Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Krisenmanagement ohne Reue
ANALYSE Die Corona-pandemie stellt das Land seit einem Jahr auf die Probe. Dabei werden Fehler gemacht, natürlich. Aber wie gehen die Verantwortlichen damit um? Viele scheinen Selbstkritik immer noch für Schwäche zu halten.
Es gibt selten Sätze, deren Bedeutungsschwere schon in dem Moment mitschwingt, in dem sie ausgesprochen werden. „Wir werden einander viel verzeihen müssen“ist so ein Satz. Es waren vorausschauende Worte, die Gesundheitsminister Jens Spahn in der Bundespressekonferenz im April 2020 wählte – zu einem Zeitpunkt also, an dem die ganz großen Probleme dieser Pandemie noch gar nicht absehbar waren.
Man habe in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie „mit so vielenunwägbarkeiten so tiefgehende Entscheidungen“treffen müssen, sagte Spahn damals. Auch er werde in einem halben
Jahr möglicherweise feststellen, dass er nicht „in jeder Lage immer richtig“gehandelt habe. Ein gutes Dreivierteljahr später, vergangene Woche, wurde Spahn in einer Ntv-livesendung noch einmal gefragt: Ob es denn nun etwas gebe, was er sich als Gesundheitsminister in dieser Pandemie nicht verzeihen könne. Antwort: „Das wäre der Fall, wenn ich etwas wider besseres Wissen entschieden hätte, und das habe ich nicht.“
Es ist dieser ruhige, ausgeglichene Duktus, den Spahn perfektioniert hat. Die Auftritte an der Seite von Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert-koch-instituts, mögen ihn geprägt haben. Von Wielers stoischer Wissenschaftler-autorität scheint Spahn zu profitieren. Dass er anfangs heftig angegriffen und als „Corona-diktator“und „Massenmörder“beschimpft wurde, ist fast vergessen. Ebenso die berechtigte Kritik, dass beim Start der Krise zu wenige Schutzmasken, Desinfektionsmittel und Handschuhe vorhanden waren, dass es dann an Testkapazitäten mangelte. Und vielleicht würde er auch heute anders über sein nationalistisches Exportverbot von Masken und medizinischer Schutzkleidung selbst ins Eu-ausland denken. „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“
Für das Impfdebakel übernahm Eu-kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Verantwortung – zumindest ein bisschen. Und dann auch nur im kollektiven „Wir“. Vor einem handzahmen Europaparlament räumte sie ein: „Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistisch bei der Massenproduktion. Und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlich pünktlich geliefert wird.“Dann relativierte sie sogleich wieder: Die EU habe doch Milliarden ausgegeben, die Wissenschaft sei schneller als die Industrie gewesen, weil die versäumt habe, genügend Produktionskapazitäten aufzubauen.
Ihre einstige Chefin und Förderin Angela Merkel wollte noch nicht einmal das eingestehen. Die sonst so besonnene Bundeskanzlerin befand im Ard-interview zu möglichen Versäumnissen bei der Beschaffung des Impfstoffs: „Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen ist.“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) war da offener. „Die Kanzlerin hatte recht, und ich hatte unrecht“, sagte er überraschend in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Merkel habe immer wieder in aller Deutlichkeit gewarnt. „Aber im Kreise der Ministerpräsidenten wollte man es nicht so recht hören – auch ich nicht. Im Gegenteil: Diese ständigen Mahnungen wurden auch von mir als Belästigung empfunden.“
Im vermeintlichen Corona-vorzeigeland Mecklenburg-vorpommern gab Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die sich im Mai 2020 nach ihrer Brustkrebserkrankung zurückmeldete, von Beginn an die Krisenmanagerin. Es verging kaum ein Tag ohne Pressestatement der Spd-politikerin, gleichzeitig in sämtlichen Social-media-kanälen. Kritisches über die eigene Arbeit, über mögliche Fehler und falsche Einschätzungen gab es weniger. Dafür sorgten andere. So kassierte das Oberverwaltungsgericht Greifswald ihr Einreiseverbot im ersten Lockdown. Aufregung gab es auch um die Anweisung an die Gesundheitsämter, Listen mit Covid-19-erkrankten an die Polizei zu liefern. Erst drei Wochen später korrigierte man das. Und auch beim Thema Autokinos musste Schwesig zurückrudern: Während sie in allen Bundesländern geöffnet blieben, war sie dagegen. Weil ihr Gesundheitsministerium dafür aber keine Begründung liefern konnte, musste die Landesregierung dem Druck nachgeben. Das Land komme „gut durch die Krise“, wird Schwesig gleichwohl nicht müde zu betonen.
Markus Söder, ihr Kollege in Bayern, beließ es dabei, seine Gesundheitsministerin Melanie Huml wegen Testpannen zu feuern. Selbstkritik? Fehlanzeige, obwohl das Debakel mit den verschlampten Positiv-proben auch ihm angelastet wurde. Armin Laschet erkannte in einer aufgeregten Landtagsdebatte Mitte Dezember ebenfalls keine eigenen Fehler. Dabei gab Laschet erst den Lockerer, dann konnte die Schließung von Läden, Freizeit- und Kultureinrichtungen, Kitas und Schulen nicht schnell genug kommen. Doch statt Selbstkritik zollte sich Laschet vor allem Selbstlob: Der Lockdown habe gewirkt, NRW stehe besser da als die meisten Bundesländer, vor allem Bayern.
Vom früheren Csu-landesgruppenchef Michael Glos ist der Satz überliefert, dass man als Politiker nicht allzu viel Selbstkritik üben sollte. „Das ist kein Zeichen von Stärke“, sagte der handfeste Franke damals. Nicht einmal in einer so unvorhergesehenen Krise wie der Corona-pandemie können Politiker neue Wege einschlagen. Vor allem solange es noch irgendwelche wichtigen Menschen gibt, die Selbstkritik tatsächlich für Schwäche halten.