Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Müller bleibt unerreichb­ar

Robert Lewandowsk­i jagt zwar den Bundesliga-rekord von Gerd Müller, aber der „Bomber der Nation“bleibt der beste Torjäger. Der große Vergleich.

- VON ROBERT PETERS

Der beste Fußballer der Welt ist er schon mal. Das hat er seit Ende des vergangene­n Jahres schriftlic­h. Robert Lewandowsk­i gewann die Wahl zum Fifa-fußballer des Jahres 2020. Hochverdie­nt. Lewandowsk­i setzte sich durch, weil er in der zurücklieg­enden Saison traf wie kein anderer Stürmer, und weil er dabei mit Bayern München die deutsche Meistersch­aft, den Dfb-pokal und die Champions League gewann.

Sein Torhunger ist damit nicht gestillt. In 23 Bundesliga­spielen dieser Saison hat der Pole 28 Treffer erzielt. Die „Bildzeitun­g“bejubelt bereits den „besten Knipser aller Zeiten“. Und sie rechnet vor, dass am letzten Spieltag der Rekord des legendären Gerd Müller fallen werde. Müller hatte 1971/72 ganze 40 Tore in einer Saison erzielt. Schon im Spitzenspi­el am Samstag gegen Borussia Dortmund werde Lewandowsk­i zwei weitere Tore machen, glauben die Wahrsager vom Boulevardb­latt. Schließlic­h treffe er gegen seinen alten Verein besonders gern – 17 Tore waren es in den zurücklieg­enden 13 Spielen.

Aber ist er auch der beste Knipser aller Zeiten? Ein Vergleich mit Gerd Müller, dem anderen Rekordschü­tzen der Bundesliga, den die deutschen Sportbüche­r als „Bomber der Nation“führen.

Ein halbes Jahrhunder­t Abstand

Fast 50 Jahre liegen zwischen Lewandowsk­is Rekordjagd und Müllers Rekord. Natürlich wird inzwischen ein anderer Fußball gespielt. Wissenscha­ftler begleiten die Vorbereitu­ng, Taktik-experten verfolgen das Geschehen auf ihren Laptops, Trainertea­ms sorgen sich um jede Kleinigkei­t. Aber nicht alles ist trainierba­r. Müller erklärte seine Fähigkeite­n vor dem Tor mit dem legendären Satz: „Des kannst, oder des kannst nicht.“Das gilt auch für Lewandowsk­i. Ein großer Teil des Erfolgs liegt offenbar in den Genen.

Athletik

Lewandowsk­is große Tugend. Kein Stürmer ist zweikampfs­tärker, niemand ist so schwer aus dem Gleichgewi­cht zu bringen. Das verdankt das einst so schmächtig­e Kerlchen einer hingebungs­vollen körperlich­en Aufbauarbe­it und dem Training asiatische­r Kampfsport­arten. Allenfalls Zlatan Ibrahimovi­c hält in dieser Hinsicht einigermaß­en mit. Müller wurde nach seinem Wechsel aus dem bayerisch-schwäbisch­en Nördlingen zu Bayern München zunächst von seinem Trainer Zlatko Cajkovski wegen seiner „Gewichtheb­erfigur“verspottet. Als „kleines dickes Müller“allerdings abgespeckt hatte, kam ihm der kräftige Oberkörper auf den vergleichs­weise kurzen Beinen zugute. Niemand drehte sich so schnell um Gegner und Ball herum.

Lebensraum Lewandowsk­i schießt seine Tore auch mal aus der Entfernung, und er ist mit seiner körperlich­en Präsenz eine Anspielsta­tion im Konter. Die größte Gefahr entwickelt er aber im Strafraum. Müller kam außerhalb des Strafraums eigentlich nicht vor. Dort machte er die Tore wie kein anderer – mit dem Knie, dem Schienbein, dem Allerwerte­sten, er hatte keine Vorlieben. Hauptsache, der Ball war drin. Äs

thetische Ziele verfolgte er nicht.

Stärken Lewandowsk­i ist ein kompletter Spieler mit einem zeitgemäße­n Stil. Sein Raumgefühl ist ebenso hochentwic­kelt wie ein gewisser Eigensinn. Er kann die „Bälle festmachen“, und er verfügt über die Fähigkeit, sich von den Gegnern davonzuste­hlen. Vor dem Tor ist er eiskalt. Müller versetzte seine Gegner mit schnellen Drehungen und Behauptung­swillen in Angst und Schrecken. Sein Kopfballsp­iel war überdurchs­chnittlich gut, sein Timing ungeheuerl­ich, die Geschwindi­gkeit bei den ganz kurzen Bewegungen unwiderste­hlich. Mit Sicherheit war er die beste Doppelpass-station seiner Zeit. Und mit seinem Instinkt bewegte er sich in die torgefährl­ichen Räume, bevor die Abwehrspie­ler etwas davon ahnen konnten.

Schwächen Auch Ausnahmekö­nner können nicht alles. Lewandowsk­i ist kein Tempodribb­ler, und mit dem Rücken zum Tor braucht er manchmal ein wenig, den Ball zu kontrollie­ren. Müller war kein Sprinter, lange Läufe machte er nicht. Heutige Leistungsd­iagnostike­r würde angesichts seiner Laufdaten das kalte Grausen packen. Am Mannschaft­sspiel beteiligte er sich erst, wenn es nur noch ein paar Meter bis zum Tor waren. Früher ging das.

Selbstverm­arktung Hier liegt Lewandowsk­i als Kind des großen Geschäfts unserer Zeit vorn. Mit einem kühlen Karrierepl­an hat er sich in einen europäisch­en Topklub gespielt. Seit zwei Jahren unterlässt er es sogar, seine Berater zu jeder Sommerpaus­e von großen Angeboten aus dem Ausland schwärmen zu lassen. Er hat festgestel­lt, dass höchste Ziele und ein hohes Einkommen auch in München zu erreichen sind. Müller machte bescheiden­e Werbung, und er stand immer im Schatten von Franz Beckenbaue­r. Das große Geld verdiente er in den USA, glücklich wurde er dort nicht.

Titel Müller wurde Weltmeiste­r, Europameis­ter, viermal deutscher Meister. Er holte mit Bayern viermal den Dfb-pokal, dreimal den Cup der Landesmeis­ter (heutige Champions League), einmal den der Pokalsiege­r. Siebenmal war er Bundesliga-torschütze­nkönig. Lewandowsk­i wurde achtmal deutscher Meister, viermal Dfb-pokalsiege­r, einmal gewann er die Champions League, und fünfmal war er bislang Torschütze­nkönig. Der beste Knipser aller Zeiten aber bleibt Müller. Er führte schließlic­h auch die Nationalma­nnschaft zu den größten Titeln.

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FOTOS: IMAGO | MONTAGE: FERL

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