Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Evonik und das Jahr des Kaktus
Das Pharmageschäft erweist sich als wichtige Stütze. Am Ende bleiben 1,9 Milliarden operativer Gewinn.
ESSEN Trotz der Corona-pandemie ist der Chemiekonzern Evonik gut durch das Jahr 2020 gekommen. „Wir haben den Härtetest der Pandemie bestanden“, sagte Vorstandschef Christian Kullmann. Zwar habe auch Evonik Blessuren und Beulen davongetragen, doch Brüche habe es keine gegeben. Der Umbau hin zu mehr margenstarker Spezialchemie zahle sich in der Krise aus. Für 2021 rief Kullmann das „Jahr des Kaktus“aus. Gemeint ist: 2020 habe Evonik wie eine stachlige Pflanze die Folgen der Krise abwehren können, in diesem Jahr wolle der Konzern nun wie sein Kaktus daheim zu neuer Blüte finden.
Zwar ist der operative Gewinn (Ebitda) 2020 von 2,1 auf 1,9 Milliarden Euro zurückgegangen. Doch Evonik hat damit seine Prognosen voll erfüllt – das Essener Unternehmen war eines der wenigen gewesen, die sich im Frühjahr überhaupt eine Prognose zugetraut hatten. Federn lassen mussten die Bereiche, deren Kunden die Auto- und Ölindustrie und die stark von der Konjunktur abhängig sind. Gute Geschäfte machte Evonik aber mit
Desinfektionsmitteln, mit der Zulieferung für die Pharmaindustrie und der Windkraftbranche.
Hier will Evonik zulegen und sich weiter als Pharmazulieferer profilieren: Der Konzern baut seine Produktionsanlagen für Lipide an den deutschen Standorten Hanau und Dossenheim weiter aus. Aus Lipiden werden Lipidnanoartikel hergestellt, die den empfindlichen Impfstoff umhüllen und sicher in die menschlichen Zellen bringen. „Wir bauen die Fähren zur Rettung“, sagte Kullmann nicht ohne Stolz auf seine Forscher. Evonik ist einer der großen Lieferanten des wichtigsten Impfstoffherstellers Biontech. Das Geschäft mit der Pharmazulieferung soll einen dreistelligen Millionen-umsatz bringen.
Die Beschlüsse von Bund und Ländern zu den Öffnungsschritten sieht Kullmann wohlwollend. Von einem Impfdesaster in Deutschland wollte er trotz der geringen Impfquoten nicht sprechen, man folge ja einem Plan. Evonik will bei der Impfkampagne unterstützen: Die Arbeitsmedizin des Konzerns stehe parat loszulegen: „Wir sind bereit, unsere Belegschaften zu impfen. Aber wir müssen den Impfstoff auch bekommen“, so Kullmann.
Trotz der Krise will Evonik für das vergangene Jahr eine stabile Dividende von 1,15 Euro je Aktie zahlen. Darüber freut sich vor allem die Rag-stiftung, die weiter Großaktionär des Chemiekonzerns ist. Am Donnerstag gab die Aktie dennoch leicht nach auf 28 Euro. Der Konzernumsatz fiel 2020 um sieben Prozent auf 12,2 Milliarden Euro.
Auch die Belegschaft bekam die Pandemiefolgen zu spüren: Evonik hatte im vergangenen Jahr 400 seiner 20.000 Mitarbeiter in Deutschland in Kurzarbeit geschickt. Zeitweise waren 16.000 der weltweit 33.000 Mitarbeiter im Homeoffice oder arbeiteten mobil. Das Sparprogramm, wonach 1000 Stellen in der Verwaltung abgebaut werden sollen, wurde abgeschlossen. Evonik spart dauerhaft 230 Millionen Euro ein und erreichte das Ziel mit dem Abbau von gut 950 Stellen, vor allem in Deutschland. „Weitere Abbauprogramme sind nicht geplant“, betonte Kullmann. Aber: „Kostendisziplin ist Königsdisziplin.“Das müsse dauerhaft im Blick bleiben.
Mittelfristig will Evonik eine Gewinnmarge von 18 bis 20 Prozent erreichen. Bis dahin sei aber noch ein längerer Weg. „Da gibt es noch was zu tun“, räumte Finanzvorstand Ute Wolf ein. Enttäuschend ist etwa die Rendite des Windelgeschäfts (Superabsorber). Im Sommer soll die Abspaltung abgeschlossen sein. Dann soll das Geschäft verkauft oder in eine Partnerschaft gebracht werden. Evonik wird zudem seine Kapitalkosten auch 2021 nicht verdienen. „Das wird zwei bis drei Jahre dauern, bis wir das schaffen“, sagte Wolf. Im aktuellen Jahr will Evonik wieder durchstarten: Kullmann erwartet einen Gewinn von 2,0 bis 2,3 Milliarden Euro. Wenn es gut läuft, ist das mehr als 2019 – vor der Corona-krise.