Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Herr der Figuren
Oliver Stork ist 17 und gewann vergangenes Jahr die Deutsche Schach-meisterschaft der U18. Ein Porträt über den besten jugendlichen Schachspieler, den dieses Land gerade zu bieten hat.
Es war einer dieser Nachmittage, an denen schon alle Kinder abgeholt worden waren, nur Oliver wartete noch auf seine Mutter. Welches Spiel er gerne spielen wolle, fragte ihn damals sein Erzieher. Aus dem Regal schauten ihn zahlreiche bunte Spiele an. Er tippte auf ein zusammengeklapptes schwarz- weiß kariertes Brett. „Von diesem Moment an begann ich, jeden Tag Schach zu spielen“, erzählt der heute 17-jährige Abiturient aus Hessen. „Wenn mein Vater von der Arbeit kam, erwartete ich ihn schon mit einem aufgebauten Schachbrett, damit wir gemeinsam eine Partie spielen konnten.“Anfangs steckte Oliver dabei noch ziemlich viele Niederlagen ein. Doch mit ungefähr sechs Jahren wendete sich das Blatt und der Jungschachspieler konnte immer mehr Siege über seinen Vater verbuchen.
Als die Partien gegen Mutter und Vater keine Herausforderungen mehr waren, schickten Olivers Eltern ihn in den Schachverein SV Oberursel, wo er noch heute Mitglied ist. „Schach ist lange nicht so beliebt wie Fußball. Aber mein Verein ist sehr gut und leistet wirklich herausragende Jugendarbeit. Auch meine Schule unterstützt das Schachspielen.“
Seit Jahren leitet Oliver dort, zusammen mit einem Trainer, einem Lehrer und einer Mitschülerin, die Schach-ag. Dass Oliver Deutscher Meister ist, wissen seine Freunde und Mitschüler natürlich. „Ich halte mich da sehr zurück. Die anderen finden es natürlich cool, aber ich versuche trotz allem, vollkommen normal zu bleiben, und so sehen mich die meisten hoffentlich auch.“
Schach-hype dank Netflix-serie
Schachspielen war eigentlich nie so wirklich Mainstream – bis jetzt. In den letzten Monaten sorgte die Netflix-serie „Das Damengambit“für einen regelrechten Hype. Dort spielt sich die junge Waise Beth in den 60er-jahren hoch bis an die Spitze der Crème de la Crème der Schachmeister, reist um die gesamte Welt und besiegt internationale Größen.
Auch Oliver spielt mittlerweile gerne lieber gegen ältere Gegner, da sie erfahrener sind als Gleichaltrige – verständlich, wenn man Deutscher Meister der U18 ist. Die Spielstärke und Performance eines Schachspielers werden übrigens anhand eines Ratings, der Elo-zahl, bestimmt. Der beste Spieler der Welt hat eine EloZahl von 2800. Olivers Rating beträgt knapp 2400. Ein Vereinsspieler liegt ungefähr bei 1600, was für Oliver schon keine Herausforderung mehr ist.
Und wie sieht es mit Computern als Gegnern aus? Vor einigen Jahrzehnten war Computer-schach für die besten Schachspieler der Welt eine Herausforderung. Mensch gegen Maschine. Im Jahr 1994 ereignete sich die wohl berühmteste Partie mit Garri Kasparow, der letztendlich gegen den Computer verlor. „Gegen einen Computer spielt man nicht ernsthaft, es ist eher einfach üben. Heute werden Computer vor allem zur Analyse von Partien verwendet“, erklärt Oliver.
Schach ist auch Psychologie
Gegen Menschen zu spielen mache aber einfach auch viel mehr Spaß, vor allem wenn man demjenigen gegenübersitzt. Schach ist mehr als nur strategisches Manövrieren und Berechnen. In hohen Kreisen wird schon in der intensiven Partievorbereitung versucht, die Schwächen des Gegners auszumachen und ihn auf unbekanntes Terrain zu locken. Aber das ist natürlich noch nicht die ganze Psychologie im Schach: Gegen einen höher eingestuften Gegner spielen, in einer schlechten Stellung die Nerven behalten, mit einer plötzlichen starken Stellungsveränderung oder einer Veränderung des Trends umgehen – das alles sind spezielle Herausforderungen.
In der Regel wissen Gegner nämlich bereits über die Techniken des Anderen Bescheid – somit hat der Sport auch eine psychologische Seite. „Die psychologischen Aspekte kommen dadurch ins Spiel, dass ich weiß, dass der Gegner sicherlich meine Eröffnungen genau analysieren wird und versuchen wird, eine Variante zu finden, mit der er mich überraschen kann. Und natürlich versuche ich dasselbe. Die Frage ist also, wem es zuerst gelingt, den Gegner mit einer ihm unbekannten Variante zu überraschen.“