Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Die Gefahren sind nach wie vor sehr hoch“
THOMAS STROBL (CDU) Ein Jahr nach Hanau sorgt sich der CDU-VIZE und Innenminister um den Extremismus im Internet.
Wie denken Sie nach einem Jahr über das rechtsextremistische Attentat von Hanau?
STROBL Der Anschlag von Hanau hat uns die Gefahr politisch motivierter Gewalttaten deutlich vor Augen geführt. Daran hat sich seither nichts geändert. Die Gefahren sind nach wie vor sehr hoch. Deshalb ist und bleibt es unser oberstes Ziel, Anschläge zu verhindern. Gewalt jeglicher Art ist inakzeptabel und darf bei uns keinen Platz haben.
Welche Konsequenzen hat der Staat aus den Anschlägen gezogen? STROBL Wir haben die Kompetenz und die Entschlossenheit, um Extremismus, Hass, Ausgrenzung und Gewalt mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu bekämpfen und die offene und demokratische Gesellschaft zu schützen. In Baden-württemberg haben wir bereits im Dezember 2019 mit dem Sonderprogramm „Rechtsextremismus“unsere Polizei und unseren Verfassungsschutz nachhaltig gestärkt.
Warum hatte der Täter trotz Polizeiauffälligkeit einen Waffenschein, und was folgt daraus?
STROBL Hier gibt es eine traurige Wahrheit, die mich schmerzt, die ich aber offen sagen muss: Es wird uns nicht gelingen, jedes schlimme Verbrechen zu verhindern. Insbesondere gilt das für Einzeltäter, die wenig oder gar nicht mit anderen kommunizieren.
Muss man bei den Waffenscheinen noch mal genauer hinschauen? STROBL Unbedingt! Waffen gehören nicht in die Hände von Extremisten. Seit ich Innenminister bin, haben wir in Baden-württemberg
Extremisten Hunderte von Waffen weggenommen. Ich bin zudem dankbar, dass die Innenministerkonferenz sich auf meine Initiative sehr intensiv damit beschäftigt hat, dass Waffen auch nicht in die Hände von psychisch auffälligen Personen gehören.
Eine weitere Auffälligkeit war die Teilnahme des späteren Täters an einem Schießtraining. Müssen die Behörden darauf besser achten? STROBL Wir müssen auch den Kenntnisstand unserer Sicherheitsbehörden optimieren. Durch die Digitalisierung der Gesellschaft haben sich Extremismusbereiche zunehmend ins Internet verlagert. Das Netz ist zur Echokammer für Verschwörungsmythen und diffuse rechtsextremistische und nationalistische Weltanschauungen geworden. Es gibt die virtuelle Vernetzung von Extremisten. Man kann heute Rechtsextremist sein, ohne jemals anderen Rechtsextremisten von Angesicht zu Angesicht begegnet zu sein.
Es gibt ein neues Phänomen: Rechtsextremisten finden zusammen mit Esoterikern, Verschwörungsmythikern und „Querdenkern“. Was entsteht da?
STROBL Hier amalgamiert eine hochtoxische Mischung. Seit Beginn der „Querdenken“-demonstrationen nimmt unser Verfassungsschutz die Versuche von Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Selbstverwaltern wahr, Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen gegen die Corona-beschränkungen zu gewinnen. Unter den führenden Initiatoren der „Querdenken“-veranstaltungen und in deren Umfeld sind Personen tätig, die dem Verfassungsschutz als Extremisten bekannt sind. Das führt dazu, dass sich die Initiativen mehr und mehr radikalisieren, mehr und mehr in Richtung Demokratie- und Staatsfeindlichkeit entwickeln. Die Ideologie der Reichsbürger wird immer mehr zum zentralen Punkt.