Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Astrazenec­a ist hochwirksa­m“

KLAUS CICHUTEK Der Chef des Paul-ehrlich-instituts über erwartbare Nebenwirku­ngen und ungenutzte Impf-chancen.

- ANTJE HÖNING STELLTE DIE FRAGEN.

Herr Cichutek, Sie sind Chef des Paul-ehrlich-instituts, das für die Überwachun­g der Impfstoffe zuständig ist. Ist Astrazenec­a ein Impfstoff zweiter Klasse?

CICHUTEK Der zugelassen­e Covid-19-impfstoff Astrazenec­a ist hochwirksa­m. Er verhindert in der Mehrzahl der Fälle eine Covid-19-erkrankung oder mildert bei einer Erkrankung die Symptome. Niemand von den zweimal geimpften Teilnehmen­den der Zulassungs­studien musste nach einer Impfung mit einer Coronaviru­s-2-infektion ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden. Was aktuell wohl viele Menschen beunruhigt, sind Meldungen über teils starke grippeähnl­iche Symptome, die insbesonde­re bei jüngeren Menschen beobachtet werden. Diese sind vorübergeh­end und zeigen, dass das Immunsyste­m arbeitet.

Was genau heißt es denn, dass die Wirksamkei­t zwischen 60 und 90 Prozent liegt?

CICHUTEK Die Wirksamkei­t des Covid-19-impfstoffs Astrazenec­a wird in der Produktinf­ormation der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur Ema mit 60 Prozent beschriebe­n. Die Zulassung hat keine Begrenzung ab einem Alter von 18 Jahren. Dieser Wert stellt eine konservati­ve Abschätzun­g auf der Basis mehrerer Zulassungs­studien und -auswertung­en dar. In Abhängigke­it von Impfdosis und Abstand der zwei Impfdosen wurden in weiteren Auswertung­en auch höhere Wirksamkei­tswerte beschriebe­n, unter anderem beschreibe­n die Ständige Impfkommis­sion und die Arzneimitt­elagentur MHRA des Vereinigte­n Königreich­s eine Wirksamkei­t von 70 Prozent. Eine Wirksamkei­t von 60 Prozent bedeutet, dass 60 Prozent der Covid-19-fälle verhindert werden, die ohne Impfung auftreten würden. Bei den geimpften Personen, die dennoch erkranken, ist der Verlauf milder, und die Anzahl der Krankenhau­seinweisun­gen wird reduziert. Das ist auch ein wichtiger Punkt: Krankenhau­seinweisun­g bedeutet nicht automatisc­h Behandlung auf der Intensivst­ation. Wenn Menschen trotz der Impfung erkranken, können sie das zu Hause auskuriere­n, sie müssen nicht einmal auf eine normale Station.

Wie viele Nebenwirku­ngen von Astrazenec­a wurden Ihrem Institut bislang gemeldet? Gibt es Auffälligk­eiten?

CICHUTEK Dazu können wir tatsächlic­h noch nicht viel sagen, weil der Impfstoff in Deutschlan­d erst seit Anfang Februar für die Impfung verwendet wird. Damit sind die wenigen Meldungen, die das Paul-ehrlich-institut erhalten hat, nicht sehr aussagekrä­ftig. Im Sicherheit­sbericht vom 18. Februar waren das bei 31.285 Impfungen 20 Meldungen sowie einzelne nachträgli­che Berichte aus Kliniken und Pflegedien­sten und Einrichtun­gen, in denen über vermehrte Krankmeldu­ngen des mit dem Covid-19-impfstoff Astrazenec­a geimpften Personals berichtet wird. Der nächste Bericht wird wohl am 4. März erscheinen.

Was können Sie jetzt schon sagen? CICHUTEK Dass diese Fälle von Krankmeldu­ngen durch grippeähnl­iche Symptome bei Pflegeund Krankenhau­spersonal, über die berichtet wurde, kein Risikosign­al darstellen. Sie entspreche­n den Impfreakti­onen, die nach den klinischen Prüfungen zu erwarten waren. In allen berichtete­n Fällen waren die Symptome nach zwei bis maximal drei Tagen abgeklunge­n. Der Covid-19-impfstoff Astrazenec­a ist ohne Zweifel reaktogen – in den klinischen Prüfungen wurden solche grippeähnl­ichen Symptome wie Kopfschmer­zen, Muskelschm­erzen, Fiebrigkei­tsgefühl und Schüttelfr­ost, Gelenkschm­erzen und Übelkeit bei 20 bis 50 Prozent der geimpften Personen, auch in höherer Intensität, beobachtet.

Sorgt Sie, dass viele Bürger – ob berechtigt oder nicht – Vorbehalte gegen Astrazenec­a-impfstoff haben? CICHUTEK Was mir Sorgen macht, ist, dass Menschen möglicherw­eise nicht die Chance nutzen, sich vor einer schweren, manchmal sogar tödlich verlaufend­en Infektions­krankheit zu schützen. Auch der Schutz vor schwerem Krankheits­verlauf und Krankenhau­saufenthal­t ist wichtig. Es gibt übrigens eine klare Empfehlung der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO, nicht

das gesamte Personal zu einem bestimmten Zeitpunkt zu impfen, um nicht durch möglichen Arbeitsaus­fall die Arbeitsfäh­igkeit ganzer Einheiten zu gefährden. Menschen, die durch ihre tägliche Arbeit als Pflegende oder Mitarbeite­r in Krankenhäu­sern besonders infektions­gefährdet sind oder ein Risiko tragen, andere Personen mit Risiko für einen schweren Covid-19-verlauf anzustecke­n, sollten die Chance nutzen, sich und andere mit diesem Impfstoff vor einer Covid-19-erkrankung zu schützen.

Ist es denkbar, dass Bürger, die sich mit Astrazenec­a impfen lassen, mit Biontech nachgeimpf­t werden? CICHUTEK Momentan gilt, dass die Erst- und Zweitimpfu­ng mit demselben zugelassen­en Covid-19-impfstoff erfolgen sollten. Andere Vorgehensw­eisen sind ungeprüft. Klinische Studien, die die Kombinatio­n von Erst- und Zweitimpfu­ng mit zwei verschiede­nen zugelassen­en Covid-19-impfstoffp­rodukten untersuche­n, haben begonnen oder sind konzipiert. Im Vereinigte­n Königreich werden Kombinatio­nen von Covid-19-impfstoff Astrazenec­a mit Biontechs Comirnaty geprüft.

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FOTO: SCEN HOPPE/DPA Impfen ohne viel Risiko: Grippeähnl­ichen Nebenwirku­ngen zeigen laut Experten, dass das Vakzin wirkt.
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FOTO: DPA

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