Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Klavierkomponist Charles-valentin Alkan
Klassik Wer nach ihm im Lexikon sucht, findet erst mal die Stoffgruppe der gesättigten acyclischen Kohlenwasserstoffe, eine Fluggesellschaft oder einen türkischen Vornamen. Alkan, Alkan – war da sonst noch etwas? Das fragten sich auch Pariser Zeitgenossen in seinem Todesjahr 1888. Ein Nachruf in der Zeitschrift „Le Ménestrel“stellte makaber fest, durch die Todesnachricht wisse man überhaupt erst, dass es ihn noch gegeben habe.
Ja, Charles-valentin Alkan (1813– 1888) galt den Zeitgenossen nicht als hellster Kronleuchter des 19. Jahrhunderts, dabei war er zweifellos ein Genie. Leider gab es einige Verhinderer, die ihm, dem bravourösen Pianisten und Komponisten, den Aufstieg neideten. Robert Schumann äußerte sich abfällig über ihn, Intrigen am Konservatorium machten seine Karriere zunichte. Dabei war Alkan als Pianist neben Franz Liszt und Sigismund Thalberg eine Kapazität, einer dieser Wahnsinnsakrobaten, die Damen in Ohnmacht fallen ließen. Leider besaß Alkan nur wenig dickes Fell, und als sein Freund Frédéric Chopin starb, verschwand er erst einmal von der Bildfläche. Ein sensibler Meister.
Jetzt ist beim Label Piano Classics eine sehr schöne Sammlung ausgewählter Klavierstücke erschienen, die Alkan nicht nur als Lieferanten für Monstervirtuosität, sondern auch als poetisches Hochtalent zeigen. Sein Gespür für Klangfarben ist exorbitant – Musik irgendwo zwischen Mendelssohn und Rachmaninow. Mark Viner, selbst ein allergrößter Meister des Klavierfachs, hat sich zwei Paraphrasen, einige Märsche und Etüden vorgenommen und exekutiert sie mit einer Brillanz und zugleich einer lyrischen Noblesse, die uns erneut fragen lässt, warum dieser Alkan so selten aufgeführt wird. Höhepunkt der prachtvollen CD ist sicher die als „Symphonie“ausgewiesene Auskoppelung von vier Etüden aus dem Zyklus op. 39. Deren abschließendes Presto-finale steht an der Grenze zur Unspielbarkeit. So hatte Alkan es immer gern. Wolfram Goertz