Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Stadt, Land, Frust
TIERE IN DER STADT Schweinezüchter Arne Jordans befürchtet, dass ein benachbartes Wohngebiet erweitert wird und er künftig Streit mit Anwohnern wegen der Geruchsbelästigung durch seine Tiere hat. Er sorgt sich um seinen Betrieb.
XANTEN Vom Wohnzimmer aus kann Landwirt Arne Jordans den Xantener Stadtrand sehen. Rund 300 Meter liegt er nur noch von seinem Hof entfernt, früher war die Entfernung größer: etwa doppelt so groß vor zehn Jahren, bestimmt dreimal so groß vor 50 Jahren und sogar fünfoder sechsmal so groß vor 100 Jahren. Solange gibt es den Hof schon. Xanten war damals kleiner. Aber die Stadt ist gewachsen und damit immer näher an den landwirtschaftlichen Betrieb herangerückt.
Auf historischen Luftbildern des Regionalverbands Ruhr (RVR) lässt sich diese Entwicklung nachvollziehen. Und sie könnte noch nicht zu Ende sein. Die Nachfrage nach Baugrundstücken ist groß. Vor einem Jahr haben Xantens Verwaltung und Politik deshalb darüber beraten, ob das Baugebiet Landwehr stadtauswärts erweitert wird. Die Wohnbebauung würde dann noch etwas näher an Jordans heranrücken.
Der Landwirt beobachtet diese Pläne mit Sorge. Der 38-Jährige betreibt eine Schweinezucht, und die Tiere riechen nun einmal, aber das passt nicht jedem. Deshalb glaubt Jordans, dass „der Ärger programmiert ist“, wenn das Wohngebiet erweitert werden sollte. Zumal er in den nächsten Jahren Änderungen auf seinem Hof plant. Keine Erweiterung, sondern einen Umbau. Die Tiere sollen so weit wie möglich nach draußen kommen, damit sie mehr Platz haben.
In Jordans’ Kopf haben die Planungen dafür auch schon begonnen. Aber wenn die Schweine an die frische Luft kommen, werde auch die Geruchsbelästigung steigen, erklärt der Landwirt. Im Stall gibt es Ventilatoren und eine gezielte Abluftführung, damit sich die Emissionen nicht in der Fläche ausbreiten, sondern nach oben. Aber unter freiem Himmel gibt es keine Ventilatoren und auch keine Abluftführung. Jordans befürchtet deshalb, dass er für seinen Umbau keine Genehmigung bekommen könnte, erst recht nicht, wenn die Wohnbebauung näher an seinen Hof heranrückt. „Dabei wird es von der Gesellschaft gefordert, dass ins Tierwohl investiert wird“, sagt der Landwirt.
Es geht um die Zukunft seines Betriebs. In den nächsten Jahren wird es weitere Vorgaben für die Landwirtschaft geben, zum Wohl der Tiere, davon ist Jordans überzeugt. Und er will diese Änderungen mitmachen. „Ich kenne keinen Landwirt, der sich dagegen sträubt“, sagt der 38-Jährige. „Wir haben Spaß daran, den Betrieb modern zu halten.“Aber es müsse umsetzbar sein. Er wisse von Landwirten in der Region, die bereits aufgegeben hätten, weil sich die Arbeit wirtschaftlich nicht mehr lohne, sagt Jordans und geht im Kopf diejenigen durch, die noch einen Hof betreiben. „Wir kennen uns bald alle per Du.“Landesweit ist die Zahl der Betriebe mit Schweine-haltung deutlich gesunken. 1991 waren es noch mehr als 31.000 in NRW, 2016 dagegen nur noch etwa 8400.
Jordans möchte die Schweinezucht weiter betreiben, irgendwann auch gern an eines der Kinder übergeben. Aber im Moment könne er ihnen nicht dazu raten, den Hof zu übernehmen. „Das finde ich traurig.“Wenn ein Landwirt in seine Anlagen investiere, zum Beispiel einen neuen Stall baue, um die neuen Vorgaben umzusetzen, müsse er diese Investition über 20 Jahre oder länger abschreiben. Aber alle paar Jahre änderten sich die Vorgaben durch die Politik. Er selbst habe erst vor drei Jahren einen neuen Stall errichten lassen, mit Eu-förderung. Darin hätten die Schweine so viel Platz, dass er die nächsten gesetzlichen Änderungen schon erfülle. Aber was komme danach? Und wie solle er es finanzieren? „Wir brauchen Verlässlichkeit“, sagt Jordans.
Für ein 30 Kilogramm schweres Ferkel habe er vor wenigen Wochen rund 30 Euro bekommen, damit habe der Verkaufspreis 20 Euro unter den Produktionskosten gelegen, berichtet Jordans. Zwar sei der Preis wieder gestiegen, für ein Ferkel gebe es nun rund 50 Euro. Aber damit könne er gerade die Ausgaben für die Aufzucht des Tieres decken. „Da sprechen wir noch nicht von einem Unternehmensgewinn“, sagt Jordans. Solche Marktpreise gingen deshalb langfristig „an die Substanz“. Fleisch müsse teurer werden, wenn die Tiere besser gehalten werden sollen. Der Borchert-plan des Bundeslandwirtschaftsministeriums gehe in die richtige Richtung. Eine Expertenkommission um den früheren Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert hat eine Tierwohlabgabe angeregt, um Milliardeninvestitionen der Landwirte in bessere Haltungsbedingungen zu finanzieren. Denkbar wären demnach unter anderem 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, umgesetzt werden könnte dies als Verbrauchsteuer. Die heutige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will mit dem Bundestag und den Ländern darüber sprechen, wie sich so etwas umsetzen ließe.
Die Politik will das Tierwohl also stärken. Jordans möchte das auch. Genau deswegen machen ihm die Pläne für das neue Baugebiet Sorgen. Als der Stadtrat darüber sprach, machte er in der Sitzung auf seine Situation aufmerksam. Xantens Politik beschloss daraufhin, ein neues Geruchsgutachten erstellen zu lassen. Damit soll geklärt werden, ob
die zulässigen Grenzwerte im Baugebiet durch die benachbarte Landwirtschaft überschritten werden.
Die Stadt hat das Gutachten schon vor Monaten in Auftrag gegeben, wie der Technische Dezernent Niklas Franke auf Anfrage mitteilte. Aber wegen der Corona-pandemie habe sich die Bearbeitung verzögert. Die Bestandserhebung bei den umliegenden Höfen und Tierhaltungen im Umfeld habe wegen der Kontaktbeschränkungen noch nicht durchgeführt werden können. Daher sei noch nicht absehbar, wann die Ergebnisse vorliegen werden. Er hoffe, im Sommer, berichtet Franke.
Dann wird Jordans wissen, ob er sich weiter Sorgen machen muss, das Baugebiet erweitert werden soll. Er hofft, dass bei der Untersuchung auch eine mögliche Außenhaltung von Schweinen berücksichtigt wird. Aber er befürchtet, dass ihm die Tierhaltung künftig erschwert werden könnte. Dabei habe er bisher mit niemandem in der Nachbarschaft Ärger wegen seiner Schweine, und das solle auch so bleiben. „Ich will mit meinen Mitmenschen gut leben und keinen Ärger haben“, sagt der Landwirt.