zu verstehen. Der Therapeut in der Fernsehserie sagt fast in jeder Folge: „Ich bin hier. Ich höre ihnen zu.“Zwei Sätze, die gerade in vielen Gespräche fehlen.