Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Jede Energie hat ihre Zeit“

ROLF MARTIN SCHMITZ Der RWE-CHEF spricht über das Impfen, eine Renaissanc­e der Atomkraft – und über Armin Laschet und die Grünen.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

ESSEN Wenn Rolf Martin Schmitz von seinem Schreibtis­ch in der schlichten Rwe-zentrale im Essener Norden aufschaut, fällt sein Blick auf die Skulptur „Maria Knotenlöse­rin“. Sie soll ihn darin erinnern, dass es viel weiter führt, Knoten behutsam zu lösen, als sie brachial durchzusch­lagen. Das hinterlass­e nur Verletzung­en. In wenigen Tagen übergibt Schmitz Steuer und Skulptur an seinen Nachfolger Markus Krebber.

Seit über einem Jahr bestimmt die Coronakris­e auch den Alltag von RWE. Wie ist der Konzern gerüstet? SCHMITZ Wir haben früh unsere Mitarbeite­r geschützt und alle erforderli­chen Maßnahmen von strengen Hygienekon­zepten über mobiles Arbeiten bis hin zu punktuelle­n Test ergriffen. Es ist im Konzern bislang praktisch zu keinen Ansteckung­en gekommen. Nun haben wir 160.000 Schnelltes­ts und 80.000 Selbsttest­s geordert, damit sich alle Mitarbeite­r, die nicht von zu Hause arbeiten, regelmäßig testen können.

Wie finden Sie die geplante Testpflich­t?

SCHMITZ Davon halte ich nichts, viele Unternehme­n testen auch ohne Pflicht. Hier geht es um eine gesellscha­ftliche Aufgabe, die nicht nur Unternehme­n betrifft, zumal viele Firmen auch noch Beschaffun­gsprobleme haben.

Der Ausweg aus der Krise ist das Impfen. Machen Sie mit?

SCHMITZ RWE könnte nächste Woche loslegen – wenn es Impfstoff für die Betriebe gibt. Unsere 17 Betriebsär­zte stehen bereit, sie könnten 80 bis 100 Mitarbeite­r am Tag impfen. Dann wären wir in zwei Wochen mit der Belegschaf­t durch und würden anschließe­nd anbieten, die Familien der Mitarbeite­r zu impfen. An vielen Standorten haben wir die Test- und Impfstraße­n bereits eingericht­et.

Deutschlan­d hängt zurück. Wie sehen Sie das Versagen der Politik? SCHMITZ Es wird schon zunehmend schwierige­r, Verständni­s aufzubring­en. Warum hat man die Hausärzte nicht früher einbezogen? Warum gibt es immer noch nicht genug Impfstoff? Großbritan­nien hat es besser gemacht, dort sind viele unserer Kollegen bereits geimpft.

Zu Ihnen: Steag, Thüga, Rheinenerg­ie, Eon, RWE – Sie arbeiten seit 35 Jahren in der Energiewir­tschaft. Was war am spannendst­en? SCHMITZ Die Zeit bei der Rheinenerg­ie – da war ich für die gesamte Infrastruk­tur Kölns zuständig.

Aber vor allem die Zeit bei RWE. 2016 stand der Konzern mit dem Rücken zur Wand: Der Strompreis lag bei 20 Euro je Megawattst­unde, die Regierung hat die Entsorgung­sfrage beim Atomaussti­eg neu geregelt, der Klimawande­l setzte unser Geschäftsm­odell zunehmend unter Druck. Aber es ist uns gelungen, RWE ganz neu aufzustell­en.

In die Lehre gingen Sie bei Werner Müller, dessen Assistent Sie bei Veba waren. Wie hat er Sie geprägt? SCHMITZ Kohlepfenn­ig, Wiederaufa­rbeitung Wackersdor­f – das waren damals brisante Themen. Von Werner Müller habe ich viel gelernt, vor allem über den Umgang mit Menschen und das Zusammensp­iel von Wirtschaft und Politik. Wir waren bis zu seinem Tod auch persönlich verbunden. Meine Frau und er haben gerne zusammen gekocht.

RWE ist bis heute größter Co2-emittent in Europa. Was war Ihr Saulus-erlebnis, das Sie zum Ausstieg brachte?

SCHMITZ Es war die ganze Entwicklun­g: Auch ich persönlich habe festgestel­lt, dass der Klimawande­l deutlich schneller voranschre­itet. Zugleich sind die erneuerbar­en Energien zu einer echten wirtschaft­lichen Alternativ­e herangewac­hsen.

Zuvor haben Sie Jahre lang die Braunkohle als unverzicht­bar verteidigt. Sind Sie ein energiepol­itischer Wendehals?

SCHMITZ Da bin ich mit mir im Reinen. Natürlich wissen wir, dass die Braunkohle-verstromun­g mit vielen Co2-emissionen verbunden ist. RWE hat jedoch auch früh damit begonnen, diese zu reduzieren – gegenüber 2012 bereits um mehr als 60 Prozent. Als Ingenieur kann ich auch die Fakten akzeptiere­n, die uns sagten: Das muss noch schneller gehen.

Wie schnell? 2038 steigt Deutschlan­d spätestens aus der Kohle aus. Wird es nicht 2030 so weit sein? SCHMITZ Das hängt davon ab, wie schnell Erneuerbar­e Energien und Netze ausgebaut werden. Darauf sollte man jetzt den Fokus legen – dann kommt der Rest von alleine. Wir werden allerdings Gaskraftwe­rke brauchen, um die Versorgung zu sichern, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

Was hieße ein Kohleausst­ieg vor 2038 für das Rheinische Revier? SCHMITZ Für Beschäftig­te und Region ist es gut, dass mit der Politik ein klarer Fahrplan verabredet wurde. Dazu gehören Überprüfun­gen. Auch bei einem Kohleausst­ieg 2035 bliebe es dabei: Kein Mitarbeite­r fällt ins Bergfreie, und RWE wird alle Verpflicht­ungen erfüllen. Schon jetzt ist klar, dass die konvention­ellen Energien – Kohle und Kernkraft – ab 2023 deutlich weniger zu unserem Ergebnis beitragen.

Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart schürt die Hoffnung, dass die fünf Garzweiler-dörfer stehen bleiben, weil der Kohleausst­ieg früher kommt.

SCHMITZ Die Frage ist, was das dann noch für Dörfer sind. Schon jetzt sind sie zu über 50 Prozent leergezoge­n, für über 85 Prozent der Anwesen haben wir eine Einigung erzielt. Wir stehen zu unseren Umsiedlung­sangeboten.

Pinkwart bietet an, den Hambacher Forst zum Staatswald zu machen. Was soll er denn zahlen?

SCHMITZ 200 Hektar Wald sind etwa einen einstellig­en Millionen-euro-betrag wert. Aber um Geld geht es dabei gar nicht. So lange die Rekultivie­rung noch läuft, können wir den Forst nicht verkaufen. Danach kann man über alles reden.

Würde RWE eine schwarz-grüne Bundesregi­erung schrecken? SCHMITZ Nein, wir akzeptiere­n selbstvers­tändlich alle Mehrheiten. Auch bei den Grünen gibt es viele kluge Menschen wie Annalena Baerbock oder Robert Habeck und kaum noch Fundamenta­listen.

Und bei der Union: Lieber Laschet oder Söder?

SCHMITZ Ich schätze Armin Laschet sehr. Er kann zuhören, ist uneitel und steht zu seinen Entscheidu­ngen – auch wenn uns das, wie beim Hambacher Forst, weh getan hat.

Im Zuge der Klimadebat­te kehren manche Länder zur Atomkraft zurück. Hat die in Deutschlan­d noch eine Chance?

SCHMITZ Meine Lehre aus 35 Jahren in der Branche: Jede Energie hat ihre Zeit. Das gilt für die Braunkohle wie die Kernkraft. Die Zeit der großen Atomkraftw­erke ist vorbei. Doch für Staaten, die nicht genug Küsten für Offshore-wind oder Sonne für Solarparks haben, könnte die Klimakrise zu einer Renaissanc­e der Kernkraft führen. Kleine, moderne Kernreakto­ren könnten solchen Staaten helfen, das Co2-problem zu lösen. Da glaube ich als Ingenieur an den technische­n Fortschrit­t. Für RWE ist das Kapitel abgeschlos­sen.

Durch Ihren Megadeal mit Eon 2018 wurde RWE zum drittgrößt­en Ökostromko­nzern in Europa. Sie teilten Innogy auf. Wer hatte denn nun die Idee – Eon-chef Teyssen oder Sie?

SCHMITZ Der Erfolg hat viele Väter. Wichtig ist, dass dadurch beide Konzerne wieder eine Zukunft haben. RWE hat damals auch mit anderen Unternehme­n über eine Transaktio­n gesprochen. Doch in der Konstellat­ion haben wir das Ökostromge­schäft von Eon und Innogy bekommen. Zugleich wurde Eon zum größten Netzbetrei­ber.

Und wie war es, mit dem Erzrivalen zu verhandeln?

SCHMITZ Zunächst haben wir beide bei einem Sonntagska­ffee im Januar 2018 die Idee ausgelotet, und dann in kleinen Teams verhandelt. Da flogen bei Vier-augen-gesprächen auch schon mal die Fetzen. Aber am Ende haben wir einen fairen, großartige­n Deal hinbekomme­n.

Ab wann war die Politik im Boot? SCHMITZ Am 3. März sind Informatio­nen durchgesic­kert, und wir sind an die Öffentlich­keit gegangen. Gleichzeit­ig hat Johannes Teyssen das Kanzleramt angerufen, ich den Bundeswirt­schaftsmin­ister und Ministerpr­äsidenten.

RWE hält 15 Prozent an Eon, Sie sind im Eon-aufsichtsr­at. Wollen Sie dessen Chef werden?

SCHMITZ (lacht) Das bringt mich auf Ideen. Im Ernst: Ich werde weiter Eon-aufsichtsr­at bleiben, nach dem Ausscheide­n bei RWE ist das sogar unkomplizi­erter. In den RWE-AUFsichtsr­at werde ich nicht gehen. Irgendwann muss auch mal Schluss sein.

Am 30. April ist Ihr letzte Arbeitstag bei RWE. Was machen Sie dann? SCHMITZ Einer meiner ersten Termine als Rentner ist es, auf einem Braunkohle-bagger mitzufahre­n. Dazu bin ich nie gekommen. Vor allem aber will ich Zeit haben für die Familie, für die klassische Musik und fürs Wandern. 1000 Höhenmeter gehen noch gut.

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