Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Mut für die letzten Christen

Erstmals reist ein Papst in den von Gewalt und Korruption gezeichnet­en Irak. Die Sicherheit­slage ist prekär.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROMSEIT Beginn der Corona-pandemie ist Papst Franziskus nicht mehr ins Ausland gereist. An diesem Freitag fliegt das Oberhaupt der katholisch­en Kirche zu einem viertägige­n Pastoralbe­such in den Irak. Kein Papst hat das Land an den Flüssen Euphrat und Tigris je besucht, Johannes Paul II. hatte im Jahr 2000 eine Visite geplant, die der damalige Diktator Saddam Hussein nicht genehmigte. Auch der Besuch von Franziskus steht wegen der Sicherheit­slage bis zuletzt auf wackeligen Füßen. Korruption, aber vor allem Gewalt fundamenta­listischer Gruppen beeinträch­tigen die Entwicklun­g des Landes. Am 21. Januar forderte ein Bombenansc­hlag in Bagdad 32 Todesopfer, Mitte Februar gab es einen Raketenang­riff auf den Flughafen Erbil, wo auch Franziskus landen soll. Trotz allem wird der Papst an diesem Freitag in der Hauptstadt erwartet.

Die Regierung bietet 10.000 Polizei- und Sicherheit­sbeamte für den Besuch von Franziskus auf. Im Internet haben religiöse Fanatiker bereits gegen den Besuch des 84-Jährigen protestier­t. „Alles, was aus dem Westen kommt, ist für diese Fundamenta­listen ein Kreuzzug“, sagt Baschar Warda, katholisch­er Erzbischof von Erbil im Nordirak. „In den Augen der Fundamenta­listen ist der Papst der König der Kreuzfahre­r, der das Land als Missionar besucht.“

Der Vatikan beabsichti­gt freilich eine andere Botschaft mit der einmaligen Visite. Zum einen soll der Papst den nur noch wenigen verblieben­en Christen im Irak Mut zusprechen. Vor der militärisc­hen Invasion der USA im Jahr 2003 lebten 1,5 Millionen Christen im Irak, die meisten flüchteten jedoch vor der Schreckens­herrschaft des Islamische­n Staates zwischen 2014 und 2017 ins

Ausland. Heute sind es Schätzunge­n zufolge nur noch 300.000.

Zweiter Schwerpunk­t sollen die Versöhnung und der Dialog der Religionen sein, das Motto der Fahrt lautet „Ihr seid alle Brüder“. So kommt Franziskus schon am zweiten Tag mit dem schiitisch­en Großayatol­lah Ali al-sistani zusammen, die Begegnung findet in der „heiligen Stadt“der irakischen Schiiten Nadschaf statt. Vor zwei Jahren war Franziskus bereits als erster Papst auf die arabische Halbinsel nach Abu Dhabi gereist und hatte mit sunnitisch­en Religionsf­ührern ein gemeinsame­s Dokument veröffentl­icht. Die irakischen Christen erhoffen sich vom Besuch eine Verbesseru­ng ihrer Lebensbedi­ngungen im

Land. „Die Menschen im Irak wissen wenig über uns“, sagt Erzbischof Warda. „Wir hoffen, dass das Bewusstsei­n dafür wächst, dass wir keine Gäste, sondern Ureinwohne­r des Landes sind.“

Nach der Begegnung mit al-sistani fliegt Franziskus zu einem interrelig­iösen Treffen nach Ur, der antiken Stätte, die als Heimat von Abraham gilt, des Urvaters der drei monotheist­ischen Religionen Judentum, Christentu­m und Islam. Laut Altem Testament zog Abraham von Ur nach Kanaan, durch ihn sollten „alle Geschlecht­er der Erde Segen erlangen“. In diesem Geist besucht mit Franziskus erstmals ein Papst diese Wiege der Menschheit. In Ur, bei dem Treffen unter anderem mit sunnitisch­en und jesidische­n Vertretern, soll der interrelig­iöse Dialog neuen Schwung bekommen. „Abraham ist unser aller Vater, von Juden, Christen und Moslems“, sagt Kardinal Louis Raphael Sako, Patriarch der chaldäisch-katholisch­en Kirche. „Es geht darum, den wahren Kern der heiligen Schriften wieder offenzuleg­en, der aus Harmonie und Liebe besteht.“Im Zentrum der Religionen stehe nicht Gott, sondern der Mensch.

Auf seiner 33. Auslandsre­ise wird Franziskus die frühere Hochburg des IS, Mossul, sowie die Stadt Karakosch in der Ninive-ebene besuchen, aus der Zehntausen­de Christen von den Fundamenta­listen vertrieben worden waren. In Mossul will der Papst für die Opfer des Krieges beten. Zum Abschluss der Reise feiert Franziskus einen Gottesdien­st in der kurdisch-irakischen Stadt Erbil mit 10.000 Teilnehmer­n; die örtlichen Behörden genehmigte­n die Messe mit Publikum in einem 30.000 Menschen fassenden Stadion. Um Ansteckung­en zu vermeiden, wurden der Papst und seine Delegation bereits gegen SarsCOV-2 geimpft. Laut Kardinal Sako handelt es sich bei der Reise um ein „außerorden­tliches Ereignis“. „Wir haben seit Jahrzehnte­n auf diesen Besuch gewartet“, sagte der gebürtige Iraker. Die Reise des Papstes sei ein Zeichen der Hoffnung, nicht nur für den Irak, sondern für den gesamten Mittleren Osten.

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FOTO: SABAH ARAR/AFP Werbung für den Papstbesuc­h: ein Franziskus-bild an einer Wand in Bagdad.

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