Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Weckruf aus den 70er-jahren
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“gibt es jetzt als Serie. Aber acht Stunden sind zu lang.
Welche fatale Folgewirkungen der Heroinkonsum auf junge Menschen hat, wurde der bundesdeutschen Öffentlichkeit 1978 mit einer zwölfteiligen Reportage im „Stern“vor Augen geführt. Die 15-jährige Christiane F. berichtete hier in kühler, unverblümter Diktion von der Verrohung, der Prostitution, der Kriminalität und dem Selbstmordversuch, in die sie ihre Drogenabhängigkeit getrieben hatte. Die Reportage von Kai Hermann und Horst Rieck, ihr Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“(weltweit über vier Millionen verkaufte Exemplare) und drei Jahre später die Verfilmung von Ulrich Edel (4,7 Millionen Zuschauer) versetzten eine ganze Elterngeneration in Panik und rüttelten die alte Bundesrepublik in ihrem selbstgefälligen Wohlstandsbefinden auf.
Nun hat Constantin Film die Story noch einmal aus der verstaubten Schatzkiste gekramt, um sie mit dem Streaming-riesen Amazon Prime zu einem Serienprojekt auszubauen. In dem fast achtstündigen Tv-epos eröffnen Drehbuchautorin Annette Hess („Weißensee“) und Regisseur Philipp Kadelbach („Unsere Mütter, unsere Väter“) mit einer Gruppe von sechs befreundeten Jugendlichen ein sehr viel breiteres Spektrum an „Drogenkarrieren“.
In Berlin-gropiusstadt lebt Christiane ( Jana Mckinnon) mit ihren zerstrittenen Eltern (Angelina Häntsch, Sebastian Urzendowsky), die sich durch die Geburt der Tochter viel zu jung aneinandergebunden haben. Ihre beste Freundin Stella (Lena Urzendowsky) muss immer wieder in der Gastwirtschaft der Mutter aushelfen, die ihre Alkoholsucht nicht in den Griff bekommt. Am anderen Ende der sozialen Skala, in der Villa ihrer Großmutter, ist Babsi (Lea Drinda), die mit dem Tod ihres Vaters den Halt verloren hat. Schon lange von zu Hause abgehauen sind Benno (Michelangelo Fortuzzi), Michi (Bruno Alexander) und Axel ( Jeremias Meyer). Manche probieren aus reiner Neugier Heroin, andere um sexuelle Gewalterfahrungen, traumatische Verluste oder unglückliche Liebe zu vergessen.
Im Gegensatz zu Edels Kinofilm ist diese Version von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“nicht allein auf Abschreckung gebürstet, sondern versucht Ursachen, Wirkung und Folgen der Drogenabhängigkeit in einem breiteren Kontext verständlich zu machen. Dennoch wirkt die Leidensdramaturgie in ihrer zwangsläufigen Abwärtsbewegung auf Dauer zu vorhersehbar, um sie auf acht Episoden zu strecken. Wirklich herausragend hingegen sind die schauspielerischen Leistungen des jungen, weitgehend unbekannten Ensembles. Bis in die kleinste Nebenrolle hinein wurde absolut passgenau besetzt. Wenn es endlich einmal einen deutschen Filmpreis in der Kategorie „Bestes Casting“geben sollte – „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“hätte ihn sich verdient.
Info „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ist ab 19. Februar bei Amazon Prime.