Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Auf der Spur der Paten
Nach den Mafia-morden von 2007 hat die Vereinigung ’Ndrangheta die Kämpfe in den eigenen Reihen geschlichtet. In Duisburg soll es ein geheimes Kontrollgremium geben. Am Tisch sitzen die mächtigsten Familien des Landes.
DUISBURG In italienischen Sicherheitsbehörden erzählt man sich gerne die Geschichte vom unendlichen Krieg. Strangio-nirta gegen Pelle-romeo, zwei Mafia-familien, die seit bald 30 Jahren verfeindet sind. Dieser Krieg wird ausgetragen in San Luca, einem kleinen Bergdorf in Kalabrien. Es ist der Sitz der ’Ndrangheta, der mächtigsten Mafia Europas. Dort schwelt ein Kampf um Blut und Ehre, um Macht und alte Fehden, so erbittert geführt, dass 2007 auch in Duisburg geschossen wird.
In den Morgenstunden des 14. August legen sich die Mafiosi vor dem Restaurant „Da Bruno“auf die Lauer. Sie wollen Rache für Maria Strangio, die in San Luca mutmaßlich auf Befehl des Anführers des Pelle-romeo-clans getötet wurde. Den Schützen vermutet das Killer-kommando in der Pizzeria, er ist von Italien nach Deutschland geflohen. Als der Wirt mit ihm und vier Verwandten nach einem langen Abend das Lokal verlässt, feuern die Täter aus ihren Pistolen. 56 Schüsse und sechs Tote zählen die Ermittler später. Es war das verheerendste Blutbad, das die italienische Mafia jemals in Deutschland angerichtet hat.
Erst jetzt, fast 14 Jahre später, wird bekannt: Die Tat hatte innerhalb der ’Ndrangheta erhebliche Folgen. Den Morden in Duisburg folgte die Gründung des „Crimine di Germania“, einer Kontrollinstanz in Deutschland, die innerhalb der kalabrischen Mafia die Einhaltung der Regeln überwacht und zwischen den Familien schlichtet. Die Existenz dieses Gremiums hat das Bundeskriminalamt (BKA) auf Anfrage unserer Redaktion bestätigt. Die Hinweise hierzu basieren laut BKA auf Informationen italienischer Behörden, die im Nachgang zu dem Sechsfachmord in Duisburg gesammelt wurden. Mithilfe des „Crimine“sollen die Interessen höherrangiger Mitglieder der ’Ndrangheta besser gesteuert werden, heißt es.
Für den Mafia-experten Sandro Mattioli sind diese Erkenntnisse keine Überraschung. „Das Neue ist, dass das BKA das zugegeben hat“, sagt er. „Mir wurde von einer Quelle bestätigt, dass dieses Gremium in Deutschland eingerichtet wurde, um ein zweites Duisburg zu verhindern.“Es sei allerdings kein Notkomitee, sondern ein Standard im Instrumentenkoffer der ’Ndrangheta. „Camere di Controllo“, wie die Kontrollgremien auch genannt würden, sind laut Mattioli bislang außerhalb Italiens auch in Kanada und Frankreich bekannt. Sie halten über einen Abgeordneten den Kontakt zur Mafia-führungsebene in Kalabrien.
Nach Recherchen von MDR und „FAZ“, die zuerst über die Existenz des Gremiums in Deutschland berichtet haben, könnte auch dieser Kontakt über Duisburg laufen. Hier soll das „Crimine“seinen Hauptsitz haben. Mattioli hält das für plausibel. „Es gibt in der ’Ndrangheta wichtige und nicht so wichtige Familien. Die Familien in Duisburg sind auf alle Fälle bei den wichtigen anzusiedeln“, sagt er. „Deswegen hat Duisburg natürlich eine besondere Rolle.“Sie hätten „Satelliten“ausgebildet. Ihr Wirkungskreis sei nicht allein auf Duisburg und die Umgebung beschränkt.
Die Macht der Duisburger Mafiosi ist auch historisch begründet. Die ’Ndrangheta ist bereits seit vielen Jahrzehnten in der Stadt und in NRW aktiv. Mattioli kann sich gut vorstellen, dass die Oberhäupter der wichtigsten deutschen Familien in
Duisburg gemeinsam am Tisch sitzen und der Vorsitzende des Gremiums eine „historische Person“aus der Stadt ist. Es gibt konkrete Mafiosi, denen er diese Rolle zutraut.
Ein Name, der in den vergangenen Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geriet, ist Bruno G. Im Stadtzentrum von Duisburg führte er bis zum Dezember 2018 ein Eiscafé. Dann nahmen Spezialein
satzkräfte der Polizei den Gelatiero in seinem Lokal fest. Der Vorwurf: Drogenhandel und „Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung“. Das Café von G. soll Teil eines riesigen Kokain-netzwerks der ’Ndrangheta an Rhein und Ruhr sein. Zwischen als Eisdielen und Pizzerias getarnten Verstecken sollen Drogen transportiert worden sein. In doppelten Böden von Kurierfahrzeugen, zwischen Bananen, Holz und Reis. Die Ermittler glauben, G. könnte bis in die höchste Führungsebene der Mafia vernetzt sein. Sein Nachname ist innerhalb der ’Ndrangheta nicht unbekannt.
G. und 13 Angeklagte aus Neuss, dem Raum Köln und weiteren Städten in NRW müssen sich seit Oktober vor dem Landgericht Duisburg verantworten. Es geht um den Handel mit mehr als 600 Kilogramm Kokain. Sie sollen den Transport der Drogen von Südamerika bis nach Europa organisiert und in Nordrhein-westfalen mehrere Scheinfirmen gegründet haben, die das Koks im Land verteilen. Ein Urteil soll frühestens Ende des Jahres fallen. Die Ermittlungsakten füllen 57 Umzugskartons.
Die ’ Ndrangheta hat mit dem „Crimine di Germania“bislang dafür gesorgt, dass sich eine Bluttat wie 2007 nicht wiederholt. Mafia-experte Mattioli wünscht sich jedoch auch mehr Einsatz der deutschen Behörden. Die steckten allerdings viel mehr Ermittlungsarbeit in den Kampf gegen libanesische Clans. Der italienische Mafioso, der als netter Gastwirt am Tresen auftaucht, beeinträchtige das Sicherheitsempfinden der Menschen eben weniger als „Clanjungs, die mit dicken Autos durch die Gegend fahren und sich öfter mal mit rivalisierenden Gruppen prügeln“, sagt Mattioli. Die Unauffälligkeit der ’Ndrangheta solle allerdings nicht über die von ihr ausgehende Gefahr hinwegtäuschen. „Wer diese immensen Geldmengen zur Verfügung hat, von denen die Clanjungs nur träumen können, ist natürlich viel gefährlicher.“