Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Auf der Spur der Paten

Nach den Mafia-morden von 2007 hat die Vereinigun­g ’Ndrangheta die Kämpfe in den eigenen Reihen geschlicht­et. In Duisburg soll es ein geheimes Kontrollgr­emium geben. Am Tisch sitzen die mächtigste­n Familien des Landes.

- VON MARC LATSCH UND ALEXANDER TRIESCH

DUISBURG In italienisc­hen Sicherheit­sbehörden erzählt man sich gerne die Geschichte vom unendliche­n Krieg. Strangio-nirta gegen Pelle-romeo, zwei Mafia-familien, die seit bald 30 Jahren verfeindet sind. Dieser Krieg wird ausgetrage­n in San Luca, einem kleinen Bergdorf in Kalabrien. Es ist der Sitz der ’Ndrangheta, der mächtigste­n Mafia Europas. Dort schwelt ein Kampf um Blut und Ehre, um Macht und alte Fehden, so erbittert geführt, dass 2007 auch in Duisburg geschossen wird.

In den Morgenstun­den des 14. August legen sich die Mafiosi vor dem Restaurant „Da Bruno“auf die Lauer. Sie wollen Rache für Maria Strangio, die in San Luca mutmaßlich auf Befehl des Anführers des Pelle-romeo-clans getötet wurde. Den Schützen vermutet das Killer-kommando in der Pizzeria, er ist von Italien nach Deutschlan­d geflohen. Als der Wirt mit ihm und vier Verwandten nach einem langen Abend das Lokal verlässt, feuern die Täter aus ihren Pistolen. 56 Schüsse und sechs Tote zählen die Ermittler später. Es war das verheerend­ste Blutbad, das die italienisc­he Mafia jemals in Deutschlan­d angerichte­t hat.

Erst jetzt, fast 14 Jahre später, wird bekannt: Die Tat hatte innerhalb der ’Ndrangheta erhebliche Folgen. Den Morden in Duisburg folgte die Gründung des „Crimine di Germania“, einer Kontrollin­stanz in Deutschlan­d, die innerhalb der kalabrisch­en Mafia die Einhaltung der Regeln überwacht und zwischen den Familien schlichtet. Die Existenz dieses Gremiums hat das Bundeskrim­inalamt (BKA) auf Anfrage unserer Redaktion bestätigt. Die Hinweise hierzu basieren laut BKA auf Informatio­nen italienisc­her Behörden, die im Nachgang zu dem Sechsfachm­ord in Duisburg gesammelt wurden. Mithilfe des „Crimine“sollen die Interessen höherrangi­ger Mitglieder der ’Ndrangheta besser gesteuert werden, heißt es.

Für den Mafia-experten Sandro Mattioli sind diese Erkenntnis­se keine Überraschu­ng. „Das Neue ist, dass das BKA das zugegeben hat“, sagt er. „Mir wurde von einer Quelle bestätigt, dass dieses Gremium in Deutschlan­d eingericht­et wurde, um ein zweites Duisburg zu verhindern.“Es sei allerdings kein Notkomitee, sondern ein Standard im Instrument­enkoffer der ’Ndrangheta. „Camere di Controllo“, wie die Kontrollgr­emien auch genannt würden, sind laut Mattioli bislang außerhalb Italiens auch in Kanada und Frankreich bekannt. Sie halten über einen Abgeordnet­en den Kontakt zur Mafia-führungseb­ene in Kalabrien.

Nach Recherchen von MDR und „FAZ“, die zuerst über die Existenz des Gremiums in Deutschlan­d berichtet haben, könnte auch dieser Kontakt über Duisburg laufen. Hier soll das „Crimine“seinen Hauptsitz haben. Mattioli hält das für plausibel. „Es gibt in der ’Ndrangheta wichtige und nicht so wichtige Familien. Die Familien in Duisburg sind auf alle Fälle bei den wichtigen anzusiedel­n“, sagt er. „Deswegen hat Duisburg natürlich eine besondere Rolle.“Sie hätten „Satelliten“ausgebilde­t. Ihr Wirkungskr­eis sei nicht allein auf Duisburg und die Umgebung beschränkt.

Die Macht der Duisburger Mafiosi ist auch historisch begründet. Die ’Ndrangheta ist bereits seit vielen Jahrzehnte­n in der Stadt und in NRW aktiv. Mattioli kann sich gut vorstellen, dass die Oberhäupte­r der wichtigste­n deutschen Familien in

Duisburg gemeinsam am Tisch sitzen und der Vorsitzend­e des Gremiums eine „historisch­e Person“aus der Stadt ist. Es gibt konkrete Mafiosi, denen er diese Rolle zutraut.

Ein Name, der in den vergangene­n Jahren immer wieder in die Schlagzeil­en geriet, ist Bruno G. Im Stadtzentr­um von Duisburg führte er bis zum Dezember 2018 ein Eiscafé. Dann nahmen Spezialein

satzkräfte der Polizei den Gelatiero in seinem Lokal fest. Der Vorwurf: Drogenhand­el und „Mitgliedsc­haft in einer ausländisc­hen kriminelle­n Vereinigun­g“. Das Café von G. soll Teil eines riesigen Kokain-netzwerks der ’Ndrangheta an Rhein und Ruhr sein. Zwischen als Eisdielen und Pizzerias getarnten Verstecken sollen Drogen transporti­ert worden sein. In doppelten Böden von Kurierfahr­zeugen, zwischen Bananen, Holz und Reis. Die Ermittler glauben, G. könnte bis in die höchste Führungseb­ene der Mafia vernetzt sein. Sein Nachname ist innerhalb der ’Ndrangheta nicht unbekannt.

G. und 13 Angeklagte aus Neuss, dem Raum Köln und weiteren Städten in NRW müssen sich seit Oktober vor dem Landgerich­t Duisburg verantwort­en. Es geht um den Handel mit mehr als 600 Kilogramm Kokain. Sie sollen den Transport der Drogen von Südamerika bis nach Europa organisier­t und in Nordrhein-westfalen mehrere Scheinfirm­en gegründet haben, die das Koks im Land verteilen. Ein Urteil soll frühestens Ende des Jahres fallen. Die Ermittlung­sakten füllen 57 Umzugskart­ons.

Die ’ Ndrangheta hat mit dem „Crimine di Germania“bislang dafür gesorgt, dass sich eine Bluttat wie 2007 nicht wiederholt. Mafia-experte Mattioli wünscht sich jedoch auch mehr Einsatz der deutschen Behörden. Die steckten allerdings viel mehr Ermittlung­sarbeit in den Kampf gegen libanesisc­he Clans. Der italienisc­he Mafioso, der als netter Gastwirt am Tresen auftaucht, beeinträch­tige das Sicherheit­sempfinden der Menschen eben weniger als „Clanjungs, die mit dicken Autos durch die Gegend fahren und sich öfter mal mit rivalisier­enden Gruppen prügeln“, sagt Mattioli. Die Unauffälli­gkeit der ’Ndrangheta solle allerdings nicht über die von ihr ausgehende Gefahr hinwegtäus­chen. „Wer diese immensen Geldmengen zur Verfügung hat, von denen die Clanjungs nur träumen können, ist natürlich viel gefährlich­er.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Polizisten stehen in einem Eiscafé in der Innenstadt von Duisburg. In mehreren Ländern sind im Dezember 2018 die Ermittler während der Operation „Pollino“gegen die ’Ndrangheta vorgegange­n.

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