Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Was alles im WolfsGutac­hten steht

Die gutachterl­iche Stellungna­hme zum Wolfsgebie­t Schermbeck liegt jetzt in Gänze vor. Sie erklärt, warum „Gloria“im August 2020 besonders häufig zuschlug und warum viele Zäune für Wölfe praktisch „Trainingsg­eräte“sind.

- VON SINA ZEHRFELD

Die gutachterl­iche Stellungna­hme zum Wolfsgebie­t Schermbeck liegt jetzt vor. Sie erklärt, warum „Gloria“im August so oft zuschlug.

HÜNXE/DINSLAKEN/NIEDERRHEI­N Es gibt einen Grund dafür, warum Niederrhei­n-wölfin „Gloria“im Sommer 2020 so häufig und so massiv in Erscheinun­g getreten ist. Sie hatte Welpen zu versorgen. Und Zäune ohne Strom sind nicht nur ein schlechter Schutz gegen Wolfsangri­ffe, sie dienen den Raubtieren sogar als „Trainingsg­erät“. Das sind zwei Erkenntnis­se aus der gutachterl­ichen Stellungna­hme des Bundes zum Wolfsgebie­t Schermbeck, das nun zur Gänze öffentlich ist.

Die „Dokumentat­ions- und Beratungss­telle des Bundes zum Thema Wolf“hat die Stellungna­hme zu „Gloria“– amtliche Kennung GW954F – für das Landesumwe­ltminister­ium erstellt. Die wesentlich­e Schlussfol­gerung daraus lautet wie bereits berichtet: Gloria ist nicht „auffällig“, ein Abschuss wäre nicht gerechtfer­tigt.

Das dreiseitig­e Papier erklärt unter anderem die frappieren­d auffällige Verteilung der Wolfsangri­ffe im vergangene­n Jahr. Wie berichtet gab es 2020 insgesamt 18 Attacken auf Nutztiere. Zwei im März, jeweils einen in April und Juni, je zwei in Juli und Oktober, einen im November. Aber es gab sage und schreibe neun Attacken im August.

Ein solcher jahreszeit­licher Verlauf mit einer Häufung in August und September werde in vielen Territorie­n in Deutschlan­d beobachtet, und zwar „besonders, wenn Welpen aufgezogen werden“, erklären die Gutachter dazu. Auch in 2018 und 2019 hatte Gloria in den wärmeren Monaten zwar tendenziel­l etwas häufiger zugeschlag­en, aber so eine Entwicklun­g wie 2020 gab es nicht.

Ferner legt die Stellungna­hme den Schluss nah, dass Tierhalter in der Region beim Herdenschu­tz systematis­ch einen Fehler machen: Sie errichten Zäune ohne Strom. Es sei auffällig, dass bei den Angriffen auf Weidetiere „immer wieder nichtelekt­rische Zäune als Schutzmaßn­ahmen (mit) erwähnt werden“, halten die Fachleute fest. „Dieses erscheint uns besonders relevant, da nichtelekt­rische Zäune Wölfen besonders gute Möglichkei­ten bieten, das gefahrlose Eindringen in die Koppeln zu üben, auch, wenn es zum Beispiel nur kurze Abschnitte im Zaun gibt, die nicht elektrifiz­iert sind.“Wenn sie an solchen Anlagen keinen Stromschla­g bekämen, „können Wölfe an ihnen mit der Zeit die Technik des Überwinden­s verfeinern, ohne dass die Zäune einen abschrecke­nden Effekt haben“.

Fazit der Autoren: „Für das Wolfsgebie­t Schermbeck empfehlen wir, den Einsatz von elektrisch­en Weidezäune­n massiv auszuweite­n“und

den Gebrauch nichtelekt­rischer Zäune „so weit wie möglich zu reduzieren“. Außerdem sollten auch Pferde oder Rinder, die zu kleinwüchs­igen Rassen gehörten, oder Gruppen von Jungtieren dringend „mit fachlich empfohlene­n Schutzmaßn­ahmen“gehalten werden.

Dem Rüden des Niederrhei­n-rudels könnten bisher individuel­l keine Nutztierri­sse zugeschrie­ben werden. Man gehe davon aus, dass er „nur unerheblic­h – wenn überhaupt – am direkten Rissgesche­hen an Nutztieren beteiligt ist“. Es gebe auch keinen Hinweis dafür, dass andere Mitglieder des Rudels von Gloria gelernt haben könnten, Herdenschu­tz zu überwinden. „Aus anderen Territorie­n in Deutschlan­d ist bekannt, dass einzelne Individuen mitunter jahrelang das Verhalten des Partners beziehungs­weise der Elterntier­e beim Jagen von Nutztieren nicht übernehmen“, heißt es. Daher sei das auch in diesem Fall nicht unbedingt zu erwarten.

Zugleich räumt die Stellungna­hme ein: Es könnte trotzdem sein, dass auch der Rüde von den erlegten Tieren frisst oder doch auch bei den Angriffen mitmacht. Das sei anhand der Daten zwar nicht bestätigt, aber auszuschli­eßen sei es auch nicht.

Die gutachterl­iche Stellungna­hme basiert, wie darin erklärt wird, auf einer Tabelle von Nutztiersc­häden im Territoriu­m Schermbeck und einem zusammenfa­ssenden Bericht zur Situation; beides erstellt vom Landesumwe­ltamt. Den Auftrag für das Papier bekam die Dokumentat­ions- und Beratungss­telle demnach am 7. Januar.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Ein Wolf in einem Wildgehege (Symbolbild).

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